Schlafstörungen und psychische Gesundheit

Durchschlafen, schneller Einschlafen – Schlaf beschäftigt uns und bestimmt, wie unser Tag verläuft. Wir haben den Experten Prim. Dr. Sergio Rosales-Rodríguez zu Schlafstörungen und psychischer Gesundheit befragt. Und uns gleich ein paar Tipps geholt. Dr. Rosales-Rodríguez ist Ärztlicher Leiter des Instituts für Psychiatrische Frührehabilitation und des Sozialpsychiatrischen Ambulatorium Floridsdorf.

DRW: Wie hängen Schlaf und Psyche zusammen?

Dr. Rosales-Rodríguez: Schlaf und psychische Erkrankung hängen eng zusammen. Auch in der Diagnose zahlreicher psychischer Erkrankungen spielen Schlafstörungen eine Rolle: Das verdeutlicht den großen Zusammenhang. Bei deliranten Zustandsbildern kommt es beispielsweise zu einer Schlaflosigkeit oder Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus. Bei manischen Zuständen sehen wir ein reduziertes Schlafbedürfnis und bei depressiven Zuständen wiederum sehen wir oft ein Früherwachen.

DRW: Wie viel Schlaf ist zu wenig?

Dr. Rosales-Rodríguez: Bei dieser Frage muss man vorsichtig sein. Die Menschen hören immer „man sollte acht Stunden am Tag schlafen.“. Zum größten Teil kommen diese Aussagen aus Untersuchungen der allgemeinen Population. Leute werden gefragt: „Wie viele Stunden schlafen sie am Tag?“ Die Antworten sind natürlich verschieden und es kommt zu einer bestimmten Bandbreite. Am Ende wird aber ein Durchschnitt errechnet: acht Stunden. Das heißt nicht, dass alles darunter oder darüber krankheitswertig ist, es heißt nur, dass im Durchschnitt die Leute acht Stunden schlafen. Warum erkläre ich das? Weil letztendlich die Gesamtschlafzeit eine große Rolle spielt, wenn diese in Zusammenhang mit dem individuellen Schlafbedürfnis betrachtet wird.

DRW: Was passiert, wenn das Schlafbedürfnis nicht erfüllt wird?

Dr. Rosales-Rodríguez: Wenn tatsächlich eine reduzierte Gesamtschlafzeit bezogen auf das individuelle Schlafbedürfnis seit längerer Zeit besteht – also, wenn eine Person an ihren Bedürfnissen gemessen insgesamt zu wenig schläft – ist mit psychischen und organischen gesundheitlichen Folgen zu rechnen. Der Einfluss von reduzierter Gesamtschlafzeit auf psychische Erkrankungen, aber auch auf das Immunsystem oder endokrine Erkrankungen wie Diabetes ist erwiesen. Ebenfalls kann eine chronisch verkürzte Gesamtschlafzeit zu einer Verkürzung der Lebenszeit führen.

DRW: (Ab) Wann sollte ich mir professionelle Hilfe suchen?

Dr. Rosales-Rodríguez: Professionelle Hilfe sollte jederzeit bekannt und verfügbar sein. Vor allem in Hinblick auf die Überflutung an Informationen, die durch die vielen (digitalen) Medien verursacht wird. Als Laie wird es noch schwieriger, die Richtigkeit von Aussagen zu überprüfen. Daher ist professionelle Hilfe wichtig – auch im Sinne einer primären Prävention. Das heißt, bevor überhaupt Beschwerden auftreten, können Maßnahmen ergriffen werden, um die eigene Gesundheit zu erhalten.

DRW: Wie können Fehlinformationen bezüglich Schlaf schaden?

Dr. Rosales-Rodríguez: Bestimmte Menschen haben für sich gewisse Regeln aufgestellt, die eher Krankheiten begünstigen. Wenn ich zum Beispiel denke: „Der beste Schlaf entsteht vor 19 Uhr“, weil ich das irgendwo gelesen habe, werde ich versuchen, mich früher schlafen zu legen. Höchstwahrscheinlich werde ich aber erst nach ein paar Stunden Liegezeit einschlafen können. Das führt dazu, dass ich mich dann jedes Mal ärgern werde, wenn ich nicht rechtzeitig schlafen kann. Es kommt in weiterer Folge zu einer Anspannung vor dem Schlafengehen, was wiederum die Einschlafzeit verlängern wird, da ich nicht angespannt einschlafen kann. Es entsteht ein Kreislauf, was mit einer Insomnie endet, der durch eine professionelle Psychoedukation rechtzeitig unterbrochen hätte werden können. Natürlich ist professionelle Hilfe zu holen, wenn Schlafstörungen die Lebensqualität, egal auf welcher Ebene, mindern. Optimal wäre es natürlich, sich viel früher Hilfe zu holen.

Tipps für bessere Schlafgewohnheiten:

  • Schlafstätte nur für Schlaf und sexuelle/intime Aktivität nutzen: So kannst du sich selbst konditionieren. Das Bett bedeutet Schlafen, wenn man sich dort hinlegt.  
  • Routine hilft: Versuch so oft es geht zur gleichen Uhrzeit ins Bett zu gehen.
  • Zur Schlafenszeit keine aufputschenden Substanzen konsumieren (Koffein, Alkohol, schwere Mahlzeiten)
  • Aktivierende Aktivitäten (z.B. Sport) ausschließlich unter Tags betreiben: Als große Faustregel könnte man sagen, sei aktiv während des Tages und treibe eher entspannende Aktivitäten in den Abendstunden.
  • Runterkommen: Abends ein Buch lesen oder Hörbuch anhören wirkt entschleunigend und beruhigt.
  • Lüften: Genügend Frischluft im Schlafzimmer hilft nicht nur, besser einzuschlafen, es fördert auch einen erholsameren Schlaf.

Schlaf und Psyche in Zahlen: Eine Studie mit über 25.000 Personen aus ganz Europa stellte 2001 den Zusammenhang zwischen Schlaf und psychischen Erkrankungen fest (Ohayon und Roth). Von den ca. 27% der Befragten, die Schlafstörungen angaben, litt etwas weniger als die Hälfte auch an einer psychischen Erkrankung. Streng medizinisch definiert waren nur 17% der Befragten von einer Schlafstörung betroffen, von diesen litten aber ganze 65% auch an anderen psychischen Erkrankungen.

Mockup der Plakaktkampagne. Auf einer Glas-Auslage sind drei Plakate der Kampagne in unterschiedlichen Farben angebracht.

#darüberredenwir im neuen Gwand!

Mit der neuen Aufbereitung und Zielrichtung der Kampagne #darüberredenwir setzen sich die Psychosozialen Dienste in Wien zum Ziel, vor allem junge Menschen anzusprechen. Faktenbasiertes Wissen wird zielgruppengerecht und niederschwellig bereitgestellt. Zudem sollen psychische Erkrankungen und die Erkrankten selbst in all ihren Facetten Raum geboten werden – denn nach wie vor, sind Schizophrenie, Suchterkrankungen oder Essstörungen mit Vorurteilen behaftet. Mythen und falsche Annahmen kursieren zu dem nach wie vor rund um psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten und Einrichtungen.

„Das Thema psychische Gesundheit hat es in die Mitte der Gesellschaft geschafft – meint man. Doch bei genauerem Hinhören, sehen wir, dass der öffentliche Diskurs nur an der Oberfläche kratzt. #Selfcare und Selbstoptimierung geben uns das Gefühl, jede*r kann es schaffen, aus einer psychischen Krise mit ein bisschen Bewegung und Therapie herauszukommen. Das stimmt allerdings nicht“, erklärt Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht und Drogenfragen der Stadt Wien.  

Neue Plakate, neue Kanäle

Seit Kurzem ist #darüberredewir auch auf TikTok präsent. Mit Videos rund um das Thema Entstigmatisierung, Fakten und Infos rund um Psychiatrie, Erkrankungen und Behandlungsmöglichkeiten, sowie Fakten-Checks sollen vor allem jüngere Menschen abgeholt werden. Folgt uns:

Was kommt?

Nach wie vor mangelt es laut Lochner an Wissen rund um Diagnosen, Behandlungsformen und Umgang mit psychischen Erkrankungen. Zudem spiele die Ressourcenfrage auch beim Thema psychische Gesundheit eine wichtige Rolle: „Die aktuellen Krisen – sei es Pandemie, Krieg, Teuerung oder die Klimakatastrophe – treffen uns alle, doch wir sitzen nicht alle im selben Boot. Wir alle befinden uns auf der stürmischen See, doch während manche auf einer Luxusyacht sicher sind, müssen andere auf einem wackeligen Floss gegen die Fluten ankämpfen.“

Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen sind die psychischen Problematiken und diagnostizierten Erkrankungen stark gestiegen. Zahlreiche Studien belegen den Anstieg von Suizidgedanken, Angsterkrankungen und Essstörungen. Zudem belegen unter anderem die in den letzten drei Jahren durchgeführten SORA-Studien zur psychosozialen Situation der Wiener*innen, dass bestehende Hilfsangebote von Betroffenen spät oder gar nicht Anspruch genommen werden.

„Wichtig ist, dass junge Menschen über die Behandlungs- und Unterstützungsangebote Bescheid wissen, nicht davor zögern, sich Hilfe zu holen, falls es nötig ist und auch hinschauen, wenn es im Freundeskreis Probleme gibt“, betont Primar Dr. Georg Psota, Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien. Mit den aktuellen Sujets will der PSD-Wien wach rütteln, zur Selbstreflexion anregen und alle Facetten der psychischen Gesundheit sichtbar machen.  

2019 starteten die Psychosozialen Dienste in Wien die Kampagne zur Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen #darüberredenwir. Was als kleine Initiative angesetzt war, fand großen Anklang in der Wiener Bevölkerung. Der Staatspreis in der Kategorie „Digitale Kommunikation“ im Jahr 2020 unterstrich die Wichtigkeit der Kampagne. Auf Facebook und Instagram hat sich eine Community gebildet, die sich austauscht und Erfahrungen teilt. Mit Tipps und faktenbasierten Informationen hilft #darüberredenwir zudem Betroffenen, Erfahrungsexpert*innen und Angehörigen.

Wien Innenstadt

Psychosoziale Gesundheit der Wiener*innen

Die neue SORA Studie ist da!

Über drei Jahre verteilt hat das SORA-Institut Wiener*innen zur Selbsteinschätzung ihres Gesundheitszustandes befragt. Letzte Woche haben wir einige Journalist*innen eingeladen, um diese Bestandsaufnahmen zu besprechen und haben daraus folgende Maßnahmen vorgestellt. Auch nachdem die Einschränkungen der Pandemie weniger geworden sind empfinden viele Wiener*innen immer noch eine Verschlechterung und darauf gilt es zu reagieren. Zudem werden die Herausforderungen, die die Wiener*innen beobachten, stärker und unterschiedlicher. Neben der Pandemie, die 2022 immer noch fast 44% als Belastung empfunden haben, sind es vor allem steigende Lebenskosten und der Krieg in Europa, unter denen die Menschen leiden.

60% der Wiener*innen berichten, dass sie zumindest an einzelnen Tagen Depression, Ängste und Erschöpfung verspürt haben. Die Erschöpfung hat sich – im Gegensatz zu anderen Symptomen – nicht verringert, sondern ist weiter gestiegen. Rund 50% leiden unter Niedergeschlagenheit, unkontrollierbaren Sorgen oder Einsamkeit und 30% geben schwere familiäre Konflikte an – ein Wert, der sich seit 2020 mehr als verdoppelt hat.

Treffend beschreibt Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen die Situation: „Dass alle im selben Boot sitzen, ist faktisch falsch, das zeigt auch die Studie. Wir befinden uns vielleicht alle auf einer rauen See. Dennoch ist es ein Unterschied, ob jemand sich in einer großen Yacht oder in einem Kanu oder Einbaum auf rauer See befindet.“ Denn, vulnerable Gruppen, die schon vor der Pandemie belastet waren, Frauen und junge Menschen sowie Personen, deren ökonomischen Ressourcen sich im unteren Drittel befinden, sind deutlich schwerer betroffen, als andere.

Maßnahmen

Der PSD-Wien reagiert mit dem Ausbau seines Angebots: Um den vielfältigen Themen Platz zu geben, die die Wiener*innen beschäftigen, wird die ursprüngliche Corona-Sorgenhotline zur Sorgenhotline ausgebaut. Hier können alle mit ihren Sorgen täglich anrufen, um mit jemandem über Ängste und Belastungen zu sprechen: 01 4000 53000.

Das Home-Treatment ist als Pilotprojekt der Psychosozialen Dienste in Wien (PSD-Wien) in Kooperation mit der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie (MedUni Wien/AKH), das erste seiner Art gewesen. In Wien konnten seit dem Beginn im März 2021 54 Kinder behandelt werden. Die Evaluierung bezeugt den Erfolg des Pilotprojektes, welches nun verlängert und vergrößert wird. Im Rahmen des Home-Treatments werden Kinder und Jugendliche mit psychischen Erkrankungen und deren Familien für einen längeren Behandlungszeitraum in ihrem direkten Lebensumfeld – bei sich zu Hause –  betreut. Durch die Arbeit vor Ort wird der Lebensalltag der Kinder und Jugendlichen in die Behandlung miteinbezogen und es kommt zu keinen Abbrüchen von wichtigen sozialen Beziehungen in Familie, Schule oder Betreuungsumfeld.

Besonders wichtig ist jetzt auch die Arbeit der Kampagne #darüberredenwir. Viele Wiener*innen gaben an Bedarf nach Unterstützung von außerhalb zu spüren und nicht alle von ihnen fanden Möglichkeiten Hilfsangebote auch tatsächlich in Anspruch zu nehmen. Weiterhin spielt die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen eine Rolle dabei. #darüberreden kämpfte von Anfang an dafür, dass sich niemand für eine Erkrankung schämen sollte. Wir werden psychische Gesundheit weiterhin zum Thema machen!

Zitat von Pia aus dem Artikel:

Shurjoka über ihre Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen

Pia Scholz ist als Shurjoka selbstständige Streamerin mit über 233.000 Follower auf Twitch. Neben Strategie-Spielen, Indie-Titeln und Collabs mit anderen Gamern spricht sie auch über gesellschaftspolitische Themen. Sowohl in ihren Streams als auch auf anderen sozialen Plattformen nimmt sich die bald 25-jährige kein Blatt vor den Mund, wenn es um die Themen Gerechtigkeit, Anti-Diskriminierung oder die Rechte von Minderheiten geht. Aber auch der Umgang mit psychischer Belastung wird immer wieder zum Thema. Wir haben Pia gebeten, ihre persönlichen Erfahrungen, Tipps und Tricks mit der #darüberredenwir Community zu teilen.

Foto: Credits: Tarek Siewert

Wir kommen um die erste Frage wohl nicht ganz herum daher: Wie geht es? Wie geht es dir wirklich?

Mir geht es gut. Also wirklich, wirklich gut. Die Zeit zwischen Herbst und Winter ist bei mir jedes Jahr eine Herausforderung. Wenn das Wetter kalt und grau wird und man gefühlt über Tage keine Sonne erlebt, drückt das immer massiv auf mein Wohlbefinden. Früher war das, in Kombination mit dem Schul- und Arbeitsstress, oft ein Auslöser für eine depressive Episode, mittlerweile krieg ich mich davor gut selbst aufgefangen.

Als Streamerin sind deine Hauptthemen Strategie-Spiele, Indie-Titel und ähnliches. Wie kommt es, dass auch psychische Belastungen und Erkrankungen immer wieder zum Thema werden?

Meine Erkrankung gehört nun mal zu meinem Leben dazu, auch wenn ich es wollen würde, kann ich sie nicht aus meinem Alltag ausklammern. Ich sehe auch keinen Mehrwert darin die Krankheiten öffentlich zu verstecken. Mir persönlich hat es immer sehr geholfen, mich mit anderen Betroffenen auszutauschen, um zu sehen, dass ich eben nicht die Einzige damit bin und mir auch alltägliche mentale Werkzeuge von anderen abzuschauen und dadurch zu lernen.

Erkennst du einen Zusammenhang zwischen der psychischen Gesundheit und deiner Arbeit als Streamerin?

Auf jeden Fall, ja. Aber alles in unserem Leben hat einen Einfluss auf unsere psychische Gesundheit. Die größte Belastung durch meinen Beruf ist die Öffentlichkeit – durch das Internet und die Livestream-Formate interagiere ich mit mehreren tausenden Menschen gleichzeitig und das fast täglich. Diese Menschen wollen kommunizieren, haben aber auch eine Erwartungshaltung an mich, und wenn ich diese nicht erfülle, kann es schnell sehr hässlich werden. Das baut Druck auf, und der kann sich auch langfristig auf meine Erkrankungen auswirken.

Gleichzeitig mache ich mich vor allem mit meinen gesellschaftlichen Themen leicht zur Zielscheibe für Hass und Anfeindungen im Netz. Wenn man eine starke, eigene Meinung vertritt – auch dann wenn diese völlig normal sein sollte – wird einem trotzdem von anonymen Fremden widersprochen. Es ist ein konstantes kommunikatives Aneinanderreiben von Fronten, das manchmal sehr ermüdend sein kann.

Pia Scholz lächelt in die Kamera.

Erkennst du einen Zusammenhang zwischen der psychischen Gesundheit und deiner Arbeit als Streamerin?

Auf jeden Fall, ja. Aber alles in unserem Leben hat einen Einfluss auf unsere psychische Gesundheit. Die größte Belastung durch meinen Beruf ist die Öffentlichkeit – durch das Internet und die Livestream-Formate interagiere ich mit mehreren tausenden Menschen gleichzeitig und das fast täglich. Diese Menschen wollen kommunizieren, haben aber auch eine Erwartungshaltung an mich, und wenn ich diese nicht erfülle, kann es schnell sehr hässlich werden. Das baut Druck auf, und der kann sich auch langfristig auf meine Erkrankungen auswirken.

Gleichzeitig mache ich mich vor allem mit meinen gesellschaftlichen Themen leicht zur Zielscheibe für Hass und Anfeindungen im Netz. Wenn man eine starke, eigene Meinung vertritt – auch dann wenn diese völlig normal sein sollte – wird einem trotzdem von anonymen Fremden widersprochen. Es ist ein konstantes kommunikatives Aneinanderreiben von Fronten, das manchmal sehr ermüdend sein kann.

Fotoquelle: https://twitter.com/Shurjoka

Was sind deine Erfahrungen mit der Behandlung von psychischen Erkrankungen (also Therapie, Fachärzt*innen, Meds…)?

Ich war jahrelang in psychotherapeutischer Behandlung, genauer gesagt achteinhalb Jahre am Stück. Die meiste Zeit bei einer wundervollen Psychotherapeutin, die mir vermutlich mehr über das Leben, Erwachsenwerden und meine Gesundheit beigebracht hat als meine Eltern. Es hat allerdings einige Anläufe gebraucht bis ich diese Therapeutin gefunden habe und durch meine herausfordernde Kindheit waren die ersten Anlaufstellen Gespräche mit Sozialarbeiter:innen beim Jugendamt. Es folgten einige, durch meine Mutter verursachte Wechsel und dann war ich auch mehrfach auf der Kinderpsychiatrie, da wurden die ersten Vermutungen und dann auch letztendlich die erste Diagnose gestellt. Mir wurden zwischenzeitlich auch Medikamente verschrieben, diese habe ich aber seit mehreren Jahren erfolgreich abgesetzt.

Wie alt warst du, als deine erste Diagnose erhalten hast?

Die erste vorsichtige Vermutung zu meiner Depression wurde von professioneller Seite gestellt, als ich 11 Jahre alt war. Damals war es aber mehr eine Möglichkeit, die man ausschließen wollte, und der Hauptfokus lag auf „präpubertierendem Verhalten“ und „Verdacht auf Lernschwäche“. Als die vermutete Lernschwäche auf der Kinderpsychiatrie nicht nachgewiesen werden konnte, hat man mich beim Jugendamt erst einmal als klassische „Problemjugendliche“ gebranded und die weitere Suche nach gesundheitlichen Ursachen wurde zur Seite geschoben.

Mit 14 bekam ich dann final eine Diagnose zur Depression und auch zur bipolaren Persönlichkeitsstörung, aber auch mit dem Hinweis, dass das in dem Alter, aber vor allem durch die damals dann bekannte, herausfordernde Lebenssituation und mein gewalttätiges Umfeld, schwer in ihrem ganzen Ausmaß zu diagnostizieren sei. Mittlerweile sind Depression und „Bipo“ zweifellos festgestellt, aber es ist schwer zu sagen, ob diese über die Jahre leichter wurden oder mein mittlerweile sehr ruhiges, liebevolles Umfeld und meine erfolgreiche Therapie mir ein vergleichsweise so unbeschwertes Leben ermöglichen.

Was hat die Diagnose für dich bedeutet?

Das ist mittlerweile so viele Jahre her, dass es schwer ist, noch genau in Worte zu fassen, was das in mir ausgelöst hat. Ich denke, es war zuerst einmal Erleichterung, denn mir war ja bis dato von meinem Umfeld konstant suggeriert worden, ich sei das Problem und es wäre meine individuelle Entscheidung, eben kein Problem zu sein. Mir wurde die gesamte Verantwortung für jeglichen Stress, jeglichen Streit, jegliche Herausforderung in der Familie zugeschoben, und das kann man als Jugendliche, weder mit noch ohne Erkrankung, nicht unbeschadet übernehmen.

Es hat geholfen, dass andere Erwachsene, wenn auch nicht meine Familie, plötzlich Verständnis zeigen wollten, für das, was mit mir los ist und wie es mir geht, und das mir wirklich ernsthaft zugehört wurde. Dann folgte große Verzweiflung, denn die erste Diagnose habe ich durch einen Aufenthalt in der Psychiatrie bekommen und die Ärztin dort, hatte nicht so ein gutes Händchen im Umgang mit so jungen Menschen. Sie hat mir sehr eindeutig gemacht, dass es für diese Art von psychischen Erkrankungen keine Heilung gibt, und dass ich lernen werde müssen, damit zu leben. Ich dachte damals, ich würde niemals glücklich sein können, das hat viel in mir gebrochen.

Was sind die größten Stressfaktoren und Belastungen für dich?

Wenn es zu Konflikten mit Menschen kommt, die mir sehr wichtig sind. Ich bin sehr belastbar, wenn es um die Arbeit geht, als wäre das ein eigener Stressmagen aber Stress im privaten Umfeld schmeißt mich mega aus der Bahn. Ich brauche eine entspannte, ausgeglichene Atmosphäre zu Hause, weil das mein mentaler Reset-Ort ist.

Was machst du, wenn du merkst, es wird alles zu viel?

Pausen. Das klingt so simpel, aber tatsächlich war es eine riesige Herausforderung für mich zu akzeptieren, dass auch ich an meine Grenzen komme und dann Pause machen muss. Es steht ein wenig im Konflikt mit den eigenen Werkzeugen, die ich für mich gefunden habe, denn ich versuche eigentlich, im Alltag immer beschäftigt zu sein, damit mein Kopf in keine Spirale gerät. Bewusst Pause zu machen, ohne dass es sich wie Down-Time anfühlt und meine Depression mich dann einholt und verhindert, dass ich wieder hochkomme, war eine der größten Herausforderungen der letzten Jahre. Diese Pausen können bedeuten, dass ich mit den Hunden in den Wald fahre, einen Tag mehr auf der Ranch bei den Pferden verbringe oder dass ich wirklich mal einen Tag im Bett bleibe, Essen bestelle und Serien schaue.

Was machst du, wenn du merkst, es wird alles zu viel?

Pausen. Das klingt so simpel, aber tatsächlich war es eine riesige Herausforderung für mich zu akzeptieren, dass auch ich an meine Grenzen komme und dann Pause machen muss. Es steht ein wenig im Konflikt mit den eigenen Werkzeugen, die ich für mich gefunden habe, denn ich versuche eigentlich, im Alltag immer beschäftigt zu sein, damit mein Kopf in keine Spirale gerät. Bewusst Pause zu machen, ohne dass es sich wie Down-Time anfühlt und meine Depression mich dann einholt und verhindert, dass ich wieder hochkomme, war eine der größten Herausforderungen der letzten Jahre. Diese Pausen können bedeuten, dass ich mit den Hunden in den Wald fahre, einen Tag mehr auf der Ranch bei den Pferden verbringe oder dass ich wirklich mal einen Tag im Bett bleibe, Essen bestelle und Serien schaue.

Fotoquelle: https://twitter.com/Shurjoka

Hast du allgemeine Tipps dafür, wie du auf deine Psyche achtest?

Es ist superschwer allgemeine Tipps zur Psyche zu geben, weil die Psyche von Menschen völlig unterschiedlich funktioniert und sogar die gleichen Diagnosen ganz anders auftreten können. Die meisten psychischen Erkrankungen und Belastungen liegen auf einem Spektrum, es gibt leider keine leichte 1-zu-1-Anleitung, die für jeden funktioniert. Ich hab‘ als Jugendliche oft auf Dark Souls als Analogie für meine Depression zurückgegriffen, wenn mir alltägliche Aufgaben wie Zähne putzen oder die Hunde füttern vorgekommen ist, als wäre es unüberwindbar, habe ich mir vorgestellt, es wäre ein Dark Souls Boss, den ich besiegen muss und dass ich super stolz sein darf, wenn ich das schaffe. Gleichzeitig kann man sich bei Dark Souls in einem Run nicht regelmäßig heilen, also muss man selber im Blick behalten, wann man sich einen Bosskampf stellt oder doch erst den nächsten Checkpoint sucht. Es ist eine Analogie, die sich viel damit beschäftigt, die Kontrolle über sich selbst zurückzubekommen. Zu lernen, dass man zwar mit psychischen Krankheiten klarkommen muss, aber das man selbst die Regeln und Wege definieren kann und die Krankheiten nicht alles in deinem Leben beherrschen müssen, wenn du es schaffst die früh genug Grenzen zu setzen und dir damit den Anlauf ermöglichst, deine Hürden bewusst und gewählt dann zu besiegen, wenn du die Kraft dafür hast.

Was möchtest du der #darüberredenwir Community mitgeben?

Ich lebe seit über 10 Jahren mit einer chronischen Depression und einer bipolaren Persönlichkeitsstörung, diese Krankheiten haben mich in die Knie gezwungen und über Jahre dazu gebracht, in einem suizidalen, manischen Alltag auszuharren, aus dem ich mich nicht aus eigener Kraft befreien konnte. Es hat lange gebraucht, aber ich habe gelernt, um Hilfe zu bitten, Hilfe anzunehmen, zu verstehen, dass ich all das nicht alleine schaffen muss und es so viel zu lernen gibt, dass man sich davor gar nicht vorstellen kann, aber zu Werkzeugen wird, die so viel ermöglichen. Und jetzt mit 25 bin ich trotz Diagnose, einer der glücklichsten und lebensfrohsten Menschen, die ich kenne. Sich professionelle Hilfe zu suchen, zeigt von wahrer Stärke, habt keine Angst davor.


Pia, geboren am 04.10.1997 in Graz, lebt und arbeitet derzeit in Berlin. Sie begann im Alter von 17 Jahren zu streamen. Die fehlende Unterstützung ihrer Eltern hielt sie nicht davon ab, ihren Weg zu finden. Sie machte sich selbstständig und erhöht seit 2018 ständig ihre Bekanntheit. Heute lebt sie in Berlin und zählt zu den bekanntesten Streamerinnnen im deutschsprachigen Raum. Sie setzt sich gegen Sexismus, Rassismus, Homo- und Transphobie ein.

Ihr findet Pia unter anderem auf folgenden Plattformen:

Twitch: Shurjoka

Twitter: @Shurjoka

Youtube: @Shurjoka

Instagram: @shurjoka

Armut ist Gefahr für psychische Gesundheit

Finanzielle Armut und psychische Gesundheit stehen in einem engen Zusammenhang. Um Verbesserungen zu erzielen, gilt es an vielen Schrauben zu drehen. Das war das Resümee eines Facebook live Talks von Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien, Sybille Pirklbauer, Leiterin der Abteilung Sozialpolitik der AK Wien und Pia Zhang, Referentin für Gesundheitspolitik der AK Wien.

Einige psychische Erkrankungen beginnen bereits im juvenilen Alter. Wenn diese nicht behandelt werden, haben sie einen massiven Einfluss auf die Lebensbiographie. Psychische Erkrankungen führen aber oftmals auch im späteren Leben zu einem Verlust des Arbeitsplatzes und finanziellen Einbußen. Gleichzeitig wissen wir, dass das untere Einkommensdrittel deutlich schwerer unter psychischen Belastungen leidet und häufiger erkranken.

Henne-EI-Problem

„Der Zusammenhang zwischen finanzieller Armut und psychischer Gesundheit ist ein bisschen ein Henne-Ei-Problem. Fest steht, dass es einen starken Zusammenhang in beide Richtungen gibt“, sagte Lochner. Außerdem sind nicht alle Menschen gleich betroffen. „Die krisenhaften Situationen der letzten Jahre haben gezeigt, dass jene Menschen, die schon vor dem Ausbruch der Pandemie belastet waren, auch von den Konsequenzen übermäßig belastet sind“, so Lochner.

Unsicherheiten im Berufsleben führen zu Stresssituationen. Aktuell werden diese durch die Teuerung weiter verschärft und verstärken sich mit der prekären Situation am Arbeitsmarkt. „Eine soziale Absicherung, gerade auch für arbeitslose Menschen, die derzeit 55% des letzten Einkommens erhalten, ist notwendig. Eine Anhebung des Arbeitslosengeldes auf zumindest 70 Prozent würde den Arbeitnehmer*innen auch helfen, um wieder Kraft zu tanken“, forderte Pirklbauer.  

Arbeitsplatzgestaltung entscheidend

Neben der besseren finanziellen Absicherung, spielt die Arbeitsplatzgestaltung eine entscheidende Rolle. „Arbeitgeber*innen sind dabei im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht in der Pflicht, den Arbeitsplatz so zu gestalten, dass weniger psychische Belastungen stattfinden“, erläuterte Pirklbauer weiter. Ursachen für psychische Belastungen seien oftmals auf Diskriminierungen und Belästigungen jeglicher Art zurückzuführen. Aber auch Überlastungen durch lange Arbeitszeiten oder schwer planbare Arbeitszeiten bereiten Herausforderungen.

Der aktuelle Fehlzeitenreport zeigt klar: psychische Erkrankungen sind in den letzten Jahrzehnten im Steigen begriffen. Vor allem braucht man bei psychischen Erkrankungen oft länger, bis man sich wieder zutraut in den Beruf einzusteigen. „Und wenn die Mitarbeiter*innen wieder eingestiegen sind, müssen sie oftmals kurze Zeit später nochmals in den Krankenstand, weil sich im Betrieb nichts geändert hat und die belastende Situation weiter bestehen bleibt“, wies Zhang auf eine Herausforderung und die dahinterliegenden Zahlen hin.

Fit2work stärker nützen

Bereits gesetzte Maßnahmen, wie etwa die Wiedereingliederungsteilzeit und fit2work bewerten die Expert*innen positiv. „Allerdings wird es immer noch viel zu wenig genutzt. „Nur 17 Prozent der Menschen in Langzeitkrankenständen nehmen dies in Anspruch. Überhaupt nur ein Prozent der Unternehmen lässt sich beraten“, so Zhang. Dabei sei ein stärkerer Fokus auf psychische Erkrankungen bei den Gesundheitsmaßnahmen auch für Betriebe und den Staat von Vorteil, da dadurch massiv Kosten eingespart werden.  

Ausbilden, ausbilden, ausbilden

„In der heutigen Arbeitswelt sehen wir einerseits Angst vor verschlechternden Arbeitsbedingungen, etwa durch mehr Arbeit bei gleichbleibendem Gehalt. Andererseits brechen, gerade bei vielen jüngeren Arbeitnehmer*innen, Lebenskonzepte zusammen, die gelautet haben: gute Ausbildung führt automatisch zu gutem Auskommen. Sie sehen, dass das nicht funktionieren wird. Dem müssen wir Rechnung tragen“, betonte Lochner, der vor allem drei Dinge forderte: erstens ausbilden, ausbilden, ausbilden. Das gelte für Ärzt*innen, Pflegepersonal und Sozialpädagog*innen. Hürden müssen abgebaut werden, etwa beim Medizinstudium. Zweitens müssen Behandlungssysteme näher an die Lebensrealität der Patient*innen angepasst werden, das heißt niederschwellig, leicht erreichbar und mit dem Beruf vereinbar. Selbiges gälte, als dritter Punkt, für das Finanzierungssystem. Auch das muss sich stärker am Bedarf der Patient*innen orientieren.    

Bewusstsein für psychische Erkrankungen erhöhen

Das Bewusstsein für psychische Erkrankungen sei auch in den Betrieben deutlich ausbaufähig, konstatierte Pirklbauer. Außerdem brauche es Arbeitsbedingungen, die nicht psychisch krank machen. Im Falle einer Erkrankung ist es notwendig, diese rasch zu erkennen und Expertise zu holen. Und sollten Erkrankungen zu Arbeitsausfällen führen, müssen Chancen gegeben sein, wieder zurückzukehren.

Für Zhang ist der kostenlose, niederschwellige Zugang zu Gesundheitsleistungen eine Grundforderung. Und dies in einem ausreichenden Ausmaß. Auch wenn das Angebot durch die ÖGK kürzlich erhöht wurde, sei der Bedarf noch lange nicht gedeckt. „Eine lange Wartezeit auf eine Behandlung hat eine massive Auswirkung auf die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Menschen“, warnte sie und sprach auch eine weitere Risikogruppe in diesem Zusammenhang an: pflegende Angehörige, deren Aufgabe zu einer extrem starken psychischen Belastung führe.

Meine Depression namens Karl

Wolfgang Eicher ist Schriftsteller und Mitglied beim Verein Lichterkette. In seinen Texten setzt er sich mit psychischer Gesundheit und seiner eigenen bipolaren affektiven Störung auseinander.  

Der Morgen graut. Ich wache auf. Das fahle Licht der Wirklichkeit greift wie ein Monster nach mir. Gestern war nichts. Heute wird auch nichts sein. Morgen? Vielleicht ja morgen… Ich drehe mich auf die andere Seite, um die Wand anzustarren. Die Wand ist weiß. Vereinzelt kleben vergilbte Fotos herum, die eine Vergangenheit zeigen, die ich nicht verstehe. Eigentlich gibt es nur mehr diese Gegenwart, die in alle Zukunft reicht. Ich drehe mich wieder auf die andere Seite. Das Fenster ist fest verschlossen. Dennoch dringt das Licht des neuen Tages herein. Es ist furchtbar. Das kleine bisschen Dunkelheit, das mich durch die Nacht gebracht hat, weicht dem Entsetzen der neuen Situation, die immer gleich ist. Der Tag fordert. Von der Decke tropft ein Druck, der langsam und nachhaltig in meinem Kopf versickert. Er lähmt mich.

Ich habe meine Depression Karl genannt. Karl ist ein ständiger Begleiter meines Lebens. Ich kenne ihn gut. Seine Zähne sind aus Blei und grinsen mich an. Sein Kopf ist rund und rot wie die untergehende Sonne. Manchmal öffnen sich seine Augen, die wie Knöpfe schwarz in meine Seele eindringen. Auch er kennt mich gut. Wir sind alte Bekannte.

Nicht immer begleitet mich Karl durch die Wochen im Bett, Die Erinnerung an bessere Zeiten ist jedoch genauso weg wie das Vertrauen auf die Veränderung. Natürlich möchte ich Karl in die Wüste schicken. Er geht aber nicht hin. Wenn er da ist, ist er da. Irgendwie musste ich lernen, das zu akzeptieren, um weiter leben zu können.

Aus der Stille der schweißnassem Federn blicke ich in das Nichts meines Zimmers, das aus wertlosen Dingen besteht, die wahllos herumliegen. Karl sitzt auf dem Kasten und lächelt mich an. Er hat es sich sehr gemütlich eingerichtet bei mir. Auch ich liege noch gemütlich im Bett. Aber ich bin nicht mehr müde. Das heißt, ich kann nicht länger schlafen. Es ist jetzt unmöglich, meiner Situation zu entfliehen, indem ich einfach die Augen schließe. Daher starre ich die Decke an. Ich habe keine Gedanken. Ich habe auch keine Gefühle. Langsam steigen Angst und Panik in mir empor.

Der Doktor hat gesagt, ich muss jeden Tag raus. Das sei eine therapeutische Notwendigkeit. Eine Stunde, oder wenigstens eine halbe langsam spazieren gehen. Er meint damit nicht Sport, er ist Realist. Einfach nur Sonne und frische Luft. Am besten wäre es natürlich in der Natur, im Wald oder auf einer Wiese.

Das Draußen jedoch liegt hinter einer hohen Mauer, die von Karl bewacht wird. Irgendwo existiert ein Loch. Ich finde es aber nicht. Nur wenn es zur Therapie geht, zeigt mir Karl das Loch. In der Therapie geht es um mein Zusammenleben mit Karl. Es wäre falsch, gegen ihn zu kämpfen, meint die Therapie. Was aber dann? Die Therapie weiß darauf viel zu sagen. Es kommt jedoch nicht mehr an. Es ist zu anstrengend, der Therapie zu folgen. Überhaupt ist alles so anstrengend.

Eines ist in meinem Kopf verblieben. Es ist ein einfacher Satz. Karl wird wieder verschwinden. Die Depression wird enden! Irgendwann. Das haben mir viele Menschen gesagt. Außerdem hat das meine Erfahrung gesagt. Bisher ist jede Depression auch wieder zu Ende gegangen! Die Vernunft in mir sagt mir das immer wieder. Ich bete es. Ich kann es jedoch nicht fühlen. Die Präsenz von Karl füllt mich vollkommen aus und verhindert die Gedanken an den Tag, an dem er sein Grinsen verliert. Dieser Tag wird dennoch kommen.

“Aber hey: Ich bin die GÖTTIN DER WELT …”

Nicole ist 38 Jahre alt und lebt in Wien. Sie engagiert sich in verschiedenen Kontexten für die Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen. Sie selbst ist Erfahrungsexpertin und betreibt den Podcast „Crazy Turn – Ich bin bipolar“. Sie hat mit uns über ihr Leben und ihre Krankheit gesprochen.

Wann hast du deine Diagnose erhalten? 

Ich hatte mit 18 Jahren meine erste sehr schwergradige Depression und die darauffolgende Manie mit 19 Jahren. Also habe ich 2001 meine Diagnose zu Bipolarität bekommen.

Warst du davor in Behandlung?

Nein gar nicht.

Was ist Borderline? Wie fühlt sich das an? 

Ich habe nur latente Borderline-Störung und instabile Persönlichkeitsstörung. Meine Hauptdiagnose ist jedoch die Bipolarität. Ich bin also manisch depressiv. 

Wie würdest du die Erkrankung beschreiben?

Sehr anstrengend und nerven- und kräftezerrend, aber auch durchaus interessant und sogar abwechslungsreich.

Was hat sich dadurch verändert? Wie war dein Leben davor?

Mein Leben war ganz “normal”. Ich war eine aufgeweckte, lebensfrohe, soziale und kontaktfreudige Nicky 😉 Deshalb war die erste schwere Depression mit 18 Jahren so ein großer Schock für mich.

Wie fühlt sich eine Manie an? 

“großartig” … das ist natürlich die verzerrte Wahrnehmung, die ich während einer manischen Zeit habe. Alles geht. Ich bin schön produktiv, ideenreich mit vielen Einfällen, mit viel Energie und Tatendrang.

In Wahrheit ist es Raubbau am eigenen Körper … durch Schlafentzug, ungesunde Gewohnheiten und Risikoverhalten – bei mir beispielsweise durch immenses Geld-Ausgeben, obwohl ich keines habe, was zu Schulden bei kaum einem Einkommen führt. Ich bin besserwisserisch, verbal aggressiv, streitsüchtig, stur, unreflektiert und unbelehrbar. Ich bin für niemanden “erreichbar”, nicht einmal für meine Familie oder sogar Therapeuten. 

Aber hey: Ich bin die GÖTTIN DER WELT!

Top motiviert zu sein, klingt im ersten Moment doch recht gut: Warum sollte das behandelt werden?

Weil die Manie Leben und Existenzen zerstört!

Vor welchen Herausforderungen stehst du im Alltag?

Es ist wichtige, eine Tagesstruktur zu halten, vor allem in der Depression. In der Manie überfordert mich mein Tatendrang. Mein Kalender ist übervoll und ich kann gar nicht alles einhalten, was ich mir vornehme. Und konkret seit August 2021 gibt es für mich ein Novum: RAPID CYCLING … also alle 3-4 Wochen eine andere Episode. Das ist sehr kräftezerrend und nicht einmal mein Psychiater vom PSD-Wien kann mich medikamentös adäquat einstellen. Einzig positives am Rapid Cycling ist, dass die kurven flacher geworden sind. Es sind also alle Episoden nicht mehr so intensiv ausgeprägt sind. 

Was hilft dir am meisten? 

Stabile Beziehungen zu Freund:innen und Familie. Und meine Tagesstruktur.


Mehr über Nicole’s Podcast erfahrt ihr hier:

https://crazy-turn-ich-bin-bipolar.stationista.com/

https://youtube.com/@crazyturn-ichbinbipolar

Instagram: @crazyturn.ichbinbipolar

Facebook: Crazy turn – ich bin bipolar @fb

Meine Borderline-Persönlichkeitsstörung

In diesem Text erzählt Irene über ihre persönlichen Erfahrungen mit psychiatrischen Erkrankungen, ihren Einsatz gegen Stigmatisierung und ihre Borderline-Persönlichkeitsstörung.

Ich erinnere mich daran, im Alter von drei Jahren süchtig nach Selbstverletzungen geworden zu sein. Für dieses Verhalten erfand ich sogar einen eigenen Namen. Bald machte ich es nur noch heimlich. Das Wort für meine Selbstverletzung war ebenso geheim wie die Parallelwelt, die in meinem Kopf entstand. Niemand bemerkte, dass ich mich in diese Welt hinein flüchtete, da mich die reale Welt überforderte. Die Geheimhaltung und die Idealisierung meiner Parallelwelt, sowie das Funktionieren in der realen Welt setzten mich unter enormen Hochdruck und unter Hochspannung. Mein Leben war von Extremen geprägt. Nach meiner Matura riss es mich zwischen den verschiedensten Berufswünschen hin und her, vor und zurück, wie auf einer Achterbahnfahrt. Ich probierte vieles aus und strengte mich an. Mit Anfang zwanzig befand ich mich in meiner ersten Psychotherapie, probierte jedoch weiterhin eisern zu funktionieren und der Norm zu entsprechen. Im Alter von 24 Jahren schloss ich den Fachhochschul-Studiengang „Gesundheitsmanagement“ ab. Immer wieder bekam meine perfekte, reale Welt Risse, als ich mich zuhause mit scharfen Gegenständen heimlich selbst verletzte, um für den Druck und für die Anspannung ein Ventil zu suchen und um meinen Körper zu spüren. Versuchte weiter zu machen, scheiterte, Psychosomatik-Aufenthalt, stand wieder auf, suchte weiter, gab nicht auf, probierte, ich war misstrauisch und paranoid. Psychiatrie-Aufenthalte. Eine „Gestörtenkarriere“ laut einer Psychotherapeutin, die mich nach einer Probestunde ablehnte. Probierte wieder alles. Konnte nicht mehr. Medikamentenüberdosis.

Bis mir der Konsiliarpsychiater eines Wiener Spitals nach dieser Medikamentenintoxikation das Sozialpsychiatrische Ambulatorium des PSD-Wien empfahl, welches für meinen Bezirk zuständig ist. Ich erwartete nichts außer schon wieder, wie zig mal zuvor, meine Geschichte einem fremden Arzt erzählen zu müssen, um danach wieder weg geschickt zu werden. Doch die Psychiaterin des PSD-Wien fing mich im Jahr 2011 auf und ist heute noch immer für mich zuständig.

Seit mehreren Jahren stelle ich als Teilnehmerin in einer Tagesstruktur für Menschen mit psychischen Erkrankungen Schmuck her. Das entspricht meinem Belastbarkeitsniveau. In meiner Abteilung habe ich die Rolle der Teilnehmer-Vertreterin inne, was mir ebenso wie das Schmuck-Herstellen Spaß macht, da ich ein kreativer, neutraler, sensibler und lösungsorientierter Mensch bin. In meiner Freizeit spiele ich Querflöte und ich schreibe.

Natürlich gibt es im Rahmen meiner Borderline-Persönlichkeitsstörung immer wieder Krisen. Im Frühling 2022 durchlebte ich einen neuerlichen Tiefpunkt. Ich wurde ohne eigenes Verlangen aufgrund von Suizidgedanken auf der Akutstation einer psychiatrischen Abteilung untergebracht. Nach diesem Krankenhausaufenthalt schaffte ich es aufgrund fehlender Konzentrationsfähigkeit und mangelnder Belastbarkeit nicht mehr, in meine Tagesstruktur einzusteigen. Meine Psychiaterin verhalf mir dazu, vorübergehend an Ergotherapien, Musiktherapien und anderen Angeboten in einem Therapeutischen Tageszentrum des PSD-Wien teilzunnehmen. Durch diese Therapien, durch Gespräche mit ihr, Medikamentenumstellung, sowie durch die Hilfe meiner Psychologin und Psychotherapeutin gelang es mir, wieder stabiler zu werden und in die Tagesstruktur für Menschen mit psychischen Erkrankungen zurückzukehren. Alle halfen zusammen. Da waren dann wieder die geschulten Betreuer*innen und die anderen Teilnehmer*innen und ich konnte nach dieser Krise „weiter surfen“. Ich weiß nicht, woher meine Psychotherapeutin diese Metapher hat, aber sie sagt, mein Weg sei wie das Surfen auf einem Surfbrett. Mal gehen die Wellen rauf, mal runter, und wenn ich ins Wasser falle, gibt es Rettungsboote und Rettungsringe, die mich auffangen. Bis ich es wieder schaffe, auf das Surfbrett aufzusteigen und weiter zu surfen. Danke auch an meine liebe Familie!

Als „Gestörtenkarriere“ lasse ich mir meinen eigenen Weg nie wieder abstempeln!

Vielmehr setze ich mich für eine Entstigmatisierung von psychischen Krankheiten ein. Eine psychiatrische Erkrankung ist kein Grund, sich zu schämen. Und sie ist auch kein Grund für andere Menschen, einen Betroffenen zu stigmatisieren oder zu diskriminieren. Ich wünsche mir, mit diesem Text auf Verständnis und auf Toleranz zu stoßen. Und ich habe die Hoffnung, dass dieser Wunsch in Erfüllung geht.

#NeueMännlichkeiten für die Psyche

#NeueMännlichkeiten für die Psyche – Männergesundheit im Fokus

Es ist Movember – das Monat der Männergesundheit! Das werden wir nutzen, um den Fragen nach heutigen Männlichkeit(en) auf den Grund zu gehen. Was können Männer, was dürfen sie und was sollen sie? Was bedeutet „Mann sein“ im 21. Jahrhundert? Und warum sind diese Fragen relevant für die Gesundheit?

Männer und Gesundheit

Der Monat November dient dazu, das Bewusstsein rund um die Gesundheit von Männern zu fördern. Das betrifft natürlich auch die psychische Gesundheit. Egal ob anhaltende Knieschmerzen, eine gebrochene Hand oder psychische Krisen – professionelle Hilfe, frühmöglichste Behandlung und Achtsamkeit sind in allen Fällen notwendig. 2004 erschien der erste Österreichische Männergesundheitsbericht mit besonderer Berücksichtigung der Männergesundheitsvorsorge. Hier zeigte sich, dass sich Männer, statistisch gesehen, im Durchschnitt gesünder einschätzen als sie sind.

Darin steht auch:

„Bei Männern dürfte es der gegenwärtigen Rollenerwartung entsprechen, weniger sorgsam mit dem eigenen Körper zu sein, als Frauen.”

1. Österreichischer Männergesundheitsbericht

Die Folge davon: 

  • Männer neigen beruflich und in der Freizeit zur Überbeanspruchung ihres Körpers und bemerken Probleme später als Frauen, die regelmäßig einen Frauenarzt konsultieren
  • Bei Männern wird erst in einem höheren Lebensalter die Notwendigkeit der regelmäßigen Untersuchung durch einen Urologen evident. 
  • Selbst wenn Männer im höheren Lebensalter um die Notwendigkeit von Vorsorgeuntersuchungen Bescheid wissen, nehmen sie diese meist erst in Anspruch, wenn eine deutliche Symptomatik aufgetreten ist. 

Rollenbilder und Männlichkeit

Bereits der vor mehr als 15 Jahren erschienene Bericht stellte fest, dass “Rollenerwartungen” von und an Männer ihre Gesundheit beeinträchtigt. Auch andere Rollenklischees hindern Burschen und Männer daran, die Hilfe in Anspruch zu nehmen, die sie brauchen: “Männer reden nicht über ihre Gefühle”, “Männer weinen nicht”, usw.. Das zeigt sich auch beim Thema psychische Erkrankungen. Denn einerseits ist das Aufsuchen von Unterstützung schwieriger, andererseits sind die Symptome etwa bei einer Depression andere als bei Frauen. Depressive Symptome sind bei Männern eher Aggression, Gereiztheit oder exzessiver Konsum. 

Das Bild von Männlichkeit ist geprägt von Schlagwörtern wie Stärke, Kraft, Durchsetzungsvermögen und Dominanz. Dieses Bild schadet nicht nur der Gesellschaft, sondern auch dem einzelnen Mann. Daher wollen wir uns im Movember mit neuen Perspektiven und Ansätzen beschäftigen. 

Quellen:

„Ohne Worte“: Siegerinnenbeitrag Stephan-Rudas-Preis in der Kategorie Rundfunk

„Ohne Worte“, ein Beitrag von Tiba Marchetti, der in der ORF Sendung „Am Schauplatz“ ausgestrahlt wurde, beschäftigt sich mit der Volkskrankheit Demenz.

Obwohl rund 130.000 Menschen in Österreich aktuell an Demenz leiden und die Zahlen in den kommenden Jahren deutlich ansteigen werden, ist es immer noch ein Tabuthema. Viele Betroffene haben Angst und schämen sich, sich die Krankheit einzugestehen. Tiba Marchetti sprach mit Betroffenen und deren Angehörigen sowie mit Betreuungspersonen in verschiedenen Einrichtungen, etwa einem Demenzdorf in Deutschland oder einer Pflegeeinrichtung in Wien.

Herausfordernde Situation
Demenz ist eine herausfordernde Situation. Für die Betroffenen selbst, aber auch für das Umfeld. „Es ist traurig zu sehen, wie der Mensch, den man kennt, immer weniger wird“, so ein Angehöriger. „Eine solche Krankheit beeinflusst das gesamte Leben, für alle im Umfeld“, sagt ein weiterer. Betroffene haben das Gefühl, dass „ihnen die Zahlen davonlaufen und Gedanken verloren gehen.“ Aber, davon sprechen viele Angehörige in dem Beitrag: es entwickelt sich eine neue Form der Liebe. Eine Liebe, in der Wertschätzung einen immer größeren Stellenwert einnimmt.

Professionelle Hilfe holen
Für Betreuungspersonen stellen sich eine Vielzahl von Herausforderungen. Für Pflegefachkräfte etwa gehe es vor allem darum, Menschen mit einer Demenzerkrankung dort abzuholen, wo sie gerade sind. Und klar ist auch: je früher die Diagnose gestellt wird, desto besser und desto länger ist es möglich, die Strukturen des alltäglichen Lebens aufrecht zu erhalten. „Jeder von uns hat schon einmal seine Schlüssel vergessen oder ein Wort ist uns nicht eingefallen. Wenn dies allerdings häufig auftritt und zu einer Belastung im Alltag wird, sollte man dringend professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, um die Situation abzuklären“, raten die Ärzt*innen in dem Beitrag.

(C) ORF/Am Schauplatz

„Als Betroffener ist es wichtig, dass man mir das Gefühl gibt, ich bin nicht allein. Also ich bin nicht der einzige, der das hat“, erklärt ein Interviewter.

Dass man darüber spricht und es nicht geheim hält, ist das wichtigste. Es ist nicht unangenehm. Im Alter kann das jedem passieren.

Betroffene in „Ohne Wort“: Am Schauplatz/ORF

Gesunder Lebensstil und Freundschaft
Ein gesunder Lebensstil kann dazu beitragen, dass Demenz später auftritt. Entscheidend seien aber auch Freundschaften. Sowohl im Vorfeld aber auch, wenn die Krankheit bereits ausgebrochen ist, betonen die Ärzt*innen.