Armut ist Gefahr für psychische Gesundheit

Finanzielle Armut und psychische Gesundheit stehen in einem engen Zusammenhang. Um Verbesserungen zu erzielen, gilt es an vielen Schrauben zu drehen. Das war das Resümee eines Facebook live Talks von Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien, Sybille Pirklbauer, Leiterin der Abteilung Sozialpolitik der AK Wien und Pia Zhang, Referentin für Gesundheitspolitik der AK Wien.

Einige psychische Erkrankungen beginnen bereits im juvenilen Alter. Wenn diese nicht behandelt werden, haben sie einen massiven Einfluss auf die Lebensbiographie. Psychische Erkrankungen führen aber oftmals auch im späteren Leben zu einem Verlust des Arbeitsplatzes und finanziellen Einbußen. Gleichzeitig wissen wir, dass das untere Einkommensdrittel deutlich schwerer unter psychischen Belastungen leidet und häufiger erkranken.

Henne-EI-Problem

„Der Zusammenhang zwischen finanzieller Armut und psychischer Gesundheit ist ein bisschen ein Henne-Ei-Problem. Fest steht, dass es einen starken Zusammenhang in beide Richtungen gibt“, sagte Lochner. Außerdem sind nicht alle Menschen gleich betroffen. „Die krisenhaften Situationen der letzten Jahre haben gezeigt, dass jene Menschen, die schon vor dem Ausbruch der Pandemie belastet waren, auch von den Konsequenzen übermäßig belastet sind“, so Lochner.

Unsicherheiten im Berufsleben führen zu Stresssituationen. Aktuell werden diese durch die Teuerung weiter verschärft und verstärken sich mit der prekären Situation am Arbeitsmarkt. „Eine soziale Absicherung, gerade auch für arbeitslose Menschen, die derzeit 55% des letzten Einkommens erhalten, ist notwendig. Eine Anhebung des Arbeitslosengeldes auf zumindest 70 Prozent würde den Arbeitnehmer*innen auch helfen, um wieder Kraft zu tanken“, forderte Pirklbauer.  

Arbeitsplatzgestaltung entscheidend

Neben der besseren finanziellen Absicherung, spielt die Arbeitsplatzgestaltung eine entscheidende Rolle. „Arbeitgeber*innen sind dabei im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht in der Pflicht, den Arbeitsplatz so zu gestalten, dass weniger psychische Belastungen stattfinden“, erläuterte Pirklbauer weiter. Ursachen für psychische Belastungen seien oftmals auf Diskriminierungen und Belästigungen jeglicher Art zurückzuführen. Aber auch Überlastungen durch lange Arbeitszeiten oder schwer planbare Arbeitszeiten bereiten Herausforderungen.

Der aktuelle Fehlzeitenreport zeigt klar: psychische Erkrankungen sind in den letzten Jahrzehnten im Steigen begriffen. Vor allem braucht man bei psychischen Erkrankungen oft länger, bis man sich wieder zutraut in den Beruf einzusteigen. „Und wenn die Mitarbeiter*innen wieder eingestiegen sind, müssen sie oftmals kurze Zeit später nochmals in den Krankenstand, weil sich im Betrieb nichts geändert hat und die belastende Situation weiter bestehen bleibt“, wies Zhang auf eine Herausforderung und die dahinterliegenden Zahlen hin.

Fit2work stärker nützen

Bereits gesetzte Maßnahmen, wie etwa die Wiedereingliederungsteilzeit und fit2work bewerten die Expert*innen positiv. „Allerdings wird es immer noch viel zu wenig genutzt. „Nur 17 Prozent der Menschen in Langzeitkrankenständen nehmen dies in Anspruch. Überhaupt nur ein Prozent der Unternehmen lässt sich beraten“, so Zhang. Dabei sei ein stärkerer Fokus auf psychische Erkrankungen bei den Gesundheitsmaßnahmen auch für Betriebe und den Staat von Vorteil, da dadurch massiv Kosten eingespart werden.  

Ausbilden, ausbilden, ausbilden

„In der heutigen Arbeitswelt sehen wir einerseits Angst vor verschlechternden Arbeitsbedingungen, etwa durch mehr Arbeit bei gleichbleibendem Gehalt. Andererseits brechen, gerade bei vielen jüngeren Arbeitnehmer*innen, Lebenskonzepte zusammen, die gelautet haben: gute Ausbildung führt automatisch zu gutem Auskommen. Sie sehen, dass das nicht funktionieren wird. Dem müssen wir Rechnung tragen“, betonte Lochner, der vor allem drei Dinge forderte: erstens ausbilden, ausbilden, ausbilden. Das gelte für Ärzt*innen, Pflegepersonal und Sozialpädagog*innen. Hürden müssen abgebaut werden, etwa beim Medizinstudium. Zweitens müssen Behandlungssysteme näher an die Lebensrealität der Patient*innen angepasst werden, das heißt niederschwellig, leicht erreichbar und mit dem Beruf vereinbar. Selbiges gälte, als dritter Punkt, für das Finanzierungssystem. Auch das muss sich stärker am Bedarf der Patient*innen orientieren.    

Bewusstsein für psychische Erkrankungen erhöhen

Das Bewusstsein für psychische Erkrankungen sei auch in den Betrieben deutlich ausbaufähig, konstatierte Pirklbauer. Außerdem brauche es Arbeitsbedingungen, die nicht psychisch krank machen. Im Falle einer Erkrankung ist es notwendig, diese rasch zu erkennen und Expertise zu holen. Und sollten Erkrankungen zu Arbeitsausfällen führen, müssen Chancen gegeben sein, wieder zurückzukehren.

Für Zhang ist der kostenlose, niederschwellige Zugang zu Gesundheitsleistungen eine Grundforderung. Und dies in einem ausreichenden Ausmaß. Auch wenn das Angebot durch die ÖGK kürzlich erhöht wurde, sei der Bedarf noch lange nicht gedeckt. „Eine lange Wartezeit auf eine Behandlung hat eine massive Auswirkung auf die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Menschen“, warnte sie und sprach auch eine weitere Risikogruppe in diesem Zusammenhang an: pflegende Angehörige, deren Aufgabe zu einer extrem starken psychischen Belastung führe.

World Mental Health Day: „Reden ist die beste Form, um Stigma hintanzustellen“

Der 30. World Mental Health Day der WHO am 10. Oktober stand unter dem Motto: „Reden hebt die Stimmung – Seelisch gesund in unserer Gesellschaft“. Der Chefarzt der Psychosozialen Dienst in Wien, Dr. Georg Psota, sprach bei einer Veranstaltung im 5. Bezirk in Wien über die Bedeutung der psychosozialen Gesundheit und Wege zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen.

„Rund ein Drittel bis ein Viertel der Bevölkerung in unseren Breiten leidet einmal pro Jahr an psychischen Problemen. Die Verläufe sind, wie bei jeder somatischen Krankheit auch, leicht bis schwer bzw. akut bis chronisch. Nachdem nicht immer dasselbe Drittel von einer Erkrankung betroffen ist, kann man sich leicht ausrechnen, dass im Verlauf eines Lebens, fast jeder Mensch mit psychosozialen Herausforderungen zu kämpfen hat“, skizzierte Dr. Psota die dramatische Situation.

Dr. Georg Psota bei der Veranstaltung zum World Mental Health Day (Copyright: PSD-Wien)

Freundschaft erhält die Gesundheit
„Es gibt eine Vielzahl von Faktoren, die die Gesundheit beeinflussen: Nicht rauchen natürlich, geringer Alkoholkonsum und viel Bewegung. Der wichtigste Faktor aber um die Gesundheit zu erhalten, und das zeigen eine Vielzahl von Studien, ist die Pflege von Freundschaften. Denn der Mensch ist ein soziales Wesen, das von Kommunikation abhängig ist“, so Psota.

Es gibt keine Gesundheit ohne psychische Gesundheit!

Dr. Georg Psota

Hilfe in Anspruch nehmen
Um der immer noch vorherrschenden Stigmatisierung psychischer Erkrankungen entgegenzutreten, empfiehlt Dr. Psota das Reden. „Reden ist die beste Form, um das Stigma hintanzuhalten.“ Dies gelte für Betroffene, die sich so schnell wie möglich Hilfe holen sollen und nicht aus Angst lange zuwarten dürfen. „Es kann nicht sein, dass man monatelang nicht schlafen kann, ständig abnimmt und andere Symptome aufweist, bevor man Hilfe in Anspruch nimmt. Man darf sich davor nicht scheuen“, warnt Dr. Psota. Ähnliches gilt auch für die Umgebung, Familie und Freunde. „Sprechen sie das Problem an, wenn sie sich Sorgen machen“, appelliert er.
„Meine Hoffnung ist es, dass wir bald gemeinsam eine große Geschichte erzählen: die Geschichte von der Psyche, die hohen Risiken ausgesetzt ist“, so Dr. Psota.

World Mental Health Day
Die Veranstaltung World Mental Health Day fand auf Einladung von Onesoc im Creative Cluster im 5. Wiener Gemeindebezirk statt. Neben Dr. Psota sprachen auch Bezirksrätin und Vorsitzende der Kommission für Gesundheit, Soziales und Prävention, Mag.a Katharina Ranz, die Beraterin, Coach und Expertin für mentale Fitness und Verhaltensveränderung, Eva Gruber, die Fachbereichsleiterin Selbsthilfe bei pro mente Wien, Christine Reinhardt und der CEO von The Impressive Company, Nikodemus Wagner.

Neun Tipps, die helfen können

Offen über psychische Erkrankungen zu sprechen, erfordert Mut. Auf Twitter hat genau diesen Mut @FrauBadbits vorgemacht. Denn offen über unsere psychische Gesundheit zu reden, das kann auch anderen Kraft und Hoffnung geben. @FrauBadbits leidet unter Posttraumatische Belastungsstörung, Depressionen und Angststörungen. Nachdem sich die Panikattacken in letzter Zeit deutlich verringert haben und Angstzustände schon monatelang nicht mehr eingetreten sind, hat sie zusammengefasst, was ihr persönlich geholfen hat. Via Twitter hat sie diese Tipps geteilt – um anderen nicht nur Inspiration zu geben, sondern durch ihre persönlichen Erfahrungen auch Hoffnung zu erzeugen:

sich gegenseitig Halt geben
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1. WATCH YOUR BODY Ok ok, das machen Panikler*innen sowieso vielleicht ein bisschen zu viel. Aber macht es trotzdem, nur eben richtig. Lasst euch EINMAL von Ärzt*innen durchchecken. Wirklich. Nur ein einziges Mal. Und zwar nicht auf eine super seltene Krankheit, sondern lasst nachsehen, ob die gängigsten Auslöser für Angst und Depressionen bei euch ok sind. Das sind die Schilddrüse und Nährstoffe. Bei den Nährstoffen am üblichsten: Eisen, Zink, Selen, Jod, B12 und D3 Ist alles bei euch okay, dann ist es die Psyche. Und das ist nicht schön, aber ok.

Wieso das so wichtig ist? – ihr habt die Gewissheit, dass ihr körperlich ok seid und das hilft – wenn es euch körperlich nicht gut geht, seid ihr psychisch auch weniger widerstandfähig. Das ist normal. – wenn‘s eine körperliche Ursache hat, könnt ihr machen was ihr wollt: Es wird nicht besser, wenn die Ursache nicht behoben wird.

2. MOVE THAT ASS „Mach doch einfach Sport“ hat noch nie jemanden geholfen. Wird es auch nicht. Menschen mit Depressionen können nämlich oft gar kein Sport machen. Wenn sie es könnten, ginge es ihnen nicht so schlecht, wie es ihnen geht und das wäre schon gut. ABER:

Bewegung hilft leider tatsächlich. Und dabei muss es nicht mal Sport sein. Aufräumen, spazieren … die alltäglichen Dinge eben helfen oft auch schon. Und wenn‘s ganz doll am Antrieb hapert, hilft es mir immer, einen Timer zu stellen. Ich kann nicht alles schaffen, aber ich kann 5 oder 10 Minuten zumindest etwas schaffen. Und man fühlt sich gleich besser. Und zum Sport … tja.. also wenn ich einem psychisch kranken Menschen eine „Sportart“ empfehlen müsste, wäre es Yoga. Und zwar aus guten Gründen. Yoga hilft erwiesenermaßen am allerbesten. Wieso?

Ganz einfach. Man hampelt nicht sinnlos rum. Man kommt ins spüren. Man meditiert, kommt zur Ruhe und strengt sich doch manchmal ganz schön an. Alles in einem, sozusagen. Und man kann seine Praktik immer seiner Laune anpassen. Insbesondere „Umkehrhaltungen“ helfen ungemein, weil

Frau beim Betreiben von Sport
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3. BE SPIDER(WO)MAN Spinn dir ein Sicherheitsnetz. Such dir Leute, die dich verstehen. Online, in Selbsthilfegruppen. Vertrau dich Freunden und Familie an. Psychiater*innen, Therapeut*innen – alles was irgendwie helfen kann. Spinn dir ein Netz. Das ist mit das allerwichtigste!

4. FEED YOUR SOUL Mach mal die Augen zu. Also nur kurz. Atme mal tief ein und aus. Und dann frage dich, was dir gerade guttun würde. Irgendwas realistisches. Und wenn dir nichts einfällt: was hat dir in der Vergangenheit gutgetan? Wo hast du dich wohlgefühlt? Wobei hattest du Spaß? Wo konntest du Kraft tanken? Vielleicht möchtest du im Wald spazieren. Oder mal wieder schwimmen gehen. Vielleicht auch nur eine Tasse Tee trinken. Oder einen extra leckeren Kuchen essen. Was auch immer es ist, was dir guttut: tu es. So oft es geht. So viel es geht.

5. DANCE LIKE NO ONE IS WATCHING Das Leben ist ein Tanz. Kein Sprint. Nicht mal ein Marathon. Es ist ein Tanz. Mal gehts 2 Schritte vor, dann einen zurück. Vielleicht auch mal einen zur Seite. Wie auch immer. Tanze einfach in deinem Rhythmus.

Es ist völlig okay, wenn du ein paar Fortschritte gemacht hast und dann ein Rückschlag kommt. Oder wenn du merkst, dass du mit deiner Strategie nicht weiterkommst und du dann eine andere ausprobierst. Es ist nicht nur okay, sondern es ist richtig richtig gut, denn so lernst du unfassbar viel über dich und das Leben. Such dir den Soundtrack deines Lebens aus und dann Tanz dazu.

6. THE BEST VERSION OF YOU IS YOU Klingt komisch, ist aber so. Es gibt Gründe, sehr gute Gründe, warum es dir momentan nicht gut geht. Das ist nicht schön, aber okay. Du musst da sein, wo du gerade bist und wie du gerade bist, denn das ist genau richtig. Und wenn du das akzeptiert hast, dann mach nochmal die Augen zu, atme noch mal und dann stell dir mal vor, wie du wärst, wenn du absolut psychisch gesund und glücklich wärst. Wie würde sich das anfühlen? Was wäre in deinem Leben anders? Was würdest du anders machen? Mach‘s!

7. BETTER SAVE THAN SORRY Macht euch einen Notfallplan. Wenn ihr wisst, dass ihr in eine für euch schwierige Situation macht, bereitet euch vor. Fragt euch, was das absolute Worst-Case-Szenario ist (das wisst ihr ja eh) und dann überlegt euch Handlungsoptionen.

Beispiel: ich bin mit BFK alleine zuhause. Worst-Case: er verletzt sich und muss ins Krankenhaus. Und ich hab kein Auto. Handlung im Fall: Rettungswagen rufen Alternativer Gedanke: bisher ist das noch nicht passiert. Ich kann gut auf mich und mein Kind aufpassen.

Notausgang-Schild
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8. KNOW YOUR ENEMY Psychische Erkrankungen haben viele Gesichter. Und zwar alle. Kenne deine ganz genau. Erkenne sie frühzeitig. Lerne alles über deine Erkrankung. Je besser du sie verstehst, desto besser kannst du dich wappnen. Wusstet ihr zum Beispiel, dass man sein Gehirn voll gut verarschen kann? Wenn man 2 Minuten lächelt, fängt das Gehirn an, Glückshormone auszuschütten. Die Muskeln, die man zum Lächeln braucht sagen den Nerven „keine Ahnung warum, aber ich scheine fröhlich zu sein“ und die Nerven sagen „ok alles klar, ich sag’s dem Gehirn“. Das Gehirn checkt die Lage und denkt sich „komisch, fröhlich sehe ich hier nicht, aber die Muskeln müssen es ja wissen. Hier paar Botenstoffe, will ja niemandem im Weg stehen“

9. IT’S ONLY CHEMISTRY Bei psychischen Erkrankungen herrscht immer ein chemisches Ungleichgewicht im Gehirn vor. Das kann man ausgleichen. Mit Sport zum Beispiel. Es sei denn, man ist krank, dann nicht. Weil man dann kein Sport machen kann. Aber dann kann man Medikamente nehmen, die dafür sorgen, dass es euch besser geht im besten Fall. Viele Antidepressiva zum Beispiel funktionieren so, dass sie die Wiederaufnahme von Serotonin hemmen. Das bedeutet, Serotonin (macht glücklich) bleibt länger im synaptischen Spalt. Ich will jetzt nicht so sehr ausschweifen. Nur kurz gesagt: die eine Zelle sagt der anderen länger, dass es euch gut geht. Man kann’s ja mal probieren.

Nachtrag: mein Wissen bezüglich Antidepressiva ist offensichtlich veraltet. Das liegt daran, dass ich mich 1x schlau gemacht hab, bevor ich zum ersten Mal welche nahm. Das war mit 18 – seitdem nicht mehr, weil es für mich plausibel klang und die Medikamente mir heute noch helfen.