Schlafstörungen und psychische Gesundheit

Durchschlafen, schneller Einschlafen – Schlaf beschäftigt uns und bestimmt, wie unser Tag verläuft. Wir haben den Experten Prim. Dr. Sergio Rosales-Rodríguez zu Schlafstörungen und psychischer Gesundheit befragt. Und uns gleich ein paar Tipps geholt. Dr. Rosales-Rodríguez ist Ärztlicher Leiter des Instituts für Psychiatrische Frührehabilitation und des Sozialpsychiatrischen Ambulatorium Floridsdorf.

DRW: Wie hängen Schlaf und Psyche zusammen?

Dr. Rosales-Rodríguez: Schlaf und psychische Erkrankung hängen eng zusammen. Auch in der Diagnose zahlreicher psychischer Erkrankungen spielen Schlafstörungen eine Rolle: Das verdeutlicht den großen Zusammenhang. Bei deliranten Zustandsbildern kommt es beispielsweise zu einer Schlaflosigkeit oder Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus. Bei manischen Zuständen sehen wir ein reduziertes Schlafbedürfnis und bei depressiven Zuständen wiederum sehen wir oft ein Früherwachen.

DRW: Wie viel Schlaf ist zu wenig?

Dr. Rosales-Rodríguez: Bei dieser Frage muss man vorsichtig sein. Die Menschen hören immer „man sollte acht Stunden am Tag schlafen.“. Zum größten Teil kommen diese Aussagen aus Untersuchungen der allgemeinen Population. Leute werden gefragt: „Wie viele Stunden schlafen sie am Tag?“ Die Antworten sind natürlich verschieden und es kommt zu einer bestimmten Bandbreite. Am Ende wird aber ein Durchschnitt errechnet: acht Stunden. Das heißt nicht, dass alles darunter oder darüber krankheitswertig ist, es heißt nur, dass im Durchschnitt die Leute acht Stunden schlafen. Warum erkläre ich das? Weil letztendlich die Gesamtschlafzeit eine große Rolle spielt, wenn diese in Zusammenhang mit dem individuellen Schlafbedürfnis betrachtet wird.

DRW: Was passiert, wenn das Schlafbedürfnis nicht erfüllt wird?

Dr. Rosales-Rodríguez: Wenn tatsächlich eine reduzierte Gesamtschlafzeit bezogen auf das individuelle Schlafbedürfnis seit längerer Zeit besteht – also, wenn eine Person an ihren Bedürfnissen gemessen insgesamt zu wenig schläft – ist mit psychischen und organischen gesundheitlichen Folgen zu rechnen. Der Einfluss von reduzierter Gesamtschlafzeit auf psychische Erkrankungen, aber auch auf das Immunsystem oder endokrine Erkrankungen wie Diabetes ist erwiesen. Ebenfalls kann eine chronisch verkürzte Gesamtschlafzeit zu einer Verkürzung der Lebenszeit führen.

DRW: (Ab) Wann sollte ich mir professionelle Hilfe suchen?

Dr. Rosales-Rodríguez: Professionelle Hilfe sollte jederzeit bekannt und verfügbar sein. Vor allem in Hinblick auf die Überflutung an Informationen, die durch die vielen (digitalen) Medien verursacht wird. Als Laie wird es noch schwieriger, die Richtigkeit von Aussagen zu überprüfen. Daher ist professionelle Hilfe wichtig – auch im Sinne einer primären Prävention. Das heißt, bevor überhaupt Beschwerden auftreten, können Maßnahmen ergriffen werden, um die eigene Gesundheit zu erhalten.

DRW: Wie können Fehlinformationen bezüglich Schlaf schaden?

Dr. Rosales-Rodríguez: Bestimmte Menschen haben für sich gewisse Regeln aufgestellt, die eher Krankheiten begünstigen. Wenn ich zum Beispiel denke: „Der beste Schlaf entsteht vor 19 Uhr“, weil ich das irgendwo gelesen habe, werde ich versuchen, mich früher schlafen zu legen. Höchstwahrscheinlich werde ich aber erst nach ein paar Stunden Liegezeit einschlafen können. Das führt dazu, dass ich mich dann jedes Mal ärgern werde, wenn ich nicht rechtzeitig schlafen kann. Es kommt in weiterer Folge zu einer Anspannung vor dem Schlafengehen, was wiederum die Einschlafzeit verlängern wird, da ich nicht angespannt einschlafen kann. Es entsteht ein Kreislauf, was mit einer Insomnie endet, der durch eine professionelle Psychoedukation rechtzeitig unterbrochen hätte werden können. Natürlich ist professionelle Hilfe zu holen, wenn Schlafstörungen die Lebensqualität, egal auf welcher Ebene, mindern. Optimal wäre es natürlich, sich viel früher Hilfe zu holen.

Tipps für bessere Schlafgewohnheiten:

  • Schlafstätte nur für Schlaf und sexuelle/intime Aktivität nutzen: So kannst du sich selbst konditionieren. Das Bett bedeutet Schlafen, wenn man sich dort hinlegt.  
  • Routine hilft: Versuch so oft es geht zur gleichen Uhrzeit ins Bett zu gehen.
  • Zur Schlafenszeit keine aufputschenden Substanzen konsumieren (Koffein, Alkohol, schwere Mahlzeiten)
  • Aktivierende Aktivitäten (z.B. Sport) ausschließlich unter Tags betreiben: Als große Faustregel könnte man sagen, sei aktiv während des Tages und treibe eher entspannende Aktivitäten in den Abendstunden.
  • Runterkommen: Abends ein Buch lesen oder Hörbuch anhören wirkt entschleunigend und beruhigt.
  • Lüften: Genügend Frischluft im Schlafzimmer hilft nicht nur, besser einzuschlafen, es fördert auch einen erholsameren Schlaf.

Schlaf und Psyche in Zahlen: Eine Studie mit über 25.000 Personen aus ganz Europa stellte 2001 den Zusammenhang zwischen Schlaf und psychischen Erkrankungen fest (Ohayon und Roth). Von den ca. 27% der Befragten, die Schlafstörungen angaben, litt etwas weniger als die Hälfte auch an einer psychischen Erkrankung. Streng medizinisch definiert waren nur 17% der Befragten von einer Schlafstörung betroffen, von diesen litten aber ganze 65% auch an anderen psychischen Erkrankungen.

Mockup der Plakaktkampagne. Auf einer Glas-Auslage sind drei Plakate der Kampagne in unterschiedlichen Farben angebracht.

#darüberredenwir im neuen Gwand!

Mit der neuen Aufbereitung und Zielrichtung der Kampagne #darüberredenwir setzen sich die Psychosozialen Dienste in Wien zum Ziel, vor allem junge Menschen anzusprechen. Faktenbasiertes Wissen wird zielgruppengerecht und niederschwellig bereitgestellt. Zudem sollen psychische Erkrankungen und die Erkrankten selbst in all ihren Facetten Raum geboten werden – denn nach wie vor, sind Schizophrenie, Suchterkrankungen oder Essstörungen mit Vorurteilen behaftet. Mythen und falsche Annahmen kursieren zu dem nach wie vor rund um psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten und Einrichtungen.

„Das Thema psychische Gesundheit hat es in die Mitte der Gesellschaft geschafft – meint man. Doch bei genauerem Hinhören, sehen wir, dass der öffentliche Diskurs nur an der Oberfläche kratzt. #Selfcare und Selbstoptimierung geben uns das Gefühl, jede*r kann es schaffen, aus einer psychischen Krise mit ein bisschen Bewegung und Therapie herauszukommen. Das stimmt allerdings nicht“, erklärt Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht und Drogenfragen der Stadt Wien.  

Neue Plakate, neue Kanäle

Seit Kurzem ist #darüberredewir auch auf TikTok präsent. Mit Videos rund um das Thema Entstigmatisierung, Fakten und Infos rund um Psychiatrie, Erkrankungen und Behandlungsmöglichkeiten, sowie Fakten-Checks sollen vor allem jüngere Menschen abgeholt werden. Folgt uns:

Was kommt?

Nach wie vor mangelt es laut Lochner an Wissen rund um Diagnosen, Behandlungsformen und Umgang mit psychischen Erkrankungen. Zudem spiele die Ressourcenfrage auch beim Thema psychische Gesundheit eine wichtige Rolle: „Die aktuellen Krisen – sei es Pandemie, Krieg, Teuerung oder die Klimakatastrophe – treffen uns alle, doch wir sitzen nicht alle im selben Boot. Wir alle befinden uns auf der stürmischen See, doch während manche auf einer Luxusyacht sicher sind, müssen andere auf einem wackeligen Floss gegen die Fluten ankämpfen.“

Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen sind die psychischen Problematiken und diagnostizierten Erkrankungen stark gestiegen. Zahlreiche Studien belegen den Anstieg von Suizidgedanken, Angsterkrankungen und Essstörungen. Zudem belegen unter anderem die in den letzten drei Jahren durchgeführten SORA-Studien zur psychosozialen Situation der Wiener*innen, dass bestehende Hilfsangebote von Betroffenen spät oder gar nicht Anspruch genommen werden.

„Wichtig ist, dass junge Menschen über die Behandlungs- und Unterstützungsangebote Bescheid wissen, nicht davor zögern, sich Hilfe zu holen, falls es nötig ist und auch hinschauen, wenn es im Freundeskreis Probleme gibt“, betont Primar Dr. Georg Psota, Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien. Mit den aktuellen Sujets will der PSD-Wien wach rütteln, zur Selbstreflexion anregen und alle Facetten der psychischen Gesundheit sichtbar machen.  

2019 starteten die Psychosozialen Dienste in Wien die Kampagne zur Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen #darüberredenwir. Was als kleine Initiative angesetzt war, fand großen Anklang in der Wiener Bevölkerung. Der Staatspreis in der Kategorie „Digitale Kommunikation“ im Jahr 2020 unterstrich die Wichtigkeit der Kampagne. Auf Facebook und Instagram hat sich eine Community gebildet, die sich austauscht und Erfahrungen teilt. Mit Tipps und faktenbasierten Informationen hilft #darüberredenwir zudem Betroffenen, Erfahrungsexpert*innen und Angehörigen.

Wien Innenstadt

Psychosoziale Gesundheit der Wiener*innen

Die neue SORA Studie ist da!

Über drei Jahre verteilt hat das SORA-Institut Wiener*innen zur Selbsteinschätzung ihres Gesundheitszustandes befragt. Letzte Woche haben wir einige Journalist*innen eingeladen, um diese Bestandsaufnahmen zu besprechen und haben daraus folgende Maßnahmen vorgestellt. Auch nachdem die Einschränkungen der Pandemie weniger geworden sind empfinden viele Wiener*innen immer noch eine Verschlechterung und darauf gilt es zu reagieren. Zudem werden die Herausforderungen, die die Wiener*innen beobachten, stärker und unterschiedlicher. Neben der Pandemie, die 2022 immer noch fast 44% als Belastung empfunden haben, sind es vor allem steigende Lebenskosten und der Krieg in Europa, unter denen die Menschen leiden.

60% der Wiener*innen berichten, dass sie zumindest an einzelnen Tagen Depression, Ängste und Erschöpfung verspürt haben. Die Erschöpfung hat sich – im Gegensatz zu anderen Symptomen – nicht verringert, sondern ist weiter gestiegen. Rund 50% leiden unter Niedergeschlagenheit, unkontrollierbaren Sorgen oder Einsamkeit und 30% geben schwere familiäre Konflikte an – ein Wert, der sich seit 2020 mehr als verdoppelt hat.

Treffend beschreibt Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen die Situation: „Dass alle im selben Boot sitzen, ist faktisch falsch, das zeigt auch die Studie. Wir befinden uns vielleicht alle auf einer rauen See. Dennoch ist es ein Unterschied, ob jemand sich in einer großen Yacht oder in einem Kanu oder Einbaum auf rauer See befindet.“ Denn, vulnerable Gruppen, die schon vor der Pandemie belastet waren, Frauen und junge Menschen sowie Personen, deren ökonomischen Ressourcen sich im unteren Drittel befinden, sind deutlich schwerer betroffen, als andere.

Maßnahmen

Der PSD-Wien reagiert mit dem Ausbau seines Angebots: Um den vielfältigen Themen Platz zu geben, die die Wiener*innen beschäftigen, wird die ursprüngliche Corona-Sorgenhotline zur Sorgenhotline ausgebaut. Hier können alle mit ihren Sorgen täglich anrufen, um mit jemandem über Ängste und Belastungen zu sprechen: 01 4000 53000.

Das Home-Treatment ist als Pilotprojekt der Psychosozialen Dienste in Wien (PSD-Wien) in Kooperation mit der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie (MedUni Wien/AKH), das erste seiner Art gewesen. In Wien konnten seit dem Beginn im März 2021 54 Kinder behandelt werden. Die Evaluierung bezeugt den Erfolg des Pilotprojektes, welches nun verlängert und vergrößert wird. Im Rahmen des Home-Treatments werden Kinder und Jugendliche mit psychischen Erkrankungen und deren Familien für einen längeren Behandlungszeitraum in ihrem direkten Lebensumfeld – bei sich zu Hause –  betreut. Durch die Arbeit vor Ort wird der Lebensalltag der Kinder und Jugendlichen in die Behandlung miteinbezogen und es kommt zu keinen Abbrüchen von wichtigen sozialen Beziehungen in Familie, Schule oder Betreuungsumfeld.

Besonders wichtig ist jetzt auch die Arbeit der Kampagne #darüberredenwir. Viele Wiener*innen gaben an Bedarf nach Unterstützung von außerhalb zu spüren und nicht alle von ihnen fanden Möglichkeiten Hilfsangebote auch tatsächlich in Anspruch zu nehmen. Weiterhin spielt die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen eine Rolle dabei. #darüberreden kämpfte von Anfang an dafür, dass sich niemand für eine Erkrankung schämen sollte. Wir werden psychische Gesundheit weiterhin zum Thema machen!

Armut ist Gefahr für psychische Gesundheit

Finanzielle Armut und psychische Gesundheit stehen in einem engen Zusammenhang. Um Verbesserungen zu erzielen, gilt es an vielen Schrauben zu drehen. Das war das Resümee eines Facebook live Talks von Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien, Sybille Pirklbauer, Leiterin der Abteilung Sozialpolitik der AK Wien und Pia Zhang, Referentin für Gesundheitspolitik der AK Wien.

Einige psychische Erkrankungen beginnen bereits im juvenilen Alter. Wenn diese nicht behandelt werden, haben sie einen massiven Einfluss auf die Lebensbiographie. Psychische Erkrankungen führen aber oftmals auch im späteren Leben zu einem Verlust des Arbeitsplatzes und finanziellen Einbußen. Gleichzeitig wissen wir, dass das untere Einkommensdrittel deutlich schwerer unter psychischen Belastungen leidet und häufiger erkranken.

Henne-EI-Problem

„Der Zusammenhang zwischen finanzieller Armut und psychischer Gesundheit ist ein bisschen ein Henne-Ei-Problem. Fest steht, dass es einen starken Zusammenhang in beide Richtungen gibt“, sagte Lochner. Außerdem sind nicht alle Menschen gleich betroffen. „Die krisenhaften Situationen der letzten Jahre haben gezeigt, dass jene Menschen, die schon vor dem Ausbruch der Pandemie belastet waren, auch von den Konsequenzen übermäßig belastet sind“, so Lochner.

Unsicherheiten im Berufsleben führen zu Stresssituationen. Aktuell werden diese durch die Teuerung weiter verschärft und verstärken sich mit der prekären Situation am Arbeitsmarkt. „Eine soziale Absicherung, gerade auch für arbeitslose Menschen, die derzeit 55% des letzten Einkommens erhalten, ist notwendig. Eine Anhebung des Arbeitslosengeldes auf zumindest 70 Prozent würde den Arbeitnehmer*innen auch helfen, um wieder Kraft zu tanken“, forderte Pirklbauer.  

Arbeitsplatzgestaltung entscheidend

Neben der besseren finanziellen Absicherung, spielt die Arbeitsplatzgestaltung eine entscheidende Rolle. „Arbeitgeber*innen sind dabei im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht in der Pflicht, den Arbeitsplatz so zu gestalten, dass weniger psychische Belastungen stattfinden“, erläuterte Pirklbauer weiter. Ursachen für psychische Belastungen seien oftmals auf Diskriminierungen und Belästigungen jeglicher Art zurückzuführen. Aber auch Überlastungen durch lange Arbeitszeiten oder schwer planbare Arbeitszeiten bereiten Herausforderungen.

Der aktuelle Fehlzeitenreport zeigt klar: psychische Erkrankungen sind in den letzten Jahrzehnten im Steigen begriffen. Vor allem braucht man bei psychischen Erkrankungen oft länger, bis man sich wieder zutraut in den Beruf einzusteigen. „Und wenn die Mitarbeiter*innen wieder eingestiegen sind, müssen sie oftmals kurze Zeit später nochmals in den Krankenstand, weil sich im Betrieb nichts geändert hat und die belastende Situation weiter bestehen bleibt“, wies Zhang auf eine Herausforderung und die dahinterliegenden Zahlen hin.

Fit2work stärker nützen

Bereits gesetzte Maßnahmen, wie etwa die Wiedereingliederungsteilzeit und fit2work bewerten die Expert*innen positiv. „Allerdings wird es immer noch viel zu wenig genutzt. „Nur 17 Prozent der Menschen in Langzeitkrankenständen nehmen dies in Anspruch. Überhaupt nur ein Prozent der Unternehmen lässt sich beraten“, so Zhang. Dabei sei ein stärkerer Fokus auf psychische Erkrankungen bei den Gesundheitsmaßnahmen auch für Betriebe und den Staat von Vorteil, da dadurch massiv Kosten eingespart werden.  

Ausbilden, ausbilden, ausbilden

„In der heutigen Arbeitswelt sehen wir einerseits Angst vor verschlechternden Arbeitsbedingungen, etwa durch mehr Arbeit bei gleichbleibendem Gehalt. Andererseits brechen, gerade bei vielen jüngeren Arbeitnehmer*innen, Lebenskonzepte zusammen, die gelautet haben: gute Ausbildung führt automatisch zu gutem Auskommen. Sie sehen, dass das nicht funktionieren wird. Dem müssen wir Rechnung tragen“, betonte Lochner, der vor allem drei Dinge forderte: erstens ausbilden, ausbilden, ausbilden. Das gelte für Ärzt*innen, Pflegepersonal und Sozialpädagog*innen. Hürden müssen abgebaut werden, etwa beim Medizinstudium. Zweitens müssen Behandlungssysteme näher an die Lebensrealität der Patient*innen angepasst werden, das heißt niederschwellig, leicht erreichbar und mit dem Beruf vereinbar. Selbiges gälte, als dritter Punkt, für das Finanzierungssystem. Auch das muss sich stärker am Bedarf der Patient*innen orientieren.    

Bewusstsein für psychische Erkrankungen erhöhen

Das Bewusstsein für psychische Erkrankungen sei auch in den Betrieben deutlich ausbaufähig, konstatierte Pirklbauer. Außerdem brauche es Arbeitsbedingungen, die nicht psychisch krank machen. Im Falle einer Erkrankung ist es notwendig, diese rasch zu erkennen und Expertise zu holen. Und sollten Erkrankungen zu Arbeitsausfällen führen, müssen Chancen gegeben sein, wieder zurückzukehren.

Für Zhang ist der kostenlose, niederschwellige Zugang zu Gesundheitsleistungen eine Grundforderung. Und dies in einem ausreichenden Ausmaß. Auch wenn das Angebot durch die ÖGK kürzlich erhöht wurde, sei der Bedarf noch lange nicht gedeckt. „Eine lange Wartezeit auf eine Behandlung hat eine massive Auswirkung auf die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Menschen“, warnte sie und sprach auch eine weitere Risikogruppe in diesem Zusammenhang an: pflegende Angehörige, deren Aufgabe zu einer extrem starken psychischen Belastung führe.

#NeueMännlichkeiten für die Psyche

#NeueMännlichkeiten für die Psyche – Männergesundheit im Fokus

Es ist Movember – das Monat der Männergesundheit! Das werden wir nutzen, um den Fragen nach heutigen Männlichkeit(en) auf den Grund zu gehen. Was können Männer, was dürfen sie und was sollen sie? Was bedeutet „Mann sein“ im 21. Jahrhundert? Und warum sind diese Fragen relevant für die Gesundheit?

Männer und Gesundheit

Der Monat November dient dazu, das Bewusstsein rund um die Gesundheit von Männern zu fördern. Das betrifft natürlich auch die psychische Gesundheit. Egal ob anhaltende Knieschmerzen, eine gebrochene Hand oder psychische Krisen – professionelle Hilfe, frühmöglichste Behandlung und Achtsamkeit sind in allen Fällen notwendig. 2004 erschien der erste Österreichische Männergesundheitsbericht mit besonderer Berücksichtigung der Männergesundheitsvorsorge. Hier zeigte sich, dass sich Männer, statistisch gesehen, im Durchschnitt gesünder einschätzen als sie sind.

Darin steht auch:

„Bei Männern dürfte es der gegenwärtigen Rollenerwartung entsprechen, weniger sorgsam mit dem eigenen Körper zu sein, als Frauen.”

1. Österreichischer Männergesundheitsbericht

Die Folge davon: 

  • Männer neigen beruflich und in der Freizeit zur Überbeanspruchung ihres Körpers und bemerken Probleme später als Frauen, die regelmäßig einen Frauenarzt konsultieren
  • Bei Männern wird erst in einem höheren Lebensalter die Notwendigkeit der regelmäßigen Untersuchung durch einen Urologen evident. 
  • Selbst wenn Männer im höheren Lebensalter um die Notwendigkeit von Vorsorgeuntersuchungen Bescheid wissen, nehmen sie diese meist erst in Anspruch, wenn eine deutliche Symptomatik aufgetreten ist. 

Rollenbilder und Männlichkeit

Bereits der vor mehr als 15 Jahren erschienene Bericht stellte fest, dass “Rollenerwartungen” von und an Männer ihre Gesundheit beeinträchtigt. Auch andere Rollenklischees hindern Burschen und Männer daran, die Hilfe in Anspruch zu nehmen, die sie brauchen: “Männer reden nicht über ihre Gefühle”, “Männer weinen nicht”, usw.. Das zeigt sich auch beim Thema psychische Erkrankungen. Denn einerseits ist das Aufsuchen von Unterstützung schwieriger, andererseits sind die Symptome etwa bei einer Depression andere als bei Frauen. Depressive Symptome sind bei Männern eher Aggression, Gereiztheit oder exzessiver Konsum. 

Das Bild von Männlichkeit ist geprägt von Schlagwörtern wie Stärke, Kraft, Durchsetzungsvermögen und Dominanz. Dieses Bild schadet nicht nur der Gesellschaft, sondern auch dem einzelnen Mann. Daher wollen wir uns im Movember mit neuen Perspektiven und Ansätzen beschäftigen. 

Quellen:

„Ohne Worte“: Siegerinnenbeitrag Stephan-Rudas-Preis in der Kategorie Rundfunk

„Ohne Worte“, ein Beitrag von Tiba Marchetti, der in der ORF Sendung „Am Schauplatz“ ausgestrahlt wurde, beschäftigt sich mit der Volkskrankheit Demenz.

Obwohl rund 130.000 Menschen in Österreich aktuell an Demenz leiden und die Zahlen in den kommenden Jahren deutlich ansteigen werden, ist es immer noch ein Tabuthema. Viele Betroffene haben Angst und schämen sich, sich die Krankheit einzugestehen. Tiba Marchetti sprach mit Betroffenen und deren Angehörigen sowie mit Betreuungspersonen in verschiedenen Einrichtungen, etwa einem Demenzdorf in Deutschland oder einer Pflegeeinrichtung in Wien.

Herausfordernde Situation
Demenz ist eine herausfordernde Situation. Für die Betroffenen selbst, aber auch für das Umfeld. „Es ist traurig zu sehen, wie der Mensch, den man kennt, immer weniger wird“, so ein Angehöriger. „Eine solche Krankheit beeinflusst das gesamte Leben, für alle im Umfeld“, sagt ein weiterer. Betroffene haben das Gefühl, dass „ihnen die Zahlen davonlaufen und Gedanken verloren gehen.“ Aber, davon sprechen viele Angehörige in dem Beitrag: es entwickelt sich eine neue Form der Liebe. Eine Liebe, in der Wertschätzung einen immer größeren Stellenwert einnimmt.

Professionelle Hilfe holen
Für Betreuungspersonen stellen sich eine Vielzahl von Herausforderungen. Für Pflegefachkräfte etwa gehe es vor allem darum, Menschen mit einer Demenzerkrankung dort abzuholen, wo sie gerade sind. Und klar ist auch: je früher die Diagnose gestellt wird, desto besser und desto länger ist es möglich, die Strukturen des alltäglichen Lebens aufrecht zu erhalten. „Jeder von uns hat schon einmal seine Schlüssel vergessen oder ein Wort ist uns nicht eingefallen. Wenn dies allerdings häufig auftritt und zu einer Belastung im Alltag wird, sollte man dringend professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, um die Situation abzuklären“, raten die Ärzt*innen in dem Beitrag.

(C) ORF/Am Schauplatz

„Als Betroffener ist es wichtig, dass man mir das Gefühl gibt, ich bin nicht allein. Also ich bin nicht der einzige, der das hat“, erklärt ein Interviewter.

Dass man darüber spricht und es nicht geheim hält, ist das wichtigste. Es ist nicht unangenehm. Im Alter kann das jedem passieren.

Betroffene in „Ohne Wort“: Am Schauplatz/ORF

Gesunder Lebensstil und Freundschaft
Ein gesunder Lebensstil kann dazu beitragen, dass Demenz später auftritt. Entscheidend seien aber auch Freundschaften. Sowohl im Vorfeld aber auch, wenn die Krankheit bereits ausgebrochen ist, betonen die Ärzt*innen.

„Die kranken Kinder von Moria“ Siegerinnenbeitrag Stephan-Rudas-Preis in der Kategorie Print

Im Flüchtlingslager auf Lesbos grassiert unter Kindern eine sonderbare Krankheit. Silke Weber hat sich in ihrem in der „Zeit“ erschienenen Beitrag mit einem Krankheitsbild, der fast ausschließlich junge Flüchtlinge betrifft, auseinandergesetzt.

Für rund 3.000 Menschen ist das Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos angelegt. Als Durchgangslager konzipiert, in dem Erstregistrierungen der Flüchtlinge organisiert und durchgeführt werden sollen, platzt es immer mehr aus allen Nähten. Die griechischen Behörden sind mit der Situation überfordert. Zum Zeitpunkt des Berichts lebten rund 20.000 Menschen in Moria, darunter etwa 6.000 Kinder. Viele von ihnen bereits viele Monate in einer an ein Slum erinnernden Zeltstadt.

Apathie
Immer mehr Kinder fallen in Apathie. Sie geben Sprechen, Bewegen und Essen auf. Mediziner gehen von einem bestimmten Krankheitsbild aus, wenn sich die Aktivitäten in zumindest drei der sechs Bereiche deutlich verringern:  Sprechen, Essen, Mobilität, Sozialleben, Körperpflege und -hygiene, Ansprache auf Fürsorge- und Ermutigungsmaßnahmen. Der Zustand, der meist schrittweise beginnt, kann bis zu einem Starrezustand führen.

Die siebenjährige Nazanin lächelt überhaupt nicht mehr. Sie malt auch nicht mehr, spricht nicht mehr, und das Essen hat sie fast aufgegeben. Nazanin hockt auf dem Boden der dunklen Hütte, ein Bett gibt es nicht, und starrt ins Leere. Es ist, als würde sie durch uns hindurchgucken, sagt die Mutter.

Silke Weber, Die Kranken von Moria In: Die Zeit

Selbstaufgabe-Syndrom
Erste Fälle sind aus den 1990er Jahren in Schweden bekannt, als die Symptome bei vier Kindern festgestellt wurden, deren Familien im Balkankrieg geflohen waren. Damals nannte man die Krankheit Uppgivenhetssyndrom, also Selbstaufgabe Syndrom. 2014 wurde das Syndrom unter diesem Namen in das schwedische Register der psychischen Erkrankungen aufgenommen. Anfang des 21. Jahrhunderts häuften sich in Schweden die Fälle. 2004 waren es bereits 182. Dem schwedischen Neurowissenschaftler Karl Sallin sind bis zum heutigen Tag in Schweden rund 1.000 Fälle bekannt. Anfängliche Vorwürfe, die Kinder würden versuchen, Aufmerksamkeit zu erlangen und einen positiven Asylstatus zu erhalten oder sogar Vorwürfe an Eltern, sie würden Kinder absichtlich vergiften, konnten als Fake-News identifiziert werden.

Ein neunjähriges Mädchen aus Afghanistan sucht Schutz in einem Zelt im Lager Moria auf Lesbos (C) Marie Dorigny/M.Y.O.P./laif

International gibt es bis heute keinen eindeutigen Begriff: Resignation Syndrome (RS), Pervasive Refusal Syndrome (PRS), depressive Devitalisierung (DD), Traumatic Withdrawal Syndrome (TWS), Giving-up-Syndrome oder einfach apathische Flüchtlingskinder sind gebräuchliche Bezeichnungen.

Neben Schweden, haben sich dieselben Krankheitssymptome auch auf der Insel Nauru gezeigt, wo Australien ein Auffanglager für Flüchtlinge errichtet hat. Mittlerweile sind dort – nach Druck der Zivilgesellschaft – keine Kinder mehr untergebracht. Auf Lesbos leben aber bis heute Kinder in Apathie.

Hier der gesamt Artikel:

medizinische Waage

„Haben Essstörungen ein Geschlecht“ – Siegerinnenbeitrag Stephan-Rudas-Preis in der Kategorie online

Magdalena Grunt setzt sich in ihrem auf Youtube zu sehenden Beitrag mit Vorurteilen gegenüber Männern mit Essstörungen auseinander.

Sensibel wird das Vorurteil, Essstörungen seien eine typische “Frauenkrankheit” aufgebrochen, um auch erkrankte Männer sichtbar zu machen. Dabei geht es nicht nur um die Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen, sondern auch darum, Geschlechterklischees zu enttarnen.  Mit dem Videobeitrag möchte Magdalena Grunt Stigmatisierung entgegenwirken, mehr Bewusstsein für die Erkrankung schaffen, dazu ermutigen, offen darüber zu sprechen und Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen.

Darüber zu reden hilft

„Am meisten hat mir geholfen, als ich begonnen habe, darüber zu reden“, sagt der von Grunt portraitierte Musiker Tino Romana in der Reportage. Schon in der Volksschule habe er Mobbing erlitten, fehlende Bezugspersonen kompensierte er mit Essen. „Das Essen wurde zu meinem besten Freund, zu meiner Bezugsperson“, so Tino. In der Schule wurde er von den anderen Kindern auf Grund seines relativ hohen Gewichts ausgeschlossen und aufgezogen. Von Erwachsenen fühlte er sich nicht ernst genommen. Als der Leidendruck später zu groß wurde, beschloss er gar nicht mehr zu essen. Schnell hat er an Gewicht verloren, was zur Magersucht führte. Auch Mediziner*innen, die er aufgesucht hat, haben sich meist mit äußerlichen Symptomen auseinandergesetzt und sind selten auf die Psyche eingegangen, erzählt Tino.

„Wenn Frauen über Essstörungen sprechen, ist das immer ein sehr, sehr ernstes Problem. Wenn Männer darüber sprechen heißt es meist, iss mehr oder geh ins Fitnesscenter, um zuzunehmen‘.

Tino Romana in: „Haben Essstörungen ein Geschlecht“

Verschiedene Ursachen

Bei den Gründen für eine Essstörung gäbe es grundsätzlich kaum einen Unterschied zwischen den Geschlechtern, erläutert die Systemische Familientherapeutin Gudrun Stempkowski. „Es ist multifaktoriell und hat mit verschiedenen Ursachen zu tun. Nach diesen Ursachen ist zu suchen, denn nur das Essverhalten zu ändern, wird die Essstörung nicht ändern.“ Immer noch seien Essstörungen ein Tabuthema, gerade unter Männern. Es herrscht immer noch ein falscher Ansatz vor, meint Tino. „Es ist keine Schwäche, wenn man über seine Schwäche redet. Im Gegenteil, man zeigt Stärke, wenn man über seine Probleme redet.“

Statistik

Statistiken zeigen einen deutlichen Anstieg der Fälle von Essstörungen bei Männern und hier vor allem bei sehr jungen. Zwischen 2008 und 2018 steig die Zahl der jungen Männer zwischen 12 und 17 Jahren um 60 Prozent. Mittlerweile machen Männer ein Viertel aller Fälle on Essstörungen aus. Zehn Jahre davor war es noch ein Fünftel.

Über Magdalena Grunt

Die 1999 in Wien geborene Journalistin Magdalena Grunt ist Mitbegründerin des journalistischen Kollektivs VORLAUT, das Politdiskurse und soziale Missstände aus einem intersektional-feministischen Blickwinkel betrachtet.

Das Video

Der Beitrag kann auf Youtube gesehen werden.

World Mental Health Day: „Reden ist die beste Form, um Stigma hintanzustellen“

Der 30. World Mental Health Day der WHO am 10. Oktober stand unter dem Motto: „Reden hebt die Stimmung – Seelisch gesund in unserer Gesellschaft“. Der Chefarzt der Psychosozialen Dienst in Wien, Dr. Georg Psota, sprach bei einer Veranstaltung im 5. Bezirk in Wien über die Bedeutung der psychosozialen Gesundheit und Wege zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen.

„Rund ein Drittel bis ein Viertel der Bevölkerung in unseren Breiten leidet einmal pro Jahr an psychischen Problemen. Die Verläufe sind, wie bei jeder somatischen Krankheit auch, leicht bis schwer bzw. akut bis chronisch. Nachdem nicht immer dasselbe Drittel von einer Erkrankung betroffen ist, kann man sich leicht ausrechnen, dass im Verlauf eines Lebens, fast jeder Mensch mit psychosozialen Herausforderungen zu kämpfen hat“, skizzierte Dr. Psota die dramatische Situation.

Dr. Georg Psota bei der Veranstaltung zum World Mental Health Day (Copyright: PSD-Wien)

Freundschaft erhält die Gesundheit
„Es gibt eine Vielzahl von Faktoren, die die Gesundheit beeinflussen: Nicht rauchen natürlich, geringer Alkoholkonsum und viel Bewegung. Der wichtigste Faktor aber um die Gesundheit zu erhalten, und das zeigen eine Vielzahl von Studien, ist die Pflege von Freundschaften. Denn der Mensch ist ein soziales Wesen, das von Kommunikation abhängig ist“, so Psota.

Es gibt keine Gesundheit ohne psychische Gesundheit!

Dr. Georg Psota

Hilfe in Anspruch nehmen
Um der immer noch vorherrschenden Stigmatisierung psychischer Erkrankungen entgegenzutreten, empfiehlt Dr. Psota das Reden. „Reden ist die beste Form, um das Stigma hintanzuhalten.“ Dies gelte für Betroffene, die sich so schnell wie möglich Hilfe holen sollen und nicht aus Angst lange zuwarten dürfen. „Es kann nicht sein, dass man monatelang nicht schlafen kann, ständig abnimmt und andere Symptome aufweist, bevor man Hilfe in Anspruch nimmt. Man darf sich davor nicht scheuen“, warnt Dr. Psota. Ähnliches gilt auch für die Umgebung, Familie und Freunde. „Sprechen sie das Problem an, wenn sie sich Sorgen machen“, appelliert er.
„Meine Hoffnung ist es, dass wir bald gemeinsam eine große Geschichte erzählen: die Geschichte von der Psyche, die hohen Risiken ausgesetzt ist“, so Dr. Psota.

World Mental Health Day
Die Veranstaltung World Mental Health Day fand auf Einladung von Onesoc im Creative Cluster im 5. Wiener Gemeindebezirk statt. Neben Dr. Psota sprachen auch Bezirksrätin und Vorsitzende der Kommission für Gesundheit, Soziales und Prävention, Mag.a Katharina Ranz, die Beraterin, Coach und Expertin für mentale Fitness und Verhaltensveränderung, Eva Gruber, die Fachbereichsleiterin Selbsthilfe bei pro mente Wien, Christine Reinhardt und der CEO von The Impressive Company, Nikodemus Wagner.

Stephan-Rudas-Preisträgerinnen 2022 stehen fest

Magdalena Grunt, Tiba Marchetti und Silke Weber erhielten Auszeichnung für fundierte Berichterstattung über psychische Erkrankungen.

Mit ihrer Dokumentation „Haben Essstörungen ein Geschlecht“ gewann Magdalena Grunt mit ihrem Team des journalistischen Kollektivs VORLAUT in der Kategorie „Online“. Tiba Marchetti erhielt den Preis in der Kategorie „Rundfunk/TV“ mit der in der Sendung „Am Schauplatz“ (ORF) ausgestrahlten Reportage “Ohne Worte”. In der Kategorie „Print“ überzeugte Silke Weber mit dem in der „Zeit“ veröffentlichten Text „Die kranken Kinder von Moria“ die Fachjury. Die preisgekrönten Journalistinnen erhielten ihre Auszeichnungen im Rahmen des Tages der psychischen Gesundheit im Wiener Rathaus am 3. Oktober.

„Der Preis für fundierte Berichterstattung über psychische Erkrankungen wurde nun zum fünften Mal verliehen. Wir freuen uns, dass die Zahl der Einreichungen immer höher wird und dies auch mit einer sehr hohen Qualität der Beiträge einhergeht“, sagte der Koordinator für Psychiatrie, Sucht – und Drogenfragen der Stadt Wien, Ewald Lochner, bei der Verleihung. „Tabus, Scham und Verdrängung schaden ganz besonders, wenn es um psychische Störungen und Erkrankungen geht. Der Stephan-Rudas-Preis ist ein wichtiger Beitrag für einen vorurteilsfreien und unbelasteten Zugang zu Vorbeugung und Behandlung“, betonte auch Dr. Michael Binder, medizinischer Direktor des Wiener Gesundheitsverbundes.

Koordinator für Psychiatrie, Sucht – und Drogenfragen der Stadt Wien, Ewald Lochner, bei der Verleihung des Stephan-Rudas-Preises 2022 (Copyright: Barbara Wirl)

Journalist*innen spielen in der Vermittlung von faktenbasiertem Wissen zu psychosozialen Erkrankungen eine entscheidende Rolle. Sie können durch die Darstellung von Erfahrungsexpert*innen und einer bewussten Sprache der Stigmatisierung entgegentreten.

Ewald Lochner,Koordinator für Psychiatrie, Sucht – und Drogenfragen der Stadt Wien, Ewald Lochner

Die Siegerinnen

  • Magdalena Grunt: „Haben Essstörungen ein Gesicht“
    Die 1999 in Wien geborene Journalistin Magdalena Grunt ist Mitbegründerin des journalistischen Kollektivs VORLAUT, das Politdiskurse und soziale Missstände aus einem intersektional-feministischen Blickwinkel betrachtet.Der im März 2022 auf Youtube erschienene Beitrag “Haben Essstörungen ein Geschlecht” setzt sich mit Vorurteilen gegenüber Männern mit Essstörungen auseinander. Sensibel wird Essstörungen als typische “Frauenkrankheit” aufgebrochen, um auch erkrankte Männer sichtbar zu machen. Dabei geht es nicht nur um die Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen, sondern auch darum, Geschlechterklischees zu enttarnen. . Mit dem Videobeitrag möchte Magdalena Grunt Stigmatisierung entgegenwirken, mehr Bewusstsein für die Erkrankung schaffen, dazu ermutigen, offen darüber zu sprechen und Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen.
  • Tiba Marchetti: „Ohne Worte“
    Tiba Marchettis ist Redakteurin der ORF Sendung „Am Schauplatz“. Als solche hat sie sich in der Reportage „Ohne Worte“ mit der Volkskrankheit Demenz auseinandergesetzt. Sie hat dafür Betroffene und Angehörige besucht und sich auch verschiedene Einrichtungen angesehen – vom Demenzdorf in Deutschland bis zum Pflegewohnheim in Wien.
    Sie thematisiert dabei eine Krankheit, über die nicht gerne geredet wird – obwohl etwa 140.000 Menschen in Österreich betroffen sind und sich die Zahl in den kommenden Jahrzehnten zumindest verdoppeln wird. Sie ging unter anderem den Fragen nach, wie diese versteckte Volkskrankheit verläuft, wie viele Jahre man damit leben kann und zeigt uns Zuschauer*innen, wie das Leben für Erkrankte und Angehörige aussieht.
  • Silke Weber „Die kranken Kinder von Moria“
    Die studierte Soziologin und Philologin Silke Weber behandelt in ihrem in der Zeit erschienenen Text eine sonderbare Krankheit: Augenscheinlich gesunde Kinder fallen während ihres Aufenthalts im Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos in totale Apathie. Sie versucht der Erkrankung auf den Grund zu gehen und setzt sich tiefergehend mit dem Resignation Syndrom auseinander. Dabei lässt sie die Leser*innen jedoch keine Sekunde vergessen, dass es Kinder und Jugendliche sind, die von der internationalen Gemeinschaft im Stich gelassen wurden.

Tag der psychischen Gesundheit im Wiener Rathaus

Der 3. Oktober 2022 stand in Wien ganz im Zeichen der psychischen Gesundheit. Auf Initiative des Wiener Gesundheitsverbundes (Wigev) und der Psychosozialen Dienste in Wien (PSD-Wien) wurde der Tag der psychischen Gesundheit im Wiener Rathaus begangen. Mehr als 50 Organisationen, die Beratung, Behandlungen oder Selbsthilfe zum Thema psychische Gesundheit, Krisen und Sucht in der Stadt Wien anbieten, haben sich im Wiener Rathaus präsentiert und einen Überblick über die vielfältige Landschaft ermöglicht.

Kinder- und Jugendpsychiatrie als Schwerpunkt

In einer Diskussion bei der Verleihung betonte der Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien, Georg Psota: „Kinder und Jugendliche waren in den vergangenen Jahren von der Pandemie besonders betroffen, hinzu kommen der Krieg in der Ukraine, die Klimakrise, die Teuerungen. Die Folgen andauernder psychischer Belastungen sind enorm. Zum Beispiel haben fehlende soziale Kontakte und damit einhergehende physische Einsamkeit haben unter anderem dazu geführt, dass Essstörungen und Depressionen gerade bei jungen Menschen stark zugenommen haben. Die Psychosoziale Versorgung muss personell massiv gestärkt werden.“ Psychiatriekoordinator Ewald Lochner forderte einmal mehr, dass sämtliche Hürden beim Zugang zum Medizinstudium abgebaut werden: „Wir brauchen dringend Fachärzt*innen! Es gab dieses Jahr 12.000 Teilnehmer*innen beim Medizin-Aufnahmetest – man ließ über 10.000 Interessierte einfach ziehen, weil es nicht genügend Studienplätze gibt. Es ist an der Zeit, zu begreifen, dass sich grundlegende Dinge im System ändern müssen.“ Gleichzeitig sei es ebenso wichtig, deutlich zu machen, dass eine psychische Erkrankung eine Krankheit ist, wie auch jede somatische ist.

Der Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien, Dr. Georg Prota (links), bei der Verleihung des Stephan-Rudas-Preises 2022.
(Copyright: Barbara Wirl)

Zum Beispiel haben fehlende soziale Kontakte und damit einhergehende physische Einsamkeit haben unter anderem dazu geführt, dass Essstörungen und Depressionen gerade bei jungen Menschen stark zugenommen haben.

Dr. Georg Psota, Chefarzt, Psychosoziale Dienste in Wien

Psychiater und Psychiatriereformer: Prof. Dr. Stephan Rudas (1944-2010)

„Die Seele ist ein unsichtbares Organ und wird übersehen, wenn man nicht über sie redet.” (15.12.2001) — Prof. Rudas hat nicht nur über die Seele geredet, sondern für sie gelebt. Ohne ihn hätte es die Wiener Psychiatriereform und den PSD-Wien nicht gegeben: Gemeinsam mit dem damaligen Stadtrat für Gesundheit und Soziales Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Alois Stacher (1925-2013) revolutionierte Prof. Rudas als PSD-Gründungschefarzt die psychiatrische Versorgung in Wien. Diese gesundheits- und sozialpolitisch höchst bedeutsame Epoche veränderte die Lebensrealität chronisch psychisch kranker Menschen fundamental.

Dr. Stephan Rudas