Armut ist Gefahr für psychische Gesundheit

Finanzielle Armut und psychische Gesundheit stehen in einem engen Zusammenhang. Um Verbesserungen zu erzielen, gilt es an vielen Schrauben zu drehen. Das war das Resümee eines Facebook live Talks von Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien, Sybille Pirklbauer, Leiterin der Abteilung Sozialpolitik der AK Wien und Pia Zhang, Referentin für Gesundheitspolitik der AK Wien.

Einige psychische Erkrankungen beginnen bereits im juvenilen Alter. Wenn diese nicht behandelt werden, haben sie einen massiven Einfluss auf die Lebensbiographie. Psychische Erkrankungen führen aber oftmals auch im späteren Leben zu einem Verlust des Arbeitsplatzes und finanziellen Einbußen. Gleichzeitig wissen wir, dass das untere Einkommensdrittel deutlich schwerer unter psychischen Belastungen leidet und häufiger erkranken.

Henne-EI-Problem

„Der Zusammenhang zwischen finanzieller Armut und psychischer Gesundheit ist ein bisschen ein Henne-Ei-Problem. Fest steht, dass es einen starken Zusammenhang in beide Richtungen gibt“, sagte Lochner. Außerdem sind nicht alle Menschen gleich betroffen. „Die krisenhaften Situationen der letzten Jahre haben gezeigt, dass jene Menschen, die schon vor dem Ausbruch der Pandemie belastet waren, auch von den Konsequenzen übermäßig belastet sind“, so Lochner.

Unsicherheiten im Berufsleben führen zu Stresssituationen. Aktuell werden diese durch die Teuerung weiter verschärft und verstärken sich mit der prekären Situation am Arbeitsmarkt. „Eine soziale Absicherung, gerade auch für arbeitslose Menschen, die derzeit 55% des letzten Einkommens erhalten, ist notwendig. Eine Anhebung des Arbeitslosengeldes auf zumindest 70 Prozent würde den Arbeitnehmer*innen auch helfen, um wieder Kraft zu tanken“, forderte Pirklbauer.  

Arbeitsplatzgestaltung entscheidend

Neben der besseren finanziellen Absicherung, spielt die Arbeitsplatzgestaltung eine entscheidende Rolle. „Arbeitgeber*innen sind dabei im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht in der Pflicht, den Arbeitsplatz so zu gestalten, dass weniger psychische Belastungen stattfinden“, erläuterte Pirklbauer weiter. Ursachen für psychische Belastungen seien oftmals auf Diskriminierungen und Belästigungen jeglicher Art zurückzuführen. Aber auch Überlastungen durch lange Arbeitszeiten oder schwer planbare Arbeitszeiten bereiten Herausforderungen.

Der aktuelle Fehlzeitenreport zeigt klar: psychische Erkrankungen sind in den letzten Jahrzehnten im Steigen begriffen. Vor allem braucht man bei psychischen Erkrankungen oft länger, bis man sich wieder zutraut in den Beruf einzusteigen. „Und wenn die Mitarbeiter*innen wieder eingestiegen sind, müssen sie oftmals kurze Zeit später nochmals in den Krankenstand, weil sich im Betrieb nichts geändert hat und die belastende Situation weiter bestehen bleibt“, wies Zhang auf eine Herausforderung und die dahinterliegenden Zahlen hin.

Fit2work stärker nützen

Bereits gesetzte Maßnahmen, wie etwa die Wiedereingliederungsteilzeit und fit2work bewerten die Expert*innen positiv. „Allerdings wird es immer noch viel zu wenig genutzt. „Nur 17 Prozent der Menschen in Langzeitkrankenständen nehmen dies in Anspruch. Überhaupt nur ein Prozent der Unternehmen lässt sich beraten“, so Zhang. Dabei sei ein stärkerer Fokus auf psychische Erkrankungen bei den Gesundheitsmaßnahmen auch für Betriebe und den Staat von Vorteil, da dadurch massiv Kosten eingespart werden.  

Ausbilden, ausbilden, ausbilden

„In der heutigen Arbeitswelt sehen wir einerseits Angst vor verschlechternden Arbeitsbedingungen, etwa durch mehr Arbeit bei gleichbleibendem Gehalt. Andererseits brechen, gerade bei vielen jüngeren Arbeitnehmer*innen, Lebenskonzepte zusammen, die gelautet haben: gute Ausbildung führt automatisch zu gutem Auskommen. Sie sehen, dass das nicht funktionieren wird. Dem müssen wir Rechnung tragen“, betonte Lochner, der vor allem drei Dinge forderte: erstens ausbilden, ausbilden, ausbilden. Das gelte für Ärzt*innen, Pflegepersonal und Sozialpädagog*innen. Hürden müssen abgebaut werden, etwa beim Medizinstudium. Zweitens müssen Behandlungssysteme näher an die Lebensrealität der Patient*innen angepasst werden, das heißt niederschwellig, leicht erreichbar und mit dem Beruf vereinbar. Selbiges gälte, als dritter Punkt, für das Finanzierungssystem. Auch das muss sich stärker am Bedarf der Patient*innen orientieren.    

Bewusstsein für psychische Erkrankungen erhöhen

Das Bewusstsein für psychische Erkrankungen sei auch in den Betrieben deutlich ausbaufähig, konstatierte Pirklbauer. Außerdem brauche es Arbeitsbedingungen, die nicht psychisch krank machen. Im Falle einer Erkrankung ist es notwendig, diese rasch zu erkennen und Expertise zu holen. Und sollten Erkrankungen zu Arbeitsausfällen führen, müssen Chancen gegeben sein, wieder zurückzukehren.

Für Zhang ist der kostenlose, niederschwellige Zugang zu Gesundheitsleistungen eine Grundforderung. Und dies in einem ausreichenden Ausmaß. Auch wenn das Angebot durch die ÖGK kürzlich erhöht wurde, sei der Bedarf noch lange nicht gedeckt. „Eine lange Wartezeit auf eine Behandlung hat eine massive Auswirkung auf die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Menschen“, warnte sie und sprach auch eine weitere Risikogruppe in diesem Zusammenhang an: pflegende Angehörige, deren Aufgabe zu einer extrem starken psychischen Belastung führe.

„Ohne Worte“: Siegerinnenbeitrag Stephan-Rudas-Preis in der Kategorie Rundfunk

„Ohne Worte“, ein Beitrag von Tiba Marchetti, der in der ORF Sendung „Am Schauplatz“ ausgestrahlt wurde, beschäftigt sich mit der Volkskrankheit Demenz.

Obwohl rund 130.000 Menschen in Österreich aktuell an Demenz leiden und die Zahlen in den kommenden Jahren deutlich ansteigen werden, ist es immer noch ein Tabuthema. Viele Betroffene haben Angst und schämen sich, sich die Krankheit einzugestehen. Tiba Marchetti sprach mit Betroffenen und deren Angehörigen sowie mit Betreuungspersonen in verschiedenen Einrichtungen, etwa einem Demenzdorf in Deutschland oder einer Pflegeeinrichtung in Wien.

Herausfordernde Situation
Demenz ist eine herausfordernde Situation. Für die Betroffenen selbst, aber auch für das Umfeld. „Es ist traurig zu sehen, wie der Mensch, den man kennt, immer weniger wird“, so ein Angehöriger. „Eine solche Krankheit beeinflusst das gesamte Leben, für alle im Umfeld“, sagt ein weiterer. Betroffene haben das Gefühl, dass „ihnen die Zahlen davonlaufen und Gedanken verloren gehen.“ Aber, davon sprechen viele Angehörige in dem Beitrag: es entwickelt sich eine neue Form der Liebe. Eine Liebe, in der Wertschätzung einen immer größeren Stellenwert einnimmt.

Professionelle Hilfe holen
Für Betreuungspersonen stellen sich eine Vielzahl von Herausforderungen. Für Pflegefachkräfte etwa gehe es vor allem darum, Menschen mit einer Demenzerkrankung dort abzuholen, wo sie gerade sind. Und klar ist auch: je früher die Diagnose gestellt wird, desto besser und desto länger ist es möglich, die Strukturen des alltäglichen Lebens aufrecht zu erhalten. „Jeder von uns hat schon einmal seine Schlüssel vergessen oder ein Wort ist uns nicht eingefallen. Wenn dies allerdings häufig auftritt und zu einer Belastung im Alltag wird, sollte man dringend professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, um die Situation abzuklären“, raten die Ärzt*innen in dem Beitrag.

(C) ORF/Am Schauplatz

„Als Betroffener ist es wichtig, dass man mir das Gefühl gibt, ich bin nicht allein. Also ich bin nicht der einzige, der das hat“, erklärt ein Interviewter.

Dass man darüber spricht und es nicht geheim hält, ist das wichtigste. Es ist nicht unangenehm. Im Alter kann das jedem passieren.

Betroffene in „Ohne Wort“: Am Schauplatz/ORF

Gesunder Lebensstil und Freundschaft
Ein gesunder Lebensstil kann dazu beitragen, dass Demenz später auftritt. Entscheidend seien aber auch Freundschaften. Sowohl im Vorfeld aber auch, wenn die Krankheit bereits ausgebrochen ist, betonen die Ärzt*innen.

„Die kranken Kinder von Moria“ Siegerinnenbeitrag Stephan-Rudas-Preis in der Kategorie Print

Im Flüchtlingslager auf Lesbos grassiert unter Kindern eine sonderbare Krankheit. Silke Weber hat sich in ihrem in der „Zeit“ erschienenen Beitrag mit einem Krankheitsbild, der fast ausschließlich junge Flüchtlinge betrifft, auseinandergesetzt.

Für rund 3.000 Menschen ist das Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos angelegt. Als Durchgangslager konzipiert, in dem Erstregistrierungen der Flüchtlinge organisiert und durchgeführt werden sollen, platzt es immer mehr aus allen Nähten. Die griechischen Behörden sind mit der Situation überfordert. Zum Zeitpunkt des Berichts lebten rund 20.000 Menschen in Moria, darunter etwa 6.000 Kinder. Viele von ihnen bereits viele Monate in einer an ein Slum erinnernden Zeltstadt.

Apathie
Immer mehr Kinder fallen in Apathie. Sie geben Sprechen, Bewegen und Essen auf. Mediziner gehen von einem bestimmten Krankheitsbild aus, wenn sich die Aktivitäten in zumindest drei der sechs Bereiche deutlich verringern:  Sprechen, Essen, Mobilität, Sozialleben, Körperpflege und -hygiene, Ansprache auf Fürsorge- und Ermutigungsmaßnahmen. Der Zustand, der meist schrittweise beginnt, kann bis zu einem Starrezustand führen.

Die siebenjährige Nazanin lächelt überhaupt nicht mehr. Sie malt auch nicht mehr, spricht nicht mehr, und das Essen hat sie fast aufgegeben. Nazanin hockt auf dem Boden der dunklen Hütte, ein Bett gibt es nicht, und starrt ins Leere. Es ist, als würde sie durch uns hindurchgucken, sagt die Mutter.

Silke Weber, Die Kranken von Moria In: Die Zeit

Selbstaufgabe-Syndrom
Erste Fälle sind aus den 1990er Jahren in Schweden bekannt, als die Symptome bei vier Kindern festgestellt wurden, deren Familien im Balkankrieg geflohen waren. Damals nannte man die Krankheit Uppgivenhetssyndrom, also Selbstaufgabe Syndrom. 2014 wurde das Syndrom unter diesem Namen in das schwedische Register der psychischen Erkrankungen aufgenommen. Anfang des 21. Jahrhunderts häuften sich in Schweden die Fälle. 2004 waren es bereits 182. Dem schwedischen Neurowissenschaftler Karl Sallin sind bis zum heutigen Tag in Schweden rund 1.000 Fälle bekannt. Anfängliche Vorwürfe, die Kinder würden versuchen, Aufmerksamkeit zu erlangen und einen positiven Asylstatus zu erhalten oder sogar Vorwürfe an Eltern, sie würden Kinder absichtlich vergiften, konnten als Fake-News identifiziert werden.

Ein neunjähriges Mädchen aus Afghanistan sucht Schutz in einem Zelt im Lager Moria auf Lesbos (C) Marie Dorigny/M.Y.O.P./laif

International gibt es bis heute keinen eindeutigen Begriff: Resignation Syndrome (RS), Pervasive Refusal Syndrome (PRS), depressive Devitalisierung (DD), Traumatic Withdrawal Syndrome (TWS), Giving-up-Syndrome oder einfach apathische Flüchtlingskinder sind gebräuchliche Bezeichnungen.

Neben Schweden, haben sich dieselben Krankheitssymptome auch auf der Insel Nauru gezeigt, wo Australien ein Auffanglager für Flüchtlinge errichtet hat. Mittlerweile sind dort – nach Druck der Zivilgesellschaft – keine Kinder mehr untergebracht. Auf Lesbos leben aber bis heute Kinder in Apathie.

Hier der gesamt Artikel:

medizinische Waage

„Haben Essstörungen ein Geschlecht“ – Siegerinnenbeitrag Stephan-Rudas-Preis in der Kategorie online

Magdalena Grunt setzt sich in ihrem auf Youtube zu sehenden Beitrag mit Vorurteilen gegenüber Männern mit Essstörungen auseinander.

Sensibel wird das Vorurteil, Essstörungen seien eine typische “Frauenkrankheit” aufgebrochen, um auch erkrankte Männer sichtbar zu machen. Dabei geht es nicht nur um die Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen, sondern auch darum, Geschlechterklischees zu enttarnen.  Mit dem Videobeitrag möchte Magdalena Grunt Stigmatisierung entgegenwirken, mehr Bewusstsein für die Erkrankung schaffen, dazu ermutigen, offen darüber zu sprechen und Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen.

Darüber zu reden hilft

„Am meisten hat mir geholfen, als ich begonnen habe, darüber zu reden“, sagt der von Grunt portraitierte Musiker Tino Romana in der Reportage. Schon in der Volksschule habe er Mobbing erlitten, fehlende Bezugspersonen kompensierte er mit Essen. „Das Essen wurde zu meinem besten Freund, zu meiner Bezugsperson“, so Tino. In der Schule wurde er von den anderen Kindern auf Grund seines relativ hohen Gewichts ausgeschlossen und aufgezogen. Von Erwachsenen fühlte er sich nicht ernst genommen. Als der Leidendruck später zu groß wurde, beschloss er gar nicht mehr zu essen. Schnell hat er an Gewicht verloren, was zur Magersucht führte. Auch Mediziner*innen, die er aufgesucht hat, haben sich meist mit äußerlichen Symptomen auseinandergesetzt und sind selten auf die Psyche eingegangen, erzählt Tino.

„Wenn Frauen über Essstörungen sprechen, ist das immer ein sehr, sehr ernstes Problem. Wenn Männer darüber sprechen heißt es meist, iss mehr oder geh ins Fitnesscenter, um zuzunehmen‘.

Tino Romana in: „Haben Essstörungen ein Geschlecht“

Verschiedene Ursachen

Bei den Gründen für eine Essstörung gäbe es grundsätzlich kaum einen Unterschied zwischen den Geschlechtern, erläutert die Systemische Familientherapeutin Gudrun Stempkowski. „Es ist multifaktoriell und hat mit verschiedenen Ursachen zu tun. Nach diesen Ursachen ist zu suchen, denn nur das Essverhalten zu ändern, wird die Essstörung nicht ändern.“ Immer noch seien Essstörungen ein Tabuthema, gerade unter Männern. Es herrscht immer noch ein falscher Ansatz vor, meint Tino. „Es ist keine Schwäche, wenn man über seine Schwäche redet. Im Gegenteil, man zeigt Stärke, wenn man über seine Probleme redet.“

Statistik

Statistiken zeigen einen deutlichen Anstieg der Fälle von Essstörungen bei Männern und hier vor allem bei sehr jungen. Zwischen 2008 und 2018 steig die Zahl der jungen Männer zwischen 12 und 17 Jahren um 60 Prozent. Mittlerweile machen Männer ein Viertel aller Fälle on Essstörungen aus. Zehn Jahre davor war es noch ein Fünftel.

Über Magdalena Grunt

Die 1999 in Wien geborene Journalistin Magdalena Grunt ist Mitbegründerin des journalistischen Kollektivs VORLAUT, das Politdiskurse und soziale Missstände aus einem intersektional-feministischen Blickwinkel betrachtet.

Das Video

Der Beitrag kann auf Youtube gesehen werden.

World Mental Health Day: „Reden ist die beste Form, um Stigma hintanzustellen“

Der 30. World Mental Health Day der WHO am 10. Oktober stand unter dem Motto: „Reden hebt die Stimmung – Seelisch gesund in unserer Gesellschaft“. Der Chefarzt der Psychosozialen Dienst in Wien, Dr. Georg Psota, sprach bei einer Veranstaltung im 5. Bezirk in Wien über die Bedeutung der psychosozialen Gesundheit und Wege zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen.

„Rund ein Drittel bis ein Viertel der Bevölkerung in unseren Breiten leidet einmal pro Jahr an psychischen Problemen. Die Verläufe sind, wie bei jeder somatischen Krankheit auch, leicht bis schwer bzw. akut bis chronisch. Nachdem nicht immer dasselbe Drittel von einer Erkrankung betroffen ist, kann man sich leicht ausrechnen, dass im Verlauf eines Lebens, fast jeder Mensch mit psychosozialen Herausforderungen zu kämpfen hat“, skizzierte Dr. Psota die dramatische Situation.

Dr. Georg Psota bei der Veranstaltung zum World Mental Health Day (Copyright: PSD-Wien)

Freundschaft erhält die Gesundheit
„Es gibt eine Vielzahl von Faktoren, die die Gesundheit beeinflussen: Nicht rauchen natürlich, geringer Alkoholkonsum und viel Bewegung. Der wichtigste Faktor aber um die Gesundheit zu erhalten, und das zeigen eine Vielzahl von Studien, ist die Pflege von Freundschaften. Denn der Mensch ist ein soziales Wesen, das von Kommunikation abhängig ist“, so Psota.

Es gibt keine Gesundheit ohne psychische Gesundheit!

Dr. Georg Psota

Hilfe in Anspruch nehmen
Um der immer noch vorherrschenden Stigmatisierung psychischer Erkrankungen entgegenzutreten, empfiehlt Dr. Psota das Reden. „Reden ist die beste Form, um das Stigma hintanzuhalten.“ Dies gelte für Betroffene, die sich so schnell wie möglich Hilfe holen sollen und nicht aus Angst lange zuwarten dürfen. „Es kann nicht sein, dass man monatelang nicht schlafen kann, ständig abnimmt und andere Symptome aufweist, bevor man Hilfe in Anspruch nimmt. Man darf sich davor nicht scheuen“, warnt Dr. Psota. Ähnliches gilt auch für die Umgebung, Familie und Freunde. „Sprechen sie das Problem an, wenn sie sich Sorgen machen“, appelliert er.
„Meine Hoffnung ist es, dass wir bald gemeinsam eine große Geschichte erzählen: die Geschichte von der Psyche, die hohen Risiken ausgesetzt ist“, so Dr. Psota.

World Mental Health Day
Die Veranstaltung World Mental Health Day fand auf Einladung von Onesoc im Creative Cluster im 5. Wiener Gemeindebezirk statt. Neben Dr. Psota sprachen auch Bezirksrätin und Vorsitzende der Kommission für Gesundheit, Soziales und Prävention, Mag.a Katharina Ranz, die Beraterin, Coach und Expertin für mentale Fitness und Verhaltensveränderung, Eva Gruber, die Fachbereichsleiterin Selbsthilfe bei pro mente Wien, Christine Reinhardt und der CEO von The Impressive Company, Nikodemus Wagner.

Stephan-Rudas-Preisträgerinnen 2022 stehen fest

Magdalena Grunt, Tiba Marchetti und Silke Weber erhielten Auszeichnung für fundierte Berichterstattung über psychische Erkrankungen.

Mit ihrer Dokumentation „Haben Essstörungen ein Geschlecht“ gewann Magdalena Grunt mit ihrem Team des journalistischen Kollektivs VORLAUT in der Kategorie „Online“. Tiba Marchetti erhielt den Preis in der Kategorie „Rundfunk/TV“ mit der in der Sendung „Am Schauplatz“ (ORF) ausgestrahlten Reportage “Ohne Worte”. In der Kategorie „Print“ überzeugte Silke Weber mit dem in der „Zeit“ veröffentlichten Text „Die kranken Kinder von Moria“ die Fachjury. Die preisgekrönten Journalistinnen erhielten ihre Auszeichnungen im Rahmen des Tages der psychischen Gesundheit im Wiener Rathaus am 3. Oktober.

„Der Preis für fundierte Berichterstattung über psychische Erkrankungen wurde nun zum fünften Mal verliehen. Wir freuen uns, dass die Zahl der Einreichungen immer höher wird und dies auch mit einer sehr hohen Qualität der Beiträge einhergeht“, sagte der Koordinator für Psychiatrie, Sucht – und Drogenfragen der Stadt Wien, Ewald Lochner, bei der Verleihung. „Tabus, Scham und Verdrängung schaden ganz besonders, wenn es um psychische Störungen und Erkrankungen geht. Der Stephan-Rudas-Preis ist ein wichtiger Beitrag für einen vorurteilsfreien und unbelasteten Zugang zu Vorbeugung und Behandlung“, betonte auch Dr. Michael Binder, medizinischer Direktor des Wiener Gesundheitsverbundes.

Koordinator für Psychiatrie, Sucht – und Drogenfragen der Stadt Wien, Ewald Lochner, bei der Verleihung des Stephan-Rudas-Preises 2022 (Copyright: Barbara Wirl)

Journalist*innen spielen in der Vermittlung von faktenbasiertem Wissen zu psychosozialen Erkrankungen eine entscheidende Rolle. Sie können durch die Darstellung von Erfahrungsexpert*innen und einer bewussten Sprache der Stigmatisierung entgegentreten.

Ewald Lochner,Koordinator für Psychiatrie, Sucht – und Drogenfragen der Stadt Wien, Ewald Lochner

Die Siegerinnen

  • Magdalena Grunt: „Haben Essstörungen ein Gesicht“
    Die 1999 in Wien geborene Journalistin Magdalena Grunt ist Mitbegründerin des journalistischen Kollektivs VORLAUT, das Politdiskurse und soziale Missstände aus einem intersektional-feministischen Blickwinkel betrachtet.Der im März 2022 auf Youtube erschienene Beitrag “Haben Essstörungen ein Geschlecht” setzt sich mit Vorurteilen gegenüber Männern mit Essstörungen auseinander. Sensibel wird Essstörungen als typische “Frauenkrankheit” aufgebrochen, um auch erkrankte Männer sichtbar zu machen. Dabei geht es nicht nur um die Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen, sondern auch darum, Geschlechterklischees zu enttarnen. . Mit dem Videobeitrag möchte Magdalena Grunt Stigmatisierung entgegenwirken, mehr Bewusstsein für die Erkrankung schaffen, dazu ermutigen, offen darüber zu sprechen und Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen.
  • Tiba Marchetti: „Ohne Worte“
    Tiba Marchettis ist Redakteurin der ORF Sendung „Am Schauplatz“. Als solche hat sie sich in der Reportage „Ohne Worte“ mit der Volkskrankheit Demenz auseinandergesetzt. Sie hat dafür Betroffene und Angehörige besucht und sich auch verschiedene Einrichtungen angesehen – vom Demenzdorf in Deutschland bis zum Pflegewohnheim in Wien.
    Sie thematisiert dabei eine Krankheit, über die nicht gerne geredet wird – obwohl etwa 140.000 Menschen in Österreich betroffen sind und sich die Zahl in den kommenden Jahrzehnten zumindest verdoppeln wird. Sie ging unter anderem den Fragen nach, wie diese versteckte Volkskrankheit verläuft, wie viele Jahre man damit leben kann und zeigt uns Zuschauer*innen, wie das Leben für Erkrankte und Angehörige aussieht.
  • Silke Weber „Die kranken Kinder von Moria“
    Die studierte Soziologin und Philologin Silke Weber behandelt in ihrem in der Zeit erschienenen Text eine sonderbare Krankheit: Augenscheinlich gesunde Kinder fallen während ihres Aufenthalts im Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos in totale Apathie. Sie versucht der Erkrankung auf den Grund zu gehen und setzt sich tiefergehend mit dem Resignation Syndrom auseinander. Dabei lässt sie die Leser*innen jedoch keine Sekunde vergessen, dass es Kinder und Jugendliche sind, die von der internationalen Gemeinschaft im Stich gelassen wurden.

Tag der psychischen Gesundheit im Wiener Rathaus

Der 3. Oktober 2022 stand in Wien ganz im Zeichen der psychischen Gesundheit. Auf Initiative des Wiener Gesundheitsverbundes (Wigev) und der Psychosozialen Dienste in Wien (PSD-Wien) wurde der Tag der psychischen Gesundheit im Wiener Rathaus begangen. Mehr als 50 Organisationen, die Beratung, Behandlungen oder Selbsthilfe zum Thema psychische Gesundheit, Krisen und Sucht in der Stadt Wien anbieten, haben sich im Wiener Rathaus präsentiert und einen Überblick über die vielfältige Landschaft ermöglicht.

Kinder- und Jugendpsychiatrie als Schwerpunkt

In einer Diskussion bei der Verleihung betonte der Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien, Georg Psota: „Kinder und Jugendliche waren in den vergangenen Jahren von der Pandemie besonders betroffen, hinzu kommen der Krieg in der Ukraine, die Klimakrise, die Teuerungen. Die Folgen andauernder psychischer Belastungen sind enorm. Zum Beispiel haben fehlende soziale Kontakte und damit einhergehende physische Einsamkeit haben unter anderem dazu geführt, dass Essstörungen und Depressionen gerade bei jungen Menschen stark zugenommen haben. Die Psychosoziale Versorgung muss personell massiv gestärkt werden.“ Psychiatriekoordinator Ewald Lochner forderte einmal mehr, dass sämtliche Hürden beim Zugang zum Medizinstudium abgebaut werden: „Wir brauchen dringend Fachärzt*innen! Es gab dieses Jahr 12.000 Teilnehmer*innen beim Medizin-Aufnahmetest – man ließ über 10.000 Interessierte einfach ziehen, weil es nicht genügend Studienplätze gibt. Es ist an der Zeit, zu begreifen, dass sich grundlegende Dinge im System ändern müssen.“ Gleichzeitig sei es ebenso wichtig, deutlich zu machen, dass eine psychische Erkrankung eine Krankheit ist, wie auch jede somatische ist.

Der Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien, Dr. Georg Prota (links), bei der Verleihung des Stephan-Rudas-Preises 2022.
(Copyright: Barbara Wirl)

Zum Beispiel haben fehlende soziale Kontakte und damit einhergehende physische Einsamkeit haben unter anderem dazu geführt, dass Essstörungen und Depressionen gerade bei jungen Menschen stark zugenommen haben.

Dr. Georg Psota, Chefarzt, Psychosoziale Dienste in Wien

Psychiater und Psychiatriereformer: Prof. Dr. Stephan Rudas (1944-2010)

„Die Seele ist ein unsichtbares Organ und wird übersehen, wenn man nicht über sie redet.” (15.12.2001) — Prof. Rudas hat nicht nur über die Seele geredet, sondern für sie gelebt. Ohne ihn hätte es die Wiener Psychiatriereform und den PSD-Wien nicht gegeben: Gemeinsam mit dem damaligen Stadtrat für Gesundheit und Soziales Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Alois Stacher (1925-2013) revolutionierte Prof. Rudas als PSD-Gründungschefarzt die psychiatrische Versorgung in Wien. Diese gesundheits- und sozialpolitisch höchst bedeutsame Epoche veränderte die Lebensrealität chronisch psychisch kranker Menschen fundamental.

Dr. Stephan Rudas

Neun Tipps, die helfen können

Offen über psychische Erkrankungen zu sprechen, erfordert Mut. Auf Twitter hat genau diesen Mut @FrauBadbits vorgemacht. Denn offen über unsere psychische Gesundheit zu reden, das kann auch anderen Kraft und Hoffnung geben. @FrauBadbits leidet unter Posttraumatische Belastungsstörung, Depressionen und Angststörungen. Nachdem sich die Panikattacken in letzter Zeit deutlich verringert haben und Angstzustände schon monatelang nicht mehr eingetreten sind, hat sie zusammengefasst, was ihr persönlich geholfen hat. Via Twitter hat sie diese Tipps geteilt – um anderen nicht nur Inspiration zu geben, sondern durch ihre persönlichen Erfahrungen auch Hoffnung zu erzeugen:

sich gegenseitig Halt geben
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1. WATCH YOUR BODY Ok ok, das machen Panikler*innen sowieso vielleicht ein bisschen zu viel. Aber macht es trotzdem, nur eben richtig. Lasst euch EINMAL von Ärzt*innen durchchecken. Wirklich. Nur ein einziges Mal. Und zwar nicht auf eine super seltene Krankheit, sondern lasst nachsehen, ob die gängigsten Auslöser für Angst und Depressionen bei euch ok sind. Das sind die Schilddrüse und Nährstoffe. Bei den Nährstoffen am üblichsten: Eisen, Zink, Selen, Jod, B12 und D3 Ist alles bei euch okay, dann ist es die Psyche. Und das ist nicht schön, aber ok.

Wieso das so wichtig ist? – ihr habt die Gewissheit, dass ihr körperlich ok seid und das hilft – wenn es euch körperlich nicht gut geht, seid ihr psychisch auch weniger widerstandfähig. Das ist normal. – wenn‘s eine körperliche Ursache hat, könnt ihr machen was ihr wollt: Es wird nicht besser, wenn die Ursache nicht behoben wird.

2. MOVE THAT ASS „Mach doch einfach Sport“ hat noch nie jemanden geholfen. Wird es auch nicht. Menschen mit Depressionen können nämlich oft gar kein Sport machen. Wenn sie es könnten, ginge es ihnen nicht so schlecht, wie es ihnen geht und das wäre schon gut. ABER:

Bewegung hilft leider tatsächlich. Und dabei muss es nicht mal Sport sein. Aufräumen, spazieren … die alltäglichen Dinge eben helfen oft auch schon. Und wenn‘s ganz doll am Antrieb hapert, hilft es mir immer, einen Timer zu stellen. Ich kann nicht alles schaffen, aber ich kann 5 oder 10 Minuten zumindest etwas schaffen. Und man fühlt sich gleich besser. Und zum Sport … tja.. also wenn ich einem psychisch kranken Menschen eine „Sportart“ empfehlen müsste, wäre es Yoga. Und zwar aus guten Gründen. Yoga hilft erwiesenermaßen am allerbesten. Wieso?

Ganz einfach. Man hampelt nicht sinnlos rum. Man kommt ins spüren. Man meditiert, kommt zur Ruhe und strengt sich doch manchmal ganz schön an. Alles in einem, sozusagen. Und man kann seine Praktik immer seiner Laune anpassen. Insbesondere „Umkehrhaltungen“ helfen ungemein, weil

Frau beim Betreiben von Sport
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3. BE SPIDER(WO)MAN Spinn dir ein Sicherheitsnetz. Such dir Leute, die dich verstehen. Online, in Selbsthilfegruppen. Vertrau dich Freunden und Familie an. Psychiater*innen, Therapeut*innen – alles was irgendwie helfen kann. Spinn dir ein Netz. Das ist mit das allerwichtigste!

4. FEED YOUR SOUL Mach mal die Augen zu. Also nur kurz. Atme mal tief ein und aus. Und dann frage dich, was dir gerade guttun würde. Irgendwas realistisches. Und wenn dir nichts einfällt: was hat dir in der Vergangenheit gutgetan? Wo hast du dich wohlgefühlt? Wobei hattest du Spaß? Wo konntest du Kraft tanken? Vielleicht möchtest du im Wald spazieren. Oder mal wieder schwimmen gehen. Vielleicht auch nur eine Tasse Tee trinken. Oder einen extra leckeren Kuchen essen. Was auch immer es ist, was dir guttut: tu es. So oft es geht. So viel es geht.

5. DANCE LIKE NO ONE IS WATCHING Das Leben ist ein Tanz. Kein Sprint. Nicht mal ein Marathon. Es ist ein Tanz. Mal gehts 2 Schritte vor, dann einen zurück. Vielleicht auch mal einen zur Seite. Wie auch immer. Tanze einfach in deinem Rhythmus.

Es ist völlig okay, wenn du ein paar Fortschritte gemacht hast und dann ein Rückschlag kommt. Oder wenn du merkst, dass du mit deiner Strategie nicht weiterkommst und du dann eine andere ausprobierst. Es ist nicht nur okay, sondern es ist richtig richtig gut, denn so lernst du unfassbar viel über dich und das Leben. Such dir den Soundtrack deines Lebens aus und dann Tanz dazu.

6. THE BEST VERSION OF YOU IS YOU Klingt komisch, ist aber so. Es gibt Gründe, sehr gute Gründe, warum es dir momentan nicht gut geht. Das ist nicht schön, aber okay. Du musst da sein, wo du gerade bist und wie du gerade bist, denn das ist genau richtig. Und wenn du das akzeptiert hast, dann mach nochmal die Augen zu, atme noch mal und dann stell dir mal vor, wie du wärst, wenn du absolut psychisch gesund und glücklich wärst. Wie würde sich das anfühlen? Was wäre in deinem Leben anders? Was würdest du anders machen? Mach‘s!

7. BETTER SAVE THAN SORRY Macht euch einen Notfallplan. Wenn ihr wisst, dass ihr in eine für euch schwierige Situation macht, bereitet euch vor. Fragt euch, was das absolute Worst-Case-Szenario ist (das wisst ihr ja eh) und dann überlegt euch Handlungsoptionen.

Beispiel: ich bin mit BFK alleine zuhause. Worst-Case: er verletzt sich und muss ins Krankenhaus. Und ich hab kein Auto. Handlung im Fall: Rettungswagen rufen Alternativer Gedanke: bisher ist das noch nicht passiert. Ich kann gut auf mich und mein Kind aufpassen.

Notausgang-Schild
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8. KNOW YOUR ENEMY Psychische Erkrankungen haben viele Gesichter. Und zwar alle. Kenne deine ganz genau. Erkenne sie frühzeitig. Lerne alles über deine Erkrankung. Je besser du sie verstehst, desto besser kannst du dich wappnen. Wusstet ihr zum Beispiel, dass man sein Gehirn voll gut verarschen kann? Wenn man 2 Minuten lächelt, fängt das Gehirn an, Glückshormone auszuschütten. Die Muskeln, die man zum Lächeln braucht sagen den Nerven „keine Ahnung warum, aber ich scheine fröhlich zu sein“ und die Nerven sagen „ok alles klar, ich sag’s dem Gehirn“. Das Gehirn checkt die Lage und denkt sich „komisch, fröhlich sehe ich hier nicht, aber die Muskeln müssen es ja wissen. Hier paar Botenstoffe, will ja niemandem im Weg stehen“

9. IT’S ONLY CHEMISTRY Bei psychischen Erkrankungen herrscht immer ein chemisches Ungleichgewicht im Gehirn vor. Das kann man ausgleichen. Mit Sport zum Beispiel. Es sei denn, man ist krank, dann nicht. Weil man dann kein Sport machen kann. Aber dann kann man Medikamente nehmen, die dafür sorgen, dass es euch besser geht im besten Fall. Viele Antidepressiva zum Beispiel funktionieren so, dass sie die Wiederaufnahme von Serotonin hemmen. Das bedeutet, Serotonin (macht glücklich) bleibt länger im synaptischen Spalt. Ich will jetzt nicht so sehr ausschweifen. Nur kurz gesagt: die eine Zelle sagt der anderen länger, dass es euch gut geht. Man kann’s ja mal probieren.

Nachtrag: mein Wissen bezüglich Antidepressiva ist offensichtlich veraltet. Das liegt daran, dass ich mich 1x schlau gemacht hab, bevor ich zum ersten Mal welche nahm. Das war mit 18 – seitdem nicht mehr, weil es für mich plausibel klang und die Medikamente mir heute noch helfen.

Ein langer, aber lohnender Weg

„Das zentrale Anliegen ist, Menschen in seelischer Not Halt und Hoffnung zu vermitteln.“

Kinder-und Jugendpsychiater*in zu sein, bedeutet eine große Verantwortung auf sich zu nehmen. Und es bedeutet, eine fundierte Ausbildung hinter sich zu bringen. Im Fall von Dr. Christian Scharinger ist dies eine Dauer von insgesamt elf Jahren nach Abschluss des Medizinstudiums, die aber „im Rückblick schnell verflogen sind“, wie er sagt. Derzeit ist er Assistenzarzt an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Medizinischen Universität Wien.

Schon während der Studien der Humanmedizin und der Psychologie habe er sich für das Fach Psychiatrie interessiert und viele Lehrveranstaltungen in diesem Bereich besucht, berichtet er. Bis zur Tätigkeit in der Kinder- und Jugendpsychiatrie dauerte es dennoch eine ganze Weile. Dr. Scharinger begann eine Psychotherapieausbildung und forschte im Feld der Psychiatrie. Nach dem Medizinstudium begann die sechsjährige Ausbildung zum Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin. Nach dem Abschluss begann die wiederum etwas mehr als fünf Jahre dauernde Ausbildung zum Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, in der selbstverständlich von Beginn an bereits mit Patient*innen gearbeitet wird.

Nach einer Krise wieder Sinn und Freude am Leben finden

Ausschlaggebend für die Wahl dieses doch langwierigen Berufsweges sei das „Interesse für die frühen Phasen von psychischen Erkrankungen“ gewesen, sagt er. „Den Bereich der Früherkennung und Frühintervention bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie deren Familien finde ich besonders faszinierend und herausfordernd.“

Der Lohn für die Anstrengungen während der Ausbildung liegt darin, „wenn junge Menschen nach Krisen wieder Sinn und Freude am Leben finden und ihr Herz wieder an etwas oder jemanden hängen können“, betont er. Sich auf junge Menschen einlassen zu können ist mindestens ebenso wichtig, wie die medizinische Seite des Berufs. Die zentrale Aufgabe sei es, Menschen in seelischer Not Halt und Hoffnung zu vermitteln.

Teamplayer

„Kinder und Jugendpsychiatrie ist ein Fach für Teamplayer. Unsere Arbeit findet in der Zusammenarbeit von vielen Berufsgruppen statt, die jeweils unterschiedliche professionelle Blicke auf Kinder und Jugendliche richten.“ Neben dem medizinisch-diagnostischen Blick der Kinder- und Jugendpsychiater*innen wird das System Familie durch die Zusammenarbeit mit Gesundheits- und Krankenpflege, der klinischen Psychologie, Ergotherapie, Logopädie, Sozialpädagogik, klinischer Sozialarbeit, Physiotherapie, Musiktherapie, Sonder-Heilpädagogik und den vielfältigen Methoden der Psychotherapie ganzheitlich betrachtet.

“Unsere Arbeit findet in der Zusammenarbeit von vielen Berufsgruppen statt, die jeweils unterschiedliche professionelle Blicke auf Kinder und Jugendliche richten.”

Als größte Herausforderung bezeichnet Scharinger den Faktor Zeit. „Häufig kommt es erst dann zu einer ersten Kontaktaufnahme mit einer kinder- und jugendpsychiatrischen Abteilung, wenn sich Probleme schon über einen längeren Zeitraum entwickelt haben und sich die Situation sehr zugespitzt hat. Es ist oft eine sehr große Herausforderung, in einer solchen Situation eine schrittweise Lösung und Verbesserung gemeinsam mit dem Kind und seiner Familie zu erarbeiten“, so der Kinder-und Jugendpsychiater.

Wunsch

Wünschen würde er sich, dass es ein breiteres Angebot für Familien mit Kindern und Jugendlichen in Krisen gibt, „damit diese bereits früher Unterstützung annehmen können.“

Hands-on Mentalität und psychische Stabilität als Voraussetzung

„Wenn es Patient*innen im Zuge einer Behandlung erstmals gelingt, mich anzubrüllen und offen wütend auf mich zu sein, finde ich das großartig“

Theres Graf arbeitet derzeit als Assistenzärztin an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Medizinischen Universität Wien. Sie befindet sich im vierten Ausbildungsjahr. Der Weg bis zu dem Moment, an dem sie wusste, dass das „genau das ist, was ich immer machen wollte“, wie sie ihren heutigen Beruf bezeichnet, war allerdings kein geradliniger. Erst kurz vor Abschluss eines Betriebswirtschaftsstudiums „habe ich den Mut gefasst, mich für einen Bereich zu entscheiden, der mich so richtig begeistert“, erzählt sie und meldete sich für die die Aufnahmeprüfung in Medizin an. Das Studium der Kommunikationswissenschaft, das sie parallel zum Betriebswirtschaftsstudium begonnen hatte, setzte sie fort. Neben dem Medizinstudium arbeitet sie als PR- und Marketingassistentin, wodurch sie sich „das Jobben in der Gastronomie aus früheren Tagen ersparte.“

“Nach der ersten Famulatur, war ich sicher, dass ich dieses und nur dieses Fach machen wollen würde.“

Doch auch während des Medizinstudiums dauerte es Jahre, bis sie auf die Kinder- und Jugendpsychiatrie aufmerksam wurde und sich schlussendlich dafür entschied: „Ich wusste bis zu meinem vierten Studienjahr gar nicht, in welche Richtung ich nach Abschluss meines Medizinstudiums gehen wollen würde. Ich hatte Neurologie, Gynäkologie und Allgemeinmedizin in Erwägung gezogen, war aber eigentlich nicht einmal sicher, ob ich überhaupt Ärztin werden würde. Während meines vierten Studienjahres habe ich mir dann die fachärztlichen Ausbildungsordnungen angesehen, und bin dabei erstmals auf das Fach Kinder- und Jugendpsychiatrie aufmerksam geworden. Beim Durchlesen der Ausbildungsordnung habe ich gedacht: Das ist genau, was ich immer machen wollte; ich wusste bloß bislang nicht, dass es dazu eine Fachrichtung gibt. Nach der ersten Famulatur, war ich sicher, dass ich dieses und nur dieses Fach machen wollen würde.“

Hohe Individualität

Als Besonderheit in ihrem Beruf sieht sie, dass neben den Patient*innen auch das unmittelbare Umfeld, wie Familien und/oder Betreuungseinrichtungen, in den Arbeitsprozesseingebunden werden muss. Außerdem schätzt sie die hohe Individualität: „Da jede Psyche einzigartig ist, bleibt mein Beruf stets spannend“, sagt Graf.

Behandlungserfolge sind natürlich besonders schön. Dass diese manchmal anders aussehen als in anderen medizinischen Fachrichtungen macht sie an einem eindrücklichen Beispiel deutlich: „Wenn es beispielsweise einer Patientin mit Magersucht, die immer entsprechen möchte, im Zuge einer Behandlung erstmals gelingt, mich anzubrüllen und offen wütend auf mich zu sein, finde ich das großartig.“  

“Man muss sich aber auch abgrenzen können und manchmal auch die Grenzen der Behandlungsmöglichkeiten akzeptieren lernen.”

Als wichtigste Charaktereigenschaften, die man als Kinder- und Jugendpsychiater*in mitbringen muss, sieht sie Hands-on Mentalität und psychische Stabilität sowie die Freude an der Entwicklung kreativer Lösungen. Man muss sich aber auch abgrenzen können und manchmal auch die Grenzen der Behandlungsmöglichkeiten akzeptieren lernen. Darüber hinaus benötigt man tragfähige berufliche und private Netzwerke, die in schwierigen Phasen Unterstützung bieten. 

Mangelsituationen als größte Herausforderung

Als größte Herausforderung empfindet sie die Mangelsituation in vielen Bereichen. Einerseits die ökonomischen Schwierigkeiten die entstehen, wenn etwa mehrere Kinder einer Familie Unterstützung brauchen, oder wenn die finanziellen Ressourcen gering sind. Aber auch bei den Angeboten, wie etwa tagesklinische Therapiezyklen, bei denen der Bedarf „bei weitem“ nicht gedeckt ist.

Theres Graf, Dr.in

Ein ungewöhnlicher Werdegang

Von der Betriebswirtschaftslehre über die Mathematik zur Kinder- und Jugendpsychiatrie

Mercedes Bock ist Kinder-und Jugendpsychiaterin. Sie hat Humanmedizin studiert und sich auf das Fach Kinder- und Jugendpsychiatrie spezialisiert. Heute arbeitet sie am Kinder- und Jugendpsychiatrischen Ambulatorium mit Tagesklinik in der Kölblgasse im 3. Bezirk in Wien. Sie ist aber auch studierte Betriebswirtin, Psychologin und Mathematikerin. Und hat eine Psychotherapieausbildung.

Warum hat sie sich schlussendlich für die Kinder- und Jugendpsychiatrie entschieden? „Ich habe zunächst Internationale Betriebswirtschaftslehre studiert und auch in diesem Bereich gearbeitet. All das war allerdings an einem wesentlichen Interesse –  dem Verstehen und Unterstützen von Menschen in ihren unterschiedlichen Lebenswelten und Lebensherausforderungen – vorbei. So habe ich mich mit Mitte 20 gezielt für ein Medizinstudium entschieden, um Kinder- und Jugendpsychiaterin zu werden. Wenn ich so zurückschaue, würde ich diese Entscheidung genauso wieder treffen“, sagt sie heute.

Beitrag zur Entstigmatisierung

Bei ihrer Tätigkeit liebt sie die Spannung und Abwechslung. „Es geht um die Gestaltung eines gemeinsamen Prozesses mit Kindern und Jugendlichen, aber auch deren Umfeld, und das in Zusammenarbeit mit verschiedenen Berufsgruppen. In unserem Fach gibt es sehr viele Möglichkeiten an innovativen Konzepten mitzuarbeiten und diese weiter zu entwickeln.“ Sie sieht es aber auch als eine ihrer Aufgaben, einen Beitrag zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen zu leisten, denn diese sei weiterhin sehr hoch. „Das spiegelt sich in festgefahrenen Meinungen, aber auch in entwertenden Ratschlägen an Kinder und Jugendliche wider (zB „lass den Blödsinn sein“, oder „streng dich mehr an“)“, stellt sie fest.

Hohe emotionale Anforderungen

Wird sie nach den größten Herausforderungen gefragt, fallen ihr zunächst die hohen emotionalen Anforderungen ein. Wie auch in vielen anderen Berufen im Gesundheits- und Sozialbereich, sind auch im Umfeld der Kinder- und Jugendpsychiatrie überwiegend Frauen tätig, die oftmals auch in ihrem persönlichen und außerberuflichen Umfeld intensive Leistungen erbringen müssen. Die Koordination im multiprofessionellen Team und die Kooperationen im Umfeld der Patient*innen bezeichnet Bock als eine der schönsten Facetten des Berufs, gleichzeitig aber auch als eine sehr herausfordernde, gerade auch logistisch.

Was muss man eigentlich mitbringen, um Kinder- und Jugendpsychiaterin zu werden? Für Bock, die vieles studiert und in mehreren Bereichen gearbeitet hat, sind Kreativität, Spontaneität und Flexibilität entscheidend. Gleichzeitig benötigt man eine gewisse innere Ruhe, Neugierde und Offenheit immer wieder, durchaus auch konfrontativ, über sich selbst nachzudenken, meint sie.

Mercedes Bock, Kinder- und Jugendpsychiaterin