Schlafstörungen und psychische Gesundheit

Durchschlafen, schneller Einschlafen – Schlaf beschäftigt uns und bestimmt, wie unser Tag verläuft. Wir haben den Experten Prim. Dr. Sergio Rosales-Rodríguez zu Schlafstörungen und psychischer Gesundheit befragt. Und uns gleich ein paar Tipps geholt. Dr. Rosales-Rodríguez ist Ärztlicher Leiter des Instituts für Psychiatrische Frührehabilitation und des Sozialpsychiatrischen Ambulatorium Floridsdorf.

DRW: Wie hängen Schlaf und Psyche zusammen?

Dr. Rosales-Rodríguez: Schlaf und psychische Erkrankung hängen eng zusammen. Auch in der Diagnose zahlreicher psychischer Erkrankungen spielen Schlafstörungen eine Rolle: Das verdeutlicht den großen Zusammenhang. Bei deliranten Zustandsbildern kommt es beispielsweise zu einer Schlaflosigkeit oder Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus. Bei manischen Zuständen sehen wir ein reduziertes Schlafbedürfnis und bei depressiven Zuständen wiederum sehen wir oft ein Früherwachen.

DRW: Wie viel Schlaf ist zu wenig?

Dr. Rosales-Rodríguez: Bei dieser Frage muss man vorsichtig sein. Die Menschen hören immer „man sollte acht Stunden am Tag schlafen.“. Zum größten Teil kommen diese Aussagen aus Untersuchungen der allgemeinen Population. Leute werden gefragt: „Wie viele Stunden schlafen sie am Tag?“ Die Antworten sind natürlich verschieden und es kommt zu einer bestimmten Bandbreite. Am Ende wird aber ein Durchschnitt errechnet: acht Stunden. Das heißt nicht, dass alles darunter oder darüber krankheitswertig ist, es heißt nur, dass im Durchschnitt die Leute acht Stunden schlafen. Warum erkläre ich das? Weil letztendlich die Gesamtschlafzeit eine große Rolle spielt, wenn diese in Zusammenhang mit dem individuellen Schlafbedürfnis betrachtet wird.

DRW: Was passiert, wenn das Schlafbedürfnis nicht erfüllt wird?

Dr. Rosales-Rodríguez: Wenn tatsächlich eine reduzierte Gesamtschlafzeit bezogen auf das individuelle Schlafbedürfnis seit längerer Zeit besteht – also, wenn eine Person an ihren Bedürfnissen gemessen insgesamt zu wenig schläft – ist mit psychischen und organischen gesundheitlichen Folgen zu rechnen. Der Einfluss von reduzierter Gesamtschlafzeit auf psychische Erkrankungen, aber auch auf das Immunsystem oder endokrine Erkrankungen wie Diabetes ist erwiesen. Ebenfalls kann eine chronisch verkürzte Gesamtschlafzeit zu einer Verkürzung der Lebenszeit führen.

DRW: (Ab) Wann sollte ich mir professionelle Hilfe suchen?

Dr. Rosales-Rodríguez: Professionelle Hilfe sollte jederzeit bekannt und verfügbar sein. Vor allem in Hinblick auf die Überflutung an Informationen, die durch die vielen (digitalen) Medien verursacht wird. Als Laie wird es noch schwieriger, die Richtigkeit von Aussagen zu überprüfen. Daher ist professionelle Hilfe wichtig – auch im Sinne einer primären Prävention. Das heißt, bevor überhaupt Beschwerden auftreten, können Maßnahmen ergriffen werden, um die eigene Gesundheit zu erhalten.

DRW: Wie können Fehlinformationen bezüglich Schlaf schaden?

Dr. Rosales-Rodríguez: Bestimmte Menschen haben für sich gewisse Regeln aufgestellt, die eher Krankheiten begünstigen. Wenn ich zum Beispiel denke: „Der beste Schlaf entsteht vor 19 Uhr“, weil ich das irgendwo gelesen habe, werde ich versuchen, mich früher schlafen zu legen. Höchstwahrscheinlich werde ich aber erst nach ein paar Stunden Liegezeit einschlafen können. Das führt dazu, dass ich mich dann jedes Mal ärgern werde, wenn ich nicht rechtzeitig schlafen kann. Es kommt in weiterer Folge zu einer Anspannung vor dem Schlafengehen, was wiederum die Einschlafzeit verlängern wird, da ich nicht angespannt einschlafen kann. Es entsteht ein Kreislauf, was mit einer Insomnie endet, der durch eine professionelle Psychoedukation rechtzeitig unterbrochen hätte werden können. Natürlich ist professionelle Hilfe zu holen, wenn Schlafstörungen die Lebensqualität, egal auf welcher Ebene, mindern. Optimal wäre es natürlich, sich viel früher Hilfe zu holen.

Tipps für bessere Schlafgewohnheiten:

  • Schlafstätte nur für Schlaf und sexuelle/intime Aktivität nutzen: So kannst du sich selbst konditionieren. Das Bett bedeutet Schlafen, wenn man sich dort hinlegt.  
  • Routine hilft: Versuch so oft es geht zur gleichen Uhrzeit ins Bett zu gehen.
  • Zur Schlafenszeit keine aufputschenden Substanzen konsumieren (Koffein, Alkohol, schwere Mahlzeiten)
  • Aktivierende Aktivitäten (z.B. Sport) ausschließlich unter Tags betreiben: Als große Faustregel könnte man sagen, sei aktiv während des Tages und treibe eher entspannende Aktivitäten in den Abendstunden.
  • Runterkommen: Abends ein Buch lesen oder Hörbuch anhören wirkt entschleunigend und beruhigt.
  • Lüften: Genügend Frischluft im Schlafzimmer hilft nicht nur, besser einzuschlafen, es fördert auch einen erholsameren Schlaf.

Schlaf und Psyche in Zahlen: Eine Studie mit über 25.000 Personen aus ganz Europa stellte 2001 den Zusammenhang zwischen Schlaf und psychischen Erkrankungen fest (Ohayon und Roth). Von den ca. 27% der Befragten, die Schlafstörungen angaben, litt etwas weniger als die Hälfte auch an einer psychischen Erkrankung. Streng medizinisch definiert waren nur 17% der Befragten von einer Schlafstörung betroffen, von diesen litten aber ganze 65% auch an anderen psychischen Erkrankungen.

Armut ist Gefahr für psychische Gesundheit

Finanzielle Armut und psychische Gesundheit stehen in einem engen Zusammenhang. Um Verbesserungen zu erzielen, gilt es an vielen Schrauben zu drehen. Das war das Resümee eines Facebook live Talks von Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien, Sybille Pirklbauer, Leiterin der Abteilung Sozialpolitik der AK Wien und Pia Zhang, Referentin für Gesundheitspolitik der AK Wien.

Einige psychische Erkrankungen beginnen bereits im juvenilen Alter. Wenn diese nicht behandelt werden, haben sie einen massiven Einfluss auf die Lebensbiographie. Psychische Erkrankungen führen aber oftmals auch im späteren Leben zu einem Verlust des Arbeitsplatzes und finanziellen Einbußen. Gleichzeitig wissen wir, dass das untere Einkommensdrittel deutlich schwerer unter psychischen Belastungen leidet und häufiger erkranken.

Henne-EI-Problem

„Der Zusammenhang zwischen finanzieller Armut und psychischer Gesundheit ist ein bisschen ein Henne-Ei-Problem. Fest steht, dass es einen starken Zusammenhang in beide Richtungen gibt“, sagte Lochner. Außerdem sind nicht alle Menschen gleich betroffen. „Die krisenhaften Situationen der letzten Jahre haben gezeigt, dass jene Menschen, die schon vor dem Ausbruch der Pandemie belastet waren, auch von den Konsequenzen übermäßig belastet sind“, so Lochner.

Unsicherheiten im Berufsleben führen zu Stresssituationen. Aktuell werden diese durch die Teuerung weiter verschärft und verstärken sich mit der prekären Situation am Arbeitsmarkt. „Eine soziale Absicherung, gerade auch für arbeitslose Menschen, die derzeit 55% des letzten Einkommens erhalten, ist notwendig. Eine Anhebung des Arbeitslosengeldes auf zumindest 70 Prozent würde den Arbeitnehmer*innen auch helfen, um wieder Kraft zu tanken“, forderte Pirklbauer.  

Arbeitsplatzgestaltung entscheidend

Neben der besseren finanziellen Absicherung, spielt die Arbeitsplatzgestaltung eine entscheidende Rolle. „Arbeitgeber*innen sind dabei im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht in der Pflicht, den Arbeitsplatz so zu gestalten, dass weniger psychische Belastungen stattfinden“, erläuterte Pirklbauer weiter. Ursachen für psychische Belastungen seien oftmals auf Diskriminierungen und Belästigungen jeglicher Art zurückzuführen. Aber auch Überlastungen durch lange Arbeitszeiten oder schwer planbare Arbeitszeiten bereiten Herausforderungen.

Der aktuelle Fehlzeitenreport zeigt klar: psychische Erkrankungen sind in den letzten Jahrzehnten im Steigen begriffen. Vor allem braucht man bei psychischen Erkrankungen oft länger, bis man sich wieder zutraut in den Beruf einzusteigen. „Und wenn die Mitarbeiter*innen wieder eingestiegen sind, müssen sie oftmals kurze Zeit später nochmals in den Krankenstand, weil sich im Betrieb nichts geändert hat und die belastende Situation weiter bestehen bleibt“, wies Zhang auf eine Herausforderung und die dahinterliegenden Zahlen hin.

Fit2work stärker nützen

Bereits gesetzte Maßnahmen, wie etwa die Wiedereingliederungsteilzeit und fit2work bewerten die Expert*innen positiv. „Allerdings wird es immer noch viel zu wenig genutzt. „Nur 17 Prozent der Menschen in Langzeitkrankenständen nehmen dies in Anspruch. Überhaupt nur ein Prozent der Unternehmen lässt sich beraten“, so Zhang. Dabei sei ein stärkerer Fokus auf psychische Erkrankungen bei den Gesundheitsmaßnahmen auch für Betriebe und den Staat von Vorteil, da dadurch massiv Kosten eingespart werden.  

Ausbilden, ausbilden, ausbilden

„In der heutigen Arbeitswelt sehen wir einerseits Angst vor verschlechternden Arbeitsbedingungen, etwa durch mehr Arbeit bei gleichbleibendem Gehalt. Andererseits brechen, gerade bei vielen jüngeren Arbeitnehmer*innen, Lebenskonzepte zusammen, die gelautet haben: gute Ausbildung führt automatisch zu gutem Auskommen. Sie sehen, dass das nicht funktionieren wird. Dem müssen wir Rechnung tragen“, betonte Lochner, der vor allem drei Dinge forderte: erstens ausbilden, ausbilden, ausbilden. Das gelte für Ärzt*innen, Pflegepersonal und Sozialpädagog*innen. Hürden müssen abgebaut werden, etwa beim Medizinstudium. Zweitens müssen Behandlungssysteme näher an die Lebensrealität der Patient*innen angepasst werden, das heißt niederschwellig, leicht erreichbar und mit dem Beruf vereinbar. Selbiges gälte, als dritter Punkt, für das Finanzierungssystem. Auch das muss sich stärker am Bedarf der Patient*innen orientieren.    

Bewusstsein für psychische Erkrankungen erhöhen

Das Bewusstsein für psychische Erkrankungen sei auch in den Betrieben deutlich ausbaufähig, konstatierte Pirklbauer. Außerdem brauche es Arbeitsbedingungen, die nicht psychisch krank machen. Im Falle einer Erkrankung ist es notwendig, diese rasch zu erkennen und Expertise zu holen. Und sollten Erkrankungen zu Arbeitsausfällen führen, müssen Chancen gegeben sein, wieder zurückzukehren.

Für Zhang ist der kostenlose, niederschwellige Zugang zu Gesundheitsleistungen eine Grundforderung. Und dies in einem ausreichenden Ausmaß. Auch wenn das Angebot durch die ÖGK kürzlich erhöht wurde, sei der Bedarf noch lange nicht gedeckt. „Eine lange Wartezeit auf eine Behandlung hat eine massive Auswirkung auf die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Menschen“, warnte sie und sprach auch eine weitere Risikogruppe in diesem Zusammenhang an: pflegende Angehörige, deren Aufgabe zu einer extrem starken psychischen Belastung führe.

#NeueMännlichkeiten für die Psyche

#NeueMännlichkeiten für die Psyche – Männergesundheit im Fokus

Es ist Movember – das Monat der Männergesundheit! Das werden wir nutzen, um den Fragen nach heutigen Männlichkeit(en) auf den Grund zu gehen. Was können Männer, was dürfen sie und was sollen sie? Was bedeutet „Mann sein“ im 21. Jahrhundert? Und warum sind diese Fragen relevant für die Gesundheit?

Männer und Gesundheit

Der Monat November dient dazu, das Bewusstsein rund um die Gesundheit von Männern zu fördern. Das betrifft natürlich auch die psychische Gesundheit. Egal ob anhaltende Knieschmerzen, eine gebrochene Hand oder psychische Krisen – professionelle Hilfe, frühmöglichste Behandlung und Achtsamkeit sind in allen Fällen notwendig. 2004 erschien der erste Österreichische Männergesundheitsbericht mit besonderer Berücksichtigung der Männergesundheitsvorsorge. Hier zeigte sich, dass sich Männer, statistisch gesehen, im Durchschnitt gesünder einschätzen als sie sind.

Darin steht auch:

„Bei Männern dürfte es der gegenwärtigen Rollenerwartung entsprechen, weniger sorgsam mit dem eigenen Körper zu sein, als Frauen.”

1. Österreichischer Männergesundheitsbericht

Die Folge davon: 

  • Männer neigen beruflich und in der Freizeit zur Überbeanspruchung ihres Körpers und bemerken Probleme später als Frauen, die regelmäßig einen Frauenarzt konsultieren
  • Bei Männern wird erst in einem höheren Lebensalter die Notwendigkeit der regelmäßigen Untersuchung durch einen Urologen evident. 
  • Selbst wenn Männer im höheren Lebensalter um die Notwendigkeit von Vorsorgeuntersuchungen Bescheid wissen, nehmen sie diese meist erst in Anspruch, wenn eine deutliche Symptomatik aufgetreten ist. 

Rollenbilder und Männlichkeit

Bereits der vor mehr als 15 Jahren erschienene Bericht stellte fest, dass “Rollenerwartungen” von und an Männer ihre Gesundheit beeinträchtigt. Auch andere Rollenklischees hindern Burschen und Männer daran, die Hilfe in Anspruch zu nehmen, die sie brauchen: “Männer reden nicht über ihre Gefühle”, “Männer weinen nicht”, usw.. Das zeigt sich auch beim Thema psychische Erkrankungen. Denn einerseits ist das Aufsuchen von Unterstützung schwieriger, andererseits sind die Symptome etwa bei einer Depression andere als bei Frauen. Depressive Symptome sind bei Männern eher Aggression, Gereiztheit oder exzessiver Konsum. 

Das Bild von Männlichkeit ist geprägt von Schlagwörtern wie Stärke, Kraft, Durchsetzungsvermögen und Dominanz. Dieses Bild schadet nicht nur der Gesellschaft, sondern auch dem einzelnen Mann. Daher wollen wir uns im Movember mit neuen Perspektiven und Ansätzen beschäftigen. 

Quellen:

medizinische Waage

„Haben Essstörungen ein Geschlecht“ – Siegerinnenbeitrag Stephan-Rudas-Preis in der Kategorie online

Magdalena Grunt setzt sich in ihrem auf Youtube zu sehenden Beitrag mit Vorurteilen gegenüber Männern mit Essstörungen auseinander.

Sensibel wird das Vorurteil, Essstörungen seien eine typische “Frauenkrankheit” aufgebrochen, um auch erkrankte Männer sichtbar zu machen. Dabei geht es nicht nur um die Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen, sondern auch darum, Geschlechterklischees zu enttarnen.  Mit dem Videobeitrag möchte Magdalena Grunt Stigmatisierung entgegenwirken, mehr Bewusstsein für die Erkrankung schaffen, dazu ermutigen, offen darüber zu sprechen und Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen.

Darüber zu reden hilft

„Am meisten hat mir geholfen, als ich begonnen habe, darüber zu reden“, sagt der von Grunt portraitierte Musiker Tino Romana in der Reportage. Schon in der Volksschule habe er Mobbing erlitten, fehlende Bezugspersonen kompensierte er mit Essen. „Das Essen wurde zu meinem besten Freund, zu meiner Bezugsperson“, so Tino. In der Schule wurde er von den anderen Kindern auf Grund seines relativ hohen Gewichts ausgeschlossen und aufgezogen. Von Erwachsenen fühlte er sich nicht ernst genommen. Als der Leidendruck später zu groß wurde, beschloss er gar nicht mehr zu essen. Schnell hat er an Gewicht verloren, was zur Magersucht führte. Auch Mediziner*innen, die er aufgesucht hat, haben sich meist mit äußerlichen Symptomen auseinandergesetzt und sind selten auf die Psyche eingegangen, erzählt Tino.

„Wenn Frauen über Essstörungen sprechen, ist das immer ein sehr, sehr ernstes Problem. Wenn Männer darüber sprechen heißt es meist, iss mehr oder geh ins Fitnesscenter, um zuzunehmen‘.

Tino Romana in: „Haben Essstörungen ein Geschlecht“

Verschiedene Ursachen

Bei den Gründen für eine Essstörung gäbe es grundsätzlich kaum einen Unterschied zwischen den Geschlechtern, erläutert die Systemische Familientherapeutin Gudrun Stempkowski. „Es ist multifaktoriell und hat mit verschiedenen Ursachen zu tun. Nach diesen Ursachen ist zu suchen, denn nur das Essverhalten zu ändern, wird die Essstörung nicht ändern.“ Immer noch seien Essstörungen ein Tabuthema, gerade unter Männern. Es herrscht immer noch ein falscher Ansatz vor, meint Tino. „Es ist keine Schwäche, wenn man über seine Schwäche redet. Im Gegenteil, man zeigt Stärke, wenn man über seine Probleme redet.“

Statistik

Statistiken zeigen einen deutlichen Anstieg der Fälle von Essstörungen bei Männern und hier vor allem bei sehr jungen. Zwischen 2008 und 2018 steig die Zahl der jungen Männer zwischen 12 und 17 Jahren um 60 Prozent. Mittlerweile machen Männer ein Viertel aller Fälle on Essstörungen aus. Zehn Jahre davor war es noch ein Fünftel.

Über Magdalena Grunt

Die 1999 in Wien geborene Journalistin Magdalena Grunt ist Mitbegründerin des journalistischen Kollektivs VORLAUT, das Politdiskurse und soziale Missstände aus einem intersektional-feministischen Blickwinkel betrachtet.

Das Video

Der Beitrag kann auf Youtube gesehen werden.

World Mental Health Day: „Reden ist die beste Form, um Stigma hintanzustellen“

Der 30. World Mental Health Day der WHO am 10. Oktober stand unter dem Motto: „Reden hebt die Stimmung – Seelisch gesund in unserer Gesellschaft“. Der Chefarzt der Psychosozialen Dienst in Wien, Dr. Georg Psota, sprach bei einer Veranstaltung im 5. Bezirk in Wien über die Bedeutung der psychosozialen Gesundheit und Wege zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen.

„Rund ein Drittel bis ein Viertel der Bevölkerung in unseren Breiten leidet einmal pro Jahr an psychischen Problemen. Die Verläufe sind, wie bei jeder somatischen Krankheit auch, leicht bis schwer bzw. akut bis chronisch. Nachdem nicht immer dasselbe Drittel von einer Erkrankung betroffen ist, kann man sich leicht ausrechnen, dass im Verlauf eines Lebens, fast jeder Mensch mit psychosozialen Herausforderungen zu kämpfen hat“, skizzierte Dr. Psota die dramatische Situation.

Dr. Georg Psota bei der Veranstaltung zum World Mental Health Day (Copyright: PSD-Wien)

Freundschaft erhält die Gesundheit
„Es gibt eine Vielzahl von Faktoren, die die Gesundheit beeinflussen: Nicht rauchen natürlich, geringer Alkoholkonsum und viel Bewegung. Der wichtigste Faktor aber um die Gesundheit zu erhalten, und das zeigen eine Vielzahl von Studien, ist die Pflege von Freundschaften. Denn der Mensch ist ein soziales Wesen, das von Kommunikation abhängig ist“, so Psota.

Es gibt keine Gesundheit ohne psychische Gesundheit!

Dr. Georg Psota

Hilfe in Anspruch nehmen
Um der immer noch vorherrschenden Stigmatisierung psychischer Erkrankungen entgegenzutreten, empfiehlt Dr. Psota das Reden. „Reden ist die beste Form, um das Stigma hintanzuhalten.“ Dies gelte für Betroffene, die sich so schnell wie möglich Hilfe holen sollen und nicht aus Angst lange zuwarten dürfen. „Es kann nicht sein, dass man monatelang nicht schlafen kann, ständig abnimmt und andere Symptome aufweist, bevor man Hilfe in Anspruch nimmt. Man darf sich davor nicht scheuen“, warnt Dr. Psota. Ähnliches gilt auch für die Umgebung, Familie und Freunde. „Sprechen sie das Problem an, wenn sie sich Sorgen machen“, appelliert er.
„Meine Hoffnung ist es, dass wir bald gemeinsam eine große Geschichte erzählen: die Geschichte von der Psyche, die hohen Risiken ausgesetzt ist“, so Dr. Psota.

World Mental Health Day
Die Veranstaltung World Mental Health Day fand auf Einladung von Onesoc im Creative Cluster im 5. Wiener Gemeindebezirk statt. Neben Dr. Psota sprachen auch Bezirksrätin und Vorsitzende der Kommission für Gesundheit, Soziales und Prävention, Mag.a Katharina Ranz, die Beraterin, Coach und Expertin für mentale Fitness und Verhaltensveränderung, Eva Gruber, die Fachbereichsleiterin Selbsthilfe bei pro mente Wien, Christine Reinhardt und der CEO von The Impressive Company, Nikodemus Wagner.

Stephan-Rudas-Preisträgerinnen 2022 stehen fest

Magdalena Grunt, Tiba Marchetti und Silke Weber erhielten Auszeichnung für fundierte Berichterstattung über psychische Erkrankungen.

Mit ihrer Dokumentation „Haben Essstörungen ein Geschlecht“ gewann Magdalena Grunt mit ihrem Team des journalistischen Kollektivs VORLAUT in der Kategorie „Online“. Tiba Marchetti erhielt den Preis in der Kategorie „Rundfunk/TV“ mit der in der Sendung „Am Schauplatz“ (ORF) ausgestrahlten Reportage “Ohne Worte”. In der Kategorie „Print“ überzeugte Silke Weber mit dem in der „Zeit“ veröffentlichten Text „Die kranken Kinder von Moria“ die Fachjury. Die preisgekrönten Journalistinnen erhielten ihre Auszeichnungen im Rahmen des Tages der psychischen Gesundheit im Wiener Rathaus am 3. Oktober.

„Der Preis für fundierte Berichterstattung über psychische Erkrankungen wurde nun zum fünften Mal verliehen. Wir freuen uns, dass die Zahl der Einreichungen immer höher wird und dies auch mit einer sehr hohen Qualität der Beiträge einhergeht“, sagte der Koordinator für Psychiatrie, Sucht – und Drogenfragen der Stadt Wien, Ewald Lochner, bei der Verleihung. „Tabus, Scham und Verdrängung schaden ganz besonders, wenn es um psychische Störungen und Erkrankungen geht. Der Stephan-Rudas-Preis ist ein wichtiger Beitrag für einen vorurteilsfreien und unbelasteten Zugang zu Vorbeugung und Behandlung“, betonte auch Dr. Michael Binder, medizinischer Direktor des Wiener Gesundheitsverbundes.

Koordinator für Psychiatrie, Sucht – und Drogenfragen der Stadt Wien, Ewald Lochner, bei der Verleihung des Stephan-Rudas-Preises 2022 (Copyright: Barbara Wirl)

Journalist*innen spielen in der Vermittlung von faktenbasiertem Wissen zu psychosozialen Erkrankungen eine entscheidende Rolle. Sie können durch die Darstellung von Erfahrungsexpert*innen und einer bewussten Sprache der Stigmatisierung entgegentreten.

Ewald Lochner,Koordinator für Psychiatrie, Sucht – und Drogenfragen der Stadt Wien, Ewald Lochner

Die Siegerinnen

  • Magdalena Grunt: „Haben Essstörungen ein Gesicht“
    Die 1999 in Wien geborene Journalistin Magdalena Grunt ist Mitbegründerin des journalistischen Kollektivs VORLAUT, das Politdiskurse und soziale Missstände aus einem intersektional-feministischen Blickwinkel betrachtet.Der im März 2022 auf Youtube erschienene Beitrag “Haben Essstörungen ein Geschlecht” setzt sich mit Vorurteilen gegenüber Männern mit Essstörungen auseinander. Sensibel wird Essstörungen als typische “Frauenkrankheit” aufgebrochen, um auch erkrankte Männer sichtbar zu machen. Dabei geht es nicht nur um die Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen, sondern auch darum, Geschlechterklischees zu enttarnen. . Mit dem Videobeitrag möchte Magdalena Grunt Stigmatisierung entgegenwirken, mehr Bewusstsein für die Erkrankung schaffen, dazu ermutigen, offen darüber zu sprechen und Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen.
  • Tiba Marchetti: „Ohne Worte“
    Tiba Marchettis ist Redakteurin der ORF Sendung „Am Schauplatz“. Als solche hat sie sich in der Reportage „Ohne Worte“ mit der Volkskrankheit Demenz auseinandergesetzt. Sie hat dafür Betroffene und Angehörige besucht und sich auch verschiedene Einrichtungen angesehen – vom Demenzdorf in Deutschland bis zum Pflegewohnheim in Wien.
    Sie thematisiert dabei eine Krankheit, über die nicht gerne geredet wird – obwohl etwa 140.000 Menschen in Österreich betroffen sind und sich die Zahl in den kommenden Jahrzehnten zumindest verdoppeln wird. Sie ging unter anderem den Fragen nach, wie diese versteckte Volkskrankheit verläuft, wie viele Jahre man damit leben kann und zeigt uns Zuschauer*innen, wie das Leben für Erkrankte und Angehörige aussieht.
  • Silke Weber „Die kranken Kinder von Moria“
    Die studierte Soziologin und Philologin Silke Weber behandelt in ihrem in der Zeit erschienenen Text eine sonderbare Krankheit: Augenscheinlich gesunde Kinder fallen während ihres Aufenthalts im Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos in totale Apathie. Sie versucht der Erkrankung auf den Grund zu gehen und setzt sich tiefergehend mit dem Resignation Syndrom auseinander. Dabei lässt sie die Leser*innen jedoch keine Sekunde vergessen, dass es Kinder und Jugendliche sind, die von der internationalen Gemeinschaft im Stich gelassen wurden.

Tag der psychischen Gesundheit im Wiener Rathaus

Der 3. Oktober 2022 stand in Wien ganz im Zeichen der psychischen Gesundheit. Auf Initiative des Wiener Gesundheitsverbundes (Wigev) und der Psychosozialen Dienste in Wien (PSD-Wien) wurde der Tag der psychischen Gesundheit im Wiener Rathaus begangen. Mehr als 50 Organisationen, die Beratung, Behandlungen oder Selbsthilfe zum Thema psychische Gesundheit, Krisen und Sucht in der Stadt Wien anbieten, haben sich im Wiener Rathaus präsentiert und einen Überblick über die vielfältige Landschaft ermöglicht.

Kinder- und Jugendpsychiatrie als Schwerpunkt

In einer Diskussion bei der Verleihung betonte der Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien, Georg Psota: „Kinder und Jugendliche waren in den vergangenen Jahren von der Pandemie besonders betroffen, hinzu kommen der Krieg in der Ukraine, die Klimakrise, die Teuerungen. Die Folgen andauernder psychischer Belastungen sind enorm. Zum Beispiel haben fehlende soziale Kontakte und damit einhergehende physische Einsamkeit haben unter anderem dazu geführt, dass Essstörungen und Depressionen gerade bei jungen Menschen stark zugenommen haben. Die Psychosoziale Versorgung muss personell massiv gestärkt werden.“ Psychiatriekoordinator Ewald Lochner forderte einmal mehr, dass sämtliche Hürden beim Zugang zum Medizinstudium abgebaut werden: „Wir brauchen dringend Fachärzt*innen! Es gab dieses Jahr 12.000 Teilnehmer*innen beim Medizin-Aufnahmetest – man ließ über 10.000 Interessierte einfach ziehen, weil es nicht genügend Studienplätze gibt. Es ist an der Zeit, zu begreifen, dass sich grundlegende Dinge im System ändern müssen.“ Gleichzeitig sei es ebenso wichtig, deutlich zu machen, dass eine psychische Erkrankung eine Krankheit ist, wie auch jede somatische ist.

Der Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien, Dr. Georg Prota (links), bei der Verleihung des Stephan-Rudas-Preises 2022.
(Copyright: Barbara Wirl)

Zum Beispiel haben fehlende soziale Kontakte und damit einhergehende physische Einsamkeit haben unter anderem dazu geführt, dass Essstörungen und Depressionen gerade bei jungen Menschen stark zugenommen haben.

Dr. Georg Psota, Chefarzt, Psychosoziale Dienste in Wien

Psychiater und Psychiatriereformer: Prof. Dr. Stephan Rudas (1944-2010)

„Die Seele ist ein unsichtbares Organ und wird übersehen, wenn man nicht über sie redet.” (15.12.2001) — Prof. Rudas hat nicht nur über die Seele geredet, sondern für sie gelebt. Ohne ihn hätte es die Wiener Psychiatriereform und den PSD-Wien nicht gegeben: Gemeinsam mit dem damaligen Stadtrat für Gesundheit und Soziales Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Alois Stacher (1925-2013) revolutionierte Prof. Rudas als PSD-Gründungschefarzt die psychiatrische Versorgung in Wien. Diese gesundheits- und sozialpolitisch höchst bedeutsame Epoche veränderte die Lebensrealität chronisch psychisch kranker Menschen fundamental.

Dr. Stephan Rudas