#NeueMännlichkeiten für die Psyche – Männergesundheit im Fokus
Es ist Movember – das Monat der Männergesundheit! Das werden wir nutzen, um den Fragen nach heutigen Männlichkeit(en) auf den Grund zu gehen. Was können Männer, was dürfen sie und was sollen sie? Was bedeutet „Mann sein“ im 21. Jahrhundert? Und warum sind diese Fragen relevant für die Gesundheit?
Männer und Gesundheit
Der Monat November dient dazu, das Bewusstsein rund um die Gesundheit von Männern zu fördern. Das betrifft natürlich auch die psychische Gesundheit. Egal ob anhaltende Knieschmerzen, eine gebrochene Hand oder psychische Krisen – professionelle Hilfe, frühmöglichste Behandlung und Achtsamkeit sind in allen Fällen notwendig. 2004 erschien der erste Österreichische Männergesundheitsbericht mit besonderer Berücksichtigung der Männergesundheitsvorsorge. Hier zeigte sich, dass sich Männer, statistisch gesehen, im Durchschnitt gesünder einschätzen als sie sind.
Darin steht auch:
„Bei Männern dürfte es der gegenwärtigen Rollenerwartung entsprechen, weniger sorgsammit dem eigenen Körper zu sein, als Frauen.”
1. Österreichischer Männergesundheitsbericht
Die Folge davon:
Männer neigen beruflich und in der Freizeit zur Überbeanspruchung ihres Körpers und bemerken Probleme später als Frauen, die regelmäßig einen Frauenarzt konsultieren
Bei Männern wird erst in einem höheren Lebensalter die Notwendigkeit der regelmäßigen Untersuchung durch einen Urologen evident.
Selbst wenn Männer im höheren Lebensalter um die Notwendigkeit von Vorsorgeuntersuchungen Bescheid wissen, nehmen sie diese meist erst in Anspruch, wenn eine deutliche Symptomatik aufgetreten ist.
Rollenbilder und Männlichkeit
Bereits der vor mehr als 15 Jahren erschienene Bericht stellte fest, dass “Rollenerwartungen” von und an Männer ihre Gesundheit beeinträchtigt. Auch andere Rollenklischees hindern Burschen und Männer daran, die Hilfe in Anspruch zu nehmen, die sie brauchen: “Männer reden nicht über ihre Gefühle”, “Männer weinen nicht”, usw.. Das zeigt sich auch beim Thema psychische Erkrankungen. Denn einerseits ist das Aufsuchen von Unterstützung schwieriger, andererseits sind die Symptome etwa bei einer Depression andere als bei Frauen. Depressive Symptome sind bei Männern eher Aggression, Gereiztheit oder exzessiver Konsum.
Das Bild von Männlichkeit ist geprägt von Schlagwörtern wie Stärke, Kraft, Durchsetzungsvermögen und Dominanz. Dieses Bild schadet nicht nur der Gesellschaft, sondern auch dem einzelnen Mann. Daher wollen wir uns im Movember mit neuen Perspektiven und Ansätzen beschäftigen.
„Haben Essstörungen ein Geschlecht“ – Siegerinnenbeitrag Stephan-Rudas-Preis in der Kategorie online
Magdalena Grunt setzt sich in ihrem auf Youtube zu sehenden Beitrag mit Vorurteilen gegenüber Männern mit Essstörungen auseinander.
Sensibel wird das Vorurteil, Essstörungen seien eine typische “Frauenkrankheit” aufgebrochen, um auch erkrankte Männer sichtbar zu machen. Dabei geht es nicht nur um die Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen, sondern auch darum, Geschlechterklischees zu enttarnen. Mit dem Videobeitrag möchte Magdalena Grunt Stigmatisierung entgegenwirken, mehr Bewusstsein für die Erkrankung schaffen, dazu ermutigen, offen darüber zu sprechen und Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen.
Darüber zu reden hilft
„Am meisten hat mir geholfen, als ich begonnen habe, darüber zu reden“, sagt der von Grunt portraitierte Musiker Tino Romana in der Reportage. Schon in der Volksschule habe er Mobbing erlitten, fehlende Bezugspersonen kompensierte er mit Essen. „Das Essen wurde zu meinem besten Freund, zu meiner Bezugsperson“, so Tino. In der Schule wurde er von den anderen Kindern auf Grund seines relativ hohen Gewichts ausgeschlossen und aufgezogen. Von Erwachsenen fühlte er sich nicht ernst genommen. Als der Leidendruck später zu groß wurde, beschloss er gar nicht mehr zu essen. Schnell hat er an Gewicht verloren, was zur Magersucht führte. Auch Mediziner*innen, die er aufgesucht hat, haben sich meist mit äußerlichen Symptomen auseinandergesetzt und sind selten auf die Psyche eingegangen, erzählt Tino.
„Wenn Frauen über Essstörungen sprechen, ist das immer ein sehr, sehr ernstes Problem. Wenn Männer darüber sprechen heißt es meist, iss mehr oder geh ins Fitnesscenter, um zuzunehmen‘.
Tino Romana in: „Haben Essstörungen ein Geschlecht“
Verschiedene Ursachen
Bei den Gründen für eine Essstörung gäbe es grundsätzlich kaum einen Unterschied zwischen den Geschlechtern, erläutert die Systemische Familientherapeutin Gudrun Stempkowski. „Es ist multifaktoriell und hat mit verschiedenen Ursachen zu tun. Nach diesen Ursachen ist zu suchen, denn nur das Essverhalten zu ändern, wird die Essstörung nicht ändern.“ Immer noch seien Essstörungen ein Tabuthema, gerade unter Männern. Es herrscht immer noch ein falscher Ansatz vor, meint Tino. „Es ist keine Schwäche, wenn man über seine Schwäche redet. Im Gegenteil, man zeigt Stärke, wenn man über seine Probleme redet.“
Statistik
Statistiken zeigen einen deutlichen Anstieg der Fälle von Essstörungen bei Männern und hier vor allem bei sehr jungen. Zwischen 2008 und 2018 steig die Zahl der jungen Männer zwischen 12 und 17 Jahren um 60 Prozent. Mittlerweile machen Männer ein Viertel aller Fälle on Essstörungen aus. Zehn Jahre davor war es noch ein Fünftel.
Über Magdalena Grunt
Die 1999 in Wien geborene Journalistin Magdalena Grunt ist Mitbegründerin des journalistischen Kollektivs VORLAUT, das Politdiskurse und soziale Missstände aus einem intersektional-feministischen Blickwinkel betrachtet.
Magdalena Grunt, Tiba Marchetti und Silke Weber erhielten Auszeichnung für fundierte Berichterstattung über psychische Erkrankungen.
Mit ihrer Dokumentation „Haben Essstörungen ein Geschlecht“ gewann Magdalena Grunt mit ihrem Team des journalistischen Kollektivs VORLAUT in der Kategorie „Online“. Tiba Marchetti erhielt den Preis in der Kategorie „Rundfunk/TV“ mit der in der Sendung „Am Schauplatz“ (ORF) ausgestrahlten Reportage „Ohne Worte“. In der Kategorie „Print“ überzeugte Silke Weber mit dem in der „Zeit“ veröffentlichten Text „Die kranken Kinder von Moria“ die Fachjury. Die preisgekrönten Journalistinnen erhielten ihre Auszeichnungen im Rahmen des Tages der psychischen Gesundheit im Wiener Rathaus am 3. Oktober.
„Der Preis für fundierte Berichterstattung über psychische Erkrankungen wurde nun zum fünften Mal verliehen. Wir freuen uns, dass die Zahl der Einreichungen immer höher wird und dies auch mit einer sehr hohen Qualität der Beiträge einhergeht“, sagte der Koordinator für Psychiatrie, Sucht – und Drogenfragen der Stadt Wien, Ewald Lochner, bei der Verleihung. „Tabus, Scham und Verdrängung schaden ganz besonders, wenn es um psychische Störungen und Erkrankungen geht. Der Stephan-Rudas-Preis ist ein wichtiger Beitrag für einen vorurteilsfreien und unbelasteten Zugang zu Vorbeugung und Behandlung“, betonte auch Dr. Michael Binder, medizinischer Direktor des Wiener Gesundheitsverbundes.
Koordinator für Psychiatrie, Sucht – und Drogenfragen der Stadt Wien, Ewald Lochner, bei der Verleihung des Stephan-Rudas-Preises 2022 (Copyright: Barbara Wirl)
Journalist*innen spielen in der Vermittlung von faktenbasiertem Wissen zu psychosozialen Erkrankungen eine entscheidende Rolle. Sie können durch die Darstellung von Erfahrungsexpert*innen und einer bewussten Sprache der Stigmatisierung entgegentreten.
Ewald Lochner,Koordinator für Psychiatrie, Sucht – und Drogenfragen der Stadt Wien, Ewald Lochner
Die Siegerinnen
Magdalena Grunt: „Haben Essstörungen ein Gesicht“ Die 1999 in Wien geborene Journalistin Magdalena Grunt ist Mitbegründerin des journalistischen Kollektivs VORLAUT, das Politdiskurse und soziale Missstände aus einem intersektional-feministischen Blickwinkel betrachtet.Der im März 2022 auf Youtube erschienene Beitrag “Haben Essstörungen ein Geschlecht” setzt sich mit Vorurteilen gegenüber Männern mit Essstörungen auseinander. Sensibel wird Essstörungen als typische “Frauenkrankheit” aufgebrochen, um auch erkrankte Männer sichtbar zu machen. Dabei geht es nicht nur um die Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen, sondern auch darum, Geschlechterklischees zu enttarnen. . Mit dem Videobeitrag möchte Magdalena Grunt Stigmatisierung entgegenwirken, mehr Bewusstsein für die Erkrankung schaffen, dazu ermutigen, offen darüber zu sprechen und Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen.
Tiba Marchetti: „Ohne Worte“ Tiba Marchettis ist Redakteurin der ORF Sendung „Am Schauplatz“. Als solche hat sie sich in der Reportage „Ohne Worte“ mit der Volkskrankheit Demenz auseinandergesetzt. Sie hat dafür Betroffene und Angehörige besucht und sich auch verschiedene Einrichtungen angesehen – vom Demenzdorf in Deutschland bis zum Pflegewohnheim in Wien. Sie thematisiert dabei eine Krankheit, über die nicht gerne geredet wird – obwohl etwa 140.000 Menschen in Österreich betroffen sind und sich die Zahl in den kommenden Jahrzehnten zumindest verdoppeln wird. Sie ging unter anderem den Fragen nach, wie diese versteckte Volkskrankheit verläuft, wie viele Jahre man damit leben kann und zeigt uns Zuschauer*innen, wie das Leben für Erkrankte und Angehörige aussieht.
Silke Weber „Die kranken Kinder von Moria“ Die studierte Soziologin und Philologin Silke Weber behandelt in ihrem in der Zeit erschienenen Text eine sonderbare Krankheit: Augenscheinlich gesunde Kinder fallen während ihres Aufenthalts im Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos in totale Apathie. Sie versucht der Erkrankung auf den Grund zu gehen und setzt sich tiefergehend mit dem Resignation Syndrom auseinander. Dabei lässt sie die Leser*innen jedoch keine Sekunde vergessen, dass es Kinder und Jugendliche sind, die von der internationalen Gemeinschaft im Stich gelassen wurden.
Die Urkunden der Siegerinnen (Copyright: Barbara Wirl)
Tag der psychischen Gesundheit im Wiener Rathaus
Der 3. Oktober 2022 stand in Wien ganz im Zeichen der psychischen Gesundheit. Auf Initiative des Wiener Gesundheitsverbundes (Wigev) und der Psychosozialen Dienste in Wien (PSD-Wien) wurde der Tag der psychischen Gesundheit im Wiener Rathaus begangen. Mehr als 50 Organisationen, die Beratung, Behandlungen oder Selbsthilfe zum Thema psychische Gesundheit, Krisen und Sucht in der Stadt Wien anbieten, haben sich im Wiener Rathaus präsentiert und einen Überblick über die vielfältige Landschaft ermöglicht.
Mehr als 50 Organsiationen präsentierten sich am Tag der psychischen Gesundheit im Wiener Rathaus (Copyright: Barbara Wirl)
Kinder- und Jugendpsychiatrie als Schwerpunkt
In einer Diskussion bei der Verleihung betonte der Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien, Georg Psota: „Kinder und Jugendliche waren in den vergangenen Jahren von der Pandemie besonders betroffen, hinzu kommen der Krieg in der Ukraine, die Klimakrise, die Teuerungen. Die Folgen andauernder psychischer Belastungen sind enorm. Zum Beispiel haben fehlende soziale Kontakte und damit einhergehende physische Einsamkeit haben unter anderem dazu geführt, dass Essstörungen und Depressionen gerade bei jungen Menschen stark zugenommen haben. Die Psychosoziale Versorgung muss personell massiv gestärkt werden.“ Psychiatriekoordinator Ewald Lochner forderte einmal mehr, dass sämtliche Hürden beim Zugang zum Medizinstudium abgebaut werden: „Wir brauchen dringend Fachärzt*innen! Es gab dieses Jahr 12.000 Teilnehmer*innen beim Medizin-Aufnahmetest – man ließ über 10.000 Interessierte einfach ziehen, weil es nicht genügend Studienplätze gibt. Es ist an der Zeit, zu begreifen, dass sich grundlegende Dinge im System ändern müssen.“ Gleichzeitig sei es ebenso wichtig, deutlich zu machen, dass eine psychische Erkrankung eine Krankheit ist, wie auch jede somatische ist.
Der Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien, Dr. Georg Prota (links), bei der Verleihung des Stephan-Rudas-Preises 2022. (Copyright: Barbara Wirl)
Zum Beispiel haben fehlende soziale Kontakte und damit einhergehende physische Einsamkeit haben unter anderem dazu geführt, dass Essstörungen und Depressionen gerade bei jungen Menschen stark zugenommen haben.
Dr. Georg Psota, Chefarzt, Psychosoziale Dienste in Wien
Psychiater und Psychiatriereformer: Prof. Dr. Stephan Rudas (1944-2010)
„Die Seele ist ein unsichtbares Organ und wird übersehen, wenn man nicht über sie redet.“ (15.12.2001) — Prof. Rudas hat nicht nur über die Seele geredet, sondern für sie gelebt. Ohne ihn hätte es die Wiener Psychiatriereform und den PSD-Wien nicht gegeben: Gemeinsam mit dem damaligen Stadtrat für Gesundheit und Soziales Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Alois Stacher (1925-2013) revolutionierte Prof. Rudas als PSD-Gründungschefarzt die psychiatrische Versorgung in Wien. Diese gesundheits- und sozialpolitisch höchst bedeutsame Epoche veränderte die Lebensrealität chronisch psychisch kranker Menschen fundamental.