Nur noch funktionieren… Familien-Management während der Pandemie
Mein Name ist Oliver, ich bin 43 Jahre alt und arbeite als Lehrer in einer NMS. Dieses Jahr ist für mich und meine Familie alles andere als leicht. Durch die Covid-19 Pandemie und den Lockdown ist unser Leben um einiges stressiger und sorgenerfüllter geworden.
Mein Vater ist 78 Jahre alt und leidet an Demenz. Durch den Ausbruch der Pandemie haben wie die Pflegeunterstützung verloren und wir kümmern uns jetzt selbst um ihn.
Papa kann sich zwar grundsätzlich selbst versorgen, aber ich muss jeden Tag zu ihm fahren und ihn mit Hausarbeit, Einkauf, und Organisation der Medikamente unterstützen. Die Autofahrt hin und zurück dauert jeweils eine halbe Stunde. Wir haben ihm angeboten, bei uns einzuziehen, zumindest für die Dauer der Pandemie, aber Papa möchte das nicht. Aufgrund seiner Demenz ist er darauf angewiesen, dass er sich dort, wo er wohnt, auch gut auskennt. Er lebt seit seiner Kindheit in diesem Haus und möchte es unter keinen Umständen verlassen. Das verstehe und respektiere ich auch, trotzdem ist es wirklich schwer zu managen.
Zwischen Job, meiner Familie und der Pflege meines Vaters bleibt kaum mehr Zeit zum Durchatmen. Auch meine Frau arbeitet Vollzeit im Home-Office und versucht dabei noch unsere Kinder beim Lernen zu unterstützen. Wir haben beide unsere Kapazitäten erreicht und funktionieren nur noch – von Weihnachtsstimmung keine Spur.
Hinzu kommt die andauernde Sorge, Papa mit Covid anzustecken. Ich weiß nicht, ob er die Krankheit überstehen würde. Meine Familie und ich sind deshalb extrem vorsichtig, um ihn nicht anzustecken. Papa fragt manchmal, warum ihn seine Enkerl oder die Nachbarn nicht mehr besuchen kommen. Mehr als ein paar freundliche Worte über den Zaun sind zur Zeit einfach nicht drin. Ich merke, dass er menschlichen Kontakt vermisst und wirklich traurig darüber ist. Das ist für uns alle belastend.
Ich habe jetzt Hilfsangebote recherchiert, und wenn alles gut läuft, bekommen wir wieder eine Pflegerin zur Verfügung gestellt. Das würde unsere Situation schon mal um einiges erleichtern. Und ab und zu, wenn alles zu viel wird, rufe ich einen Freund an und erzähle ihm, was grade so los ist. Er hört mir dann zu und ich merke, dass es gut tut, einfach alles rauszulassen.
Ich weiß, dass sich gerade viele Familien in einer ähnlichen Situation befinden. Ich kann nur empfehlen, sich trotz der erschwerten Bedingungen gegenseitig so gut es geht zu unterstützen und nicht zu zögern Hilfsangebote anzunehmen.
Tränen zu Weihnachten… davor hab ich Angst.
Weihnachten war schon immer schwierig für uns. Oder besser gesagt: Die Zeit vor Weihnachten war schon immer schwer – zumindest seit Klara 4 Jahre alt war und ich nur mehr allein für sie da sein konnte.
Man ist einfach sehr unter Druck, weil das Geld knapp ist, weil der Vergleich mit anderen Familien einfach immer da ist und man Tag für Tag versucht, all das auszugleichen. Ganz nebenbei soll man dann auch noch einen Job machen, der zum Jahresende hin auch immer extrem stressig wird. Die Weihnachtszeit war deshalb immer ein Kraftakt, bis wir dann endlich zu zweit am 24. unter dem Baum sitzen konnten und ich endlich mal Zeit hatte, kurz Luft zu holen.
Ich hab früher immer versucht, in all dem Stress schöne Momente für mich zu finden. Wir sind einmal die Woche durch die Stadt spaziert, um einfach abzuschalten, die Weihnachtsbeleuchtung zu genießen und uns Geschichten zu den Motiven auszudenken. Das waren unsere Highlights – für Klara und für mich.
Doch heuer … heuer ist einfach alles anders. Es ist noch stressiger, noch mehr Druck, noch weniger Zeit zum Luft holen. Die Geldsorgen sind größer und unsere Spaziergänge fehlen uns Tag für Tag.
Klara ist im Herbst in die Schule gekommen – das allein war schon ein finanzieller Kraftakt – aber die psychische Belastung durch Covid-19 hat das alles noch einmal um vieles schwerer gemacht. Die Lehrkräfte geben sich wirklich größte Mühe, aber sie sind auch am Limit. Es ist für niemanden leicht, das weiß ich. Aber ich will, dass Menschen wissen, wie sehr wir hier struggeln, wie schwer es gerade ist.
Das ist Klaras erstes Schuljahr – mit Lockdown, mit wenig bis keinem Kontakt zu ihren neuen KlassenkollegInnen und dann kommt jetzt auch noch eine Vorweihnachtszeit, die von Ungewissheit und Sorgen geprägt ist. Ich versuche stark zu sein und all die Angst um meinem Job, die Existenzängste wegen der Kurzarbeit vor ihr zu verstecken, aber ich weiß das gelingt nicht immer. Sie bekommt all das natürlich mit und das macht mich noch trauriger. Es gab in den letzten Wochen Zeiten, an denen ich fast jeden Tag weinend zu Bett gegangen bin, weil ich nicht mehr weiß was ich machen soll. Oft zittern meine Hände und mein Herz rast.
Ich habe Angst, dass es so weitergeht oder vielleicht noch schlimmer wird. Ich habe Angst, dass meine Mutter krank wird. Ich habe Angst, dass Klaras Zukunft gefährdet ist. Und so kleinlich das klingen mag: Ich hab‘ Angst, dass es zu Weihnachten Tränen gibt.
Eine Freundin hat geraten, dass ich mir Hilfe hole und sie mich dabei auch unterstützen kann. Ich bin gerade dabei Hilfsangebote zu recherchieren. Die Sorgenhotline der Stadt Wien hat mir auch schon zweimal sehr gut weitergeholfen, weil es einfach gut tat mal darüber zu sprechen – das Gefühl zu haben, dass ich nicht allein bin und dass jemand zuhört. Deswegen schreibe ich auch diesen Brief. Ich bleibe dran.
An all diejenigen, die gerade in ähnlichen Situationen sind: Ihr seid nicht allein, es gibt Menschen, die genau gleich fühlen, bangen und kämpfen wie ihr. Und es gibt Menschen, die helfen können. Zögert nicht um Hilfe zu fragen: egal ob es nur ein Gespräch, ein Ratschlag, eine Unterstützung oder professionelle Hilfe ist – um Hilfe zu fragen, ist keine Schande. Bitte tut es.
Toleranz und psychische Gesundheit… gehen Hand in Hand!
“Ich habe mich immer gefragt: Warum beschäftigt es andere so sehr, in welcher Identität ich mich wohl fühle? Und was rechtfertigt es, mir mit so viel Hass zu begegnen?”
Alex ist als Alexander zur Welt gekommen, hat aber schon früh gemerkt, dass sie sich in einem männlichen Körper nicht wohlfühlt. “Ich habe meine Schwester immer beneidet, dass sie lange Haare haben und Kleider tragen durfte.”
Schon im Teenager-Alter war sich Alex sicher, ein Mädchen zu sein. Später haben auch ihre Eltern einer Hormon-Therapie zugestimmt. Auf diesem Weg wurde sie auch therapeutisch und medizinisch begleitet. Für ihre direkte Familie war Alex’ Entwicklung kein Problem. “Meine Mutter hat mir mal gesagt, dass es für sie gar keine Überraschung war und sie es immer schon irgendwie gewusst hat.” Doch im erweiterten Verwandtenkreis, in der Nachbarschaft und in der Schule hatte Alex mit teilweise schweren Anfeindungen zu kämpfen.
“Es war ein täglicher Albtraum, in die Schule gehen zu müssen. Ich wurde schlimm gemobbt und ausgegrenzt. Meine Mutter hat mehrmals mit dem Klassenvorstand gesprochen. Die LehrerInnen haben dann zwar vermehrt darauf geachtet, aber es hat fast keinen Unterschied gemacht. Das war eine wirklich schwierige Zeit für mich.”
Nach einem Schulwechsel hat sich die Situation etwas gebessert, doch Alex konnte es nicht erwarten aus ihrer alten Umgebung auszubrechen und ist nach der Matura nach Wien gezogen.
Während dem Studium hat Alex gemerkt, dass es ihr trotzdem nicht gut ging. “Ich habe mich wirklich wohl gefühlt in der WG und mit meinem Studium. Aber irgendwie konnte ich trotzdem keine wirkliche Motivation aufbringen. Ich war andauernd nervös oder traurig und hatte Konzentrationsschwierigkeiten. Dann kamen nachts die Panikattacken dazu. Meine Freunde haben mir dann geraten, mich ärztlich beraten zu lassen.”
Alex wurde mit Posttraumatischer Belastungsstörung diagnostiziert. Sie befindet sich in Gesprächstherapie und macht gute Fortschritte.
Die Therapie hat ihr geholfen, mit ihrer Depression und ihren Konzentrationsproblemen besser umgehen zu können. “Meine Therapeutin hat mich dabei unterstützt, das Trauma als Teil meiner Geschichte anzuerkennen und mit Mut in meinen neuen Lebensabschnitt zu starten.”
“So viele Mitglieder der LGBTIQ+ Community werden Opfer von Anfeindungen und Ausgrenzung – durch ihr Umfeld oder manchmal sogar durch ihre Familie. Das kann man nicht so leicht wegstecken, so eine Erfahrung hinterlässt Spuren. Daher finde ich es wichtig, mit anderen darüber in den Dialog zu treten und so ein Stück weit zur Normalisierung und Akzeptanz beizutragen.”
Der erste Brief an die Gesellschaft hat uns erreicht
Liebe Community,
dieses Jahr ist wahrscheinlich nicht so gelaufen, wie viele von uns sich das vorgestellt haben. Ganz sicher war 2020 nicht so, wie ich es erwartet habe. Über unseren Köpfen hängt seit dem Frühjahr eine graue Wolke namens „Covid-19“. Sie schränkt uns ein, macht uns Angst und zwingt uns zu Schritten, die ich noch vor einem Jahr gar nicht für möglich gehalten hätte. Viele von haben ganz eigene Wege gefunden, mit all dem umzugehen … in meinem Fall ist es ein früher Start in den Weihnachtszauber in meinen eigenen vier Wänden. Mit warmem Kerzenlicht, schmalzigen Liedern und süßen Düften. Das ist gerade jetzt mein Weg, diese Situation ein kleines bisschen besser zu machen.
Verfrühte Weihnachten sind aber nur oberflächliche Bandagen für die Unsicherheit, die viele von uns gerade in den letzten Tagen und Wochen spüren – und ganz sicherlich nicht jedermanns Geschmack 😉 Was es eigentlich braucht, um besser durch diese schwere Zeit zu kommen, ist schwieriger zu erreichen … oder vielleicht doch nicht?
Die beste (oder auch die mindeste) Unterstützung, die wir sowohl uns selbst, als auch unserem Umfeld und der ganzen Gesellschaft ohne viel Aufwand bieten können, sind offene Ohren, Verständnis und gelebte Akzeptanz:
Denn es ist ja nichts Neues, dass wir Menschen gerade in ungewohnten Situationen zum Gruppendenken tendieren. Wir kategorisieren, teilen ein, stecken in Schubladen, weil wir uns so leichter tun, unser Umfeld einzuschätzen. Genau in solchen Situationen entsteht aber oft ein „Wir“ und „die Anderen“ – eine Denkweise, die zu negativen Einstellungen und Vorurteilen führt. Und genau daran möchten wir arbeiten. In unserer vernetzten, schnelllebigen Welt haben wir aber die Chance, einen Unterschied zu machen. Was ich mir deshalb Wünsche?
Offene und konstruktive Dialoge um angebliche Tabuthemen.
Ein Aufbrechen von Stereotypen und einschränkendem Gruppendenken.
Gelebte Akzeptanz in jeder Lebenswelt – ganz besonders auch für Communities wie LGBTIQ+, People of Color und andere.
Jede und jeder von uns ist ein Mensch mit einer eigenen Geschichte, eigenen Lastern, Problem, Wünschen, Träumen, guten und auch schlechten Tagen. Jede Nettigkeit, jede kleine Hilfestellung, jedes Zeichen der Zivilcourage und jedes offene Ohr ist in unserer Welt ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Und es gibt uns gerade in Zeiten wie diesen den Mut, unseren Alltag und unser Leben ein Stück weiter besser leben zu können 🙂
Ich glaube fest daran, dass wir das gemeinsam schaffen!
Tweet für Tweet in die richtige Richtung
Das Thema psychische Gesundheit bei Jugendlichen
Die letzten Monate waren für uns alle schwer. Egal ob in Familie, Beruf, (Aus)bildung oder Freizeit – überall gab es massive Unsicherheiten. Das Jahr 2020 haben wir bisher wahrscheinlich ganz anders verbracht als ursprünglich geplant. Diese besondere Situation hat aber auch dazu geführt, dass unsere psychische Gesundheit, der Umgang mit Angst und die Bewältigung von Stress zu einem immer größeren Thema wird. Und wir alle gehen anders damit um – so auch junge Menschen auf der ganzen Welt.
Teenager sein während einer Krise
In Österreich hat der „normale“ Schulunterricht trotz anhaltender Corona-Krise wieder begonnen. Das Schuljahr ist von gesundheitlichen und organisatorischen Schwierigkeiten geprägt. Vielen Kindern und Jugendlichen fällt es da schwer, sich voll auf den Unterricht zu konzentrieren. Konzentrationsstörungen und Leistungsdruck machen sich breit.
Auch Freizeitaktivitäten, die sonst helfen würden, den Kopf frei zu kriegen, sind nur eingeschränkt möglich. Und auch, wenn es banal klingen mag, unsere MaturantInnen hatten in diesem Jahr keine Matura-Reise, keinen Maturaball und keine fancy Abschlussfeier. Auch das kann etwas mit Menschen machen – nämlich dann, wenn solch große Ereignisse nicht so gefeiert werden können, wie das bisher immer war.
Vor allem in einem Alter, in dem es wesentlich zur Entwicklung beiträgt, wenn wir soziale Erfahrungen machen, FreudInnen treffen und Hobbies nachgehen, stellen Ausgangssperren, Vereinsschließungen und Versammlungsverbote ein großes Problem dar.
Daher ist es leider nicht verwunderlich, dass gerade unter Jugendlichen die Zahl der psychischen Erkrankungen steigt. Aber im Unterschied zu Erwachsenen ist die eigene psychische Gesundheit für viele junge Menschen kein absolutes Tabu-Thema mehr. Und das ist gut so!
Soziale Medien als Sprachrohr
Junge Menschen nutzen als Digital Natives Soziale Medien viel aktiver als jede andere Generation und berichten auf diesen Plattformen offener und ehrlicher darüber, wie es ihnen in Alltagssituationen geht.
Vorbildfunktion nehmen dabei ganz besonders InfluencerInnen ein. Sie sind selbst Jugendliche oder junge Erwachsene und teilen nicht nur die positiven Seiten ihres Lebens mit ihren Followern – Themen wie Familienprobleme, Depressionen oder Angststörungen werden auf ihren Kanälen immer offener angesprochen.
Auf Twitter werden Hashtags wie #MentalHealth; #MentalHealthMonth und #LetsTalk benutzt, um sich mit Menschen auf der ganzen Welt über psychische Gesundheit und die eigenen Erfahrungen auszutauschen. Besonders Jugendliche können sich mit dieser niederschwelligen Art der Gesprächsführung gut identifizieren.
Auch auf Instagram sind Initiativen und Einzelpersonen aktiv, um das Tabu rund um psychische Erkrankungen zu brechen. Einige von ihnen sind auch Teil der #darüberredenwir Online-Community. Auch hier wird mit Bildern und mutigen Texten über den Alltag mit psychischen Erkrankungen gesprochen. Nicht zuletzt zeigen die Kommentare, wie wichtig es für viele ist, sich nicht alleine zu fühlen.
Auf der relativ neuen Plattform Tik Tok hat sich in kurzer Zeit ein ganzes Subgenre zu psychischer Gesundheit gebildet. Jugendliche geben dort Einblicke, wie es ihnen zum Beispiel während einer depressiven Phase geht oder erzählen wie sie mit psychischen Problemen in der Familie oder im Freundeskreis umgehen. PsychotherapeutInnen, Mental Health TrainerInnen und andere ExpertInnen haben sich diesem Diskurs auf Tik Tok angeschlossen und geben in Form von kurzen, eingängigen und informellen Videos Ratschläge und Tipps im Umgang mit psychischen Problemen.
Natürlich ersetzen all diese Kanäle und Plattformen keine professionelle Beratung und Behandlung, aber darüber zu reden ist immer der erste, ganz wichtige Schritt.
Ein offener Diskurs trägt merklich dazu bei, psychische Erkrankungen als etwas „Normales“ anzusehen, das alle von uns betrifft. Psychische Erkrankungen werden so immer mehr aus der Tabu-Zone herausgeholt und es fällt uns viel leichter, weiter darüber zu sprechen und uns wenn nötig auch professionelle Hilfe zu holen!
Wie oarg ist es eigentlich, dass unsere Sprache immer noch psychische Erkrankungen stigmatisiert?
Wie wir Sprache benutzen, definiert uns selbst und unser Verhalten. Sprache spiegelt die Gesellschaft wieder, durch sie drücken wir soziale Vorstellungen aus und schaffen Normen. So wie sich unsere Gesellschaft verändert, verändert sich auch unser Sprachgebrauch und umgekehrt. Sprache kann inklusiv sein oder ausgrenzend wirken – sie schafft Möglichkeiten von Teilhabe und Sichtbarkeit, sie kann jedoch auch stigmatisieren und diskriminieren.
Das erleben wir auch bei Wörtern, die psychische Erkrankungen oder Erkrankte abwerten und so zu einem anhaltenden Stigma beitragen. Wörter wie…
wahnsinnig
gestört
HysterikerIn
Psycho
Irrenanstalt
Klapsmühle oder Klapse
schwachsinnig
zurückgeblieben
abartig
…
sind tief in unserer Umgangssprache verwurzelt und ihre Herkunft wird uns oft erst auf den zweiten, hinterfragenden Blick klar.
Als Argument gegen eine sogenannte „politisch korrekte“ Sprache wird häufig angeführt, dass sie umständlich sei oder diskriminierende Begriffe ja gar nicht so gemeint sind. Aber wir müssen uns Gedanken darüber machen, welche Auswirkungen Sprache auf uns, auf unser Gegenüber und auf unsere Gesellschaft hat, weil Sprache nachhaltig verletzen kann. Wir haben ErfahrungsexpertInnen direkt gefragt, was diskriminierende Sprache für sie bedeutet:
“Es tut weh, wenn Erkrankungen, an denen man selbst leidet, als Attribute verwendet werden, die etwas Negatives, nicht „Normales“ oder Übertriebenes ausdrücken sollen “, sagt Manuel H., der seit Jahren mit einer Persönlichkeitsstörung lebt. „Meine Familie und Freude wissen über meine psychische Erkrankung Bescheid. In alltäglichen Konversationen kommt es schon mal vor, dass sie in meinem Beisein Sätze verwenden wie ‚Die waren so abartig drauf…‘ oder ‚Sie hat sich aufgeführt wie eine Irre…‘, etc. Mir ist bewusst, dass sie diese Worte nicht böswillig verwenden oder mich und meine Erkrankung damit nicht denunzieren wollen – ich weiß, dass ich auf eine volle Unterstützung ihrerseits vertrauen kann. Trotzdem fällt es mir schwer, es zu ignorieren. Es fühlt sich an, als würden sie unterbewusst schlecht von mir denken.“
Sprache beeinflusst unser Verhalten und wie wir Sachverhalte einschätzen. Und zwar nicht nur in uns selbst, sondern auch in unseren GesprächspartnerInnen – besonders wenn wenig oder lückenhaftes Wissen über ein Thema vorhanden ist.
Denn unser Gehirn versucht Unbekanntes zu erforschen, indem es sämtliche aufgeschnappte Information zu einem stimmigen Bild zusammenzufügen versucht.
Je öfter wir also Phrasen hören, die psychische Erkrankungen in einem negativen Kontext darstellen oder abfällige Begriffe diesbezüglich verwenden, desto eher verhärtet sich die Stigmatisierung. Wenn sich auf diese Weise ein negatives Bild von psychischen Erkrankungen verfestigt hat, dann fällt es uns aber auch selbst schwerer, darüber zu reden, uns zu informieren oder uns Hilfe zu holen, wenn wir selbst oder Menschen in unserem Umfeld davon betroffen sind.
Deshalb ist es uns bei #darüberredenwir so wichtig, Informationen bereitzustellen und Dialoge über das facettenreiche Thema psychische Gesundheit anzustoßen. Wir können uns gegenseitig dabei unterstützen, die richtigen Worte zu finden und unsere Stimme proaktiv zu nutzen.
Mit ein bisschen mehr Aufmerksamkeit in unserem täglichen Sprachgebrauch, können wir das Stigma psychischer Erkrankungen reduzieren und unsere Gesellschaft positiv verändern.
Das große Los
Karin berichtet davon, welche Hürden Vorurteile für Menschen mit psychischen Erkrankungen darstellen. Sie erklärt, wie wichtig es ist, sich anderen anvertrauen zu können und akzeptiert zu werden.
Ich hatte das große Los gezogen! Nein, kein Brieflos!, – sondern das freudlos, hoffnungslos, kraftlos, beziehungslos, arbeitslos,…-gleich mehrere Lose sozusagen. Manie- und Psychoseerfahrungs-Lose. Diese Lose machten neben aller Verzweiflung, auch reich an Erfahrungen im Umgang, mit Ressourcen, mit Frühwarnzeichen,…dem Leben mit psychischer Krankheit, die mal mehr, mal weniger präsent ist. Aber eine (gesellschaftliche) Lebensrealität ist.
Um psychische Erkrankungen zu enttabuisieren, ist es
wichtig, Menschen und deren Angehörige, ihre Abenteuer- und Heldenreisen durch
psychische Erkrankungen neu und verändert zu (be-)werten, kennenzulernen und
wertzuschätzen. Denn ihre Erfahrungen und Geschichten mit der meist
„Unsichtbaren“ und doch viel Platz einnehmenden Krankheit, die sich durch alle
gesellschaftlichen Schichten und Lebensbereiche zieht, sind nur allzu
menschlich und brauchen gesellschaftliche Akzeptanz, Platz, Teilhabe und
Inklusion.
Ich denke, es ist Hilfe und Bereicherung, vorverurteilte
Menschen vor den Vorhang der Stigmatisierung zu holen und so damit beizutragen,
Wissen zu vermitteln, um psychische Krankheit auch positiv und mit Hoffnung
versehen, zu besetzen. Schließlich hat jeder 4. Mensch im Laufe seines Lebens
Erfahrung mit einer psychischen Krise oder längeren psychischen Erkrankung. Im
Laufe eines Jahres hat jeder fünfte Mensch in Österreich eine psychische
Erkrankung wie Depression, Angststörung oder Psychose. Insgesamt sind 1,2
Millionen ÖsterreicherInnen von einer psychischen Erkrankung betroffen.
(Kurier, 8.10.2019) Und genau diese Menschen haben Familie, Freunde und
Arbeitskollegen, die genauso davon betroffen sind. Die Ressourcen und
Fähigkeiten psychiatrieerfahrener Menschen sind für die Gesellschaft an sich
eine Ressource und schaffen Zugang zu einer Erfahrungsdimension, um mit der
Brüchigkeit des Lebens gut und sorgsam umzugehen und um autonomere, gesündere
und menschlichere Genesungswege zu gehen.
Es ist also längst Zeit, unverhältnismäßig große Vorurteile
gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen abzubauen. Und Krankheiten, ob
psychischer oder physischer oder beides gleichzeitig, auch in finanzieller
Hinsicht der Behandlungskosten, nicht mit zweierlei Maß zu messen.
Leider wurde mir erst sehr spät klar, dass Offenheit,
Vertrauen zu Bezugspersonen und Austausch ein großer Schutz sind. Information
und Austausch helfen gegen viele falsche Vorurteile (faul, gefährlich,
gespalten usw…) von sich selbst und denen der anderen. Diese Vorurteile verstellen
oft den Blick und verhindern durch Scham und Schuldgefühle echte,
gesundheitsfördernde Kontakte. Wert und Würde, sowie die erschwerte
Alltagsbewältigung dünnhäutiger und erkrankter Menschen muss nicht zusätzlich
durch das Ringen um Akzeptanz belastet werden. Beziehung und Kontakt,
sinnstiftende Aufgaben und sich einbringen im eigenen Maßstab, Selbstfürsorge
und Wissen ist Schutz und Prävention vor heftigen Krisen.
Und außerdem: „Es
ist nicht das Ziel des Gesundungsprozesses, normal zu werden. Das Ziel ist,
unsere menschliche Berufung anzunehmen, auf tiefere und vollere Weise Mensch‘
zu werden. Das Ziel ist nicht die Normalisierung. Das Ziel ist, der einmalige,
Ehrfurcht einflößende, niemals kopierbare Mensch zu werden, der wir aufgerufen
sind zu sein.“ (Patricia Deegan, 1995 – Recovery)
Schubladisierung, Verdrängung und Funktionieren müssen, war
über lange Zeit eine meiner Bewältigungsstrategien. Glaubenssätze und
Schubladendenken verletzten und verschlimmerten die Situation: z.B.: „Stell
dich nicht so an, du bist ja nur faul.“, „Du musst doch nur…., dann schaffst du
das“, „Dir kann es ja gar nicht schlecht gehen, wenn du es nur so machen
würdest wie ich.“ „Dich wird deine Vergangenheit einholen.“ „Du bist ja selber
schuld.“ „Du zerstörst unser Leben.“ Jeder ist seines Glückes Schmied… usw. und
zeigt auch die Überforderung und Unwissen, wenn plötzlich jemand aus dem Rahmen
fällt.
Zum Zeitpunkt meiner ersten Krankheitssymptome vor 23 Jahren hatten wir alle noch keine anderen Möglichkeiten zur Bewältigung. Bei einem gebrochenen Fuß, einer Schulteroperation, usw. würde man nicht auf die Idee kommen Menschen zu verurteilen, selber schuld zu sein. Man erkundigt sich über die Therapie- und Behandlungsschritte, OP usw…und bekommt Trost, Zuwendung, Nachfragen, Erkundigen usw. Oder zu einem Menschen der im Rollstuhl sitzt, würde man nicht auf die Idee kommen, zu sagen, dass er sich nicht so dumm anstellen solle, und aus seinem Fortbewegungsmittel aussteigen muss und doch selber gehen soll. Zu unterschiedlichen Zeiten von Krisen braucht es mehr oder weniger Krücken und Hilfe aber immer klares Wissen, Akzeptanz und Wertschätzung: „Die Menschen stärken und die Sachen klären!“ (Hartmut von Hentig)
Vielen Dank für die Zusendung! Es erfordert viel Mut, darüber zu sprechen und wir sind froh, diese Erzählungen mit euch allen teilen zu können. Hast auch Du Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen und willst darüber reden? Möchtest du auch ein Statement oder einen Blogbeitrag beisteuern? Dann schicke uns deinen Text, dein Statement, dein Foto,… an darueberredenwir@psd-wien.at.
Coronavirus: Sucht
Das Institut für Suchtprävention Wien hat neben E-Mental Health Angeboten und Online-Reduktionsprogrammen zu Alkohol und Cannabis auf www.mindbase.at spannende Factsheets zur Verfügung gestellt!
Alkohol und andere Suchtmittel
Einige trinken in dieser ungewöhnlichen und fordernden Zeit mehr oder öfter Alkohol als sonst. Wenn Alkohol oder andere Suchtmittel für Sie die einzigen Möglichkeiten darstellen, Stress, Ängste, Sorgen oder auch Langeweile und das Gefühl von Einsamkeit (vermeintlich) abzubauen, dann ist es für Ihre Psyche und Ihren Körper hilfreich, entlastend und gesundheitsfördernd, neue und andere Handlungsmöglichkeiten und Alternativen zu entwickeln.
Krisenzeiten fordern uns heraus. Der Alltag hat sich für viele radikal geändert. Auch wenn wir die Informationen und Maßnahmen zur Eindämmung des Virus verstehen, kommen viele unterschiedliche und intensive Gefühle in uns hoch.
Eltern zu sein heißt, immer mehrere Verpflichtungen gleichzeitig zu bewältigen. Gerade in Krisenzeiten haben viele Eltern den Eindruck, noch mehr Erwartungen gerecht werden zu müssen: Jenen der ArbeitgeberInnen, jenen der PartnerInnen, jenen der Familie. Sie sollen einen guten Umgang mit den eigenen Ängsten und Befürchtungen pflegen und gleichzeitig für ihre Kinder da sein. Neben dem eigenen Umgang mit starken Gefühlen machen sich viele Eltern auch Sorgen um den Umgang der Kinder mit digitalen Medien.
Arbeit und Familie unter einen Hut zu bringen und das alles in den eigenen vier Wänden auf engem Raum ist alles andere als einfach. Hier sind ein paar Tipps, wie’s trotzdem klappen kann.
Wie können wir in Zeiten des Coronavirus weiterhin gesund bleiben? Und zwar nicht nur körperlich, sondern auch psychisch.
Denn auch wenn die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus momentan gelockert werden, können trotzdem viele psychische und soziale Belastungen bleiben.
Gesund bleiben, körperlich und psychisch, geht deshalb weiterhin nur gemeinsam,mit Ruhe und Gelassenheit — und wenn wir vorsichtig und achtsam bleiben.
Zieht weiterhin alle an einem Strang, vor allem zu Hause und auch in der Öffentlichkeit.
Euch allen vielen Dank für diese wichtige Unterstützung im „Kampf“ gegen das Coronavirus.
Alle wichtigen Informationen auf einen Blick – hier könnt ihr unsere Factsheets zum Coronavirus downloaden:
Fakten statt Fake: Regelmäßig, aber nicht andauernd, offizielle Informationen einholen!
Egal wo, egal wann: Respektvoll verhalten – sich selbst und anderen gegenüber!
Ordnung machen: Die für Euch wirklich wichtigen Dinge ordnen, planen, und tun!
Den Tag strukturieren: Routinen einhalten!
Auszeiten nehmen: Pausen miteinander, aber auch voneinander, machen, v.a. wer auf engerem Raum miteinander lebt!
Soziale Beziehungen pflegen: Das geht auch übers Telefon und soziale Medien!
Für Kinder da sein: Ihre Sorgen besonders ernst nehmen und mit ihnen reden!
Körperliche Gesundheit: Gesund ernähren, bewegen, schlafen & immer noch Hygieneregeln einhalten!
Bewegung im Freien:IMMER NOCH einen Abstand von mindestens 1-2 Meter einhalten!
Weiterleben: Die für Euch schönen Dinge finden und genießen!
➔Und wenn’s trotzdem nicht geht: Hilfe suchen! Je früher, desto besser! Denn es ist immer noch okay, auch mal nicht okay zu sein und mit den Veränderungen überfordert zu sein, es ist okay, unsicher zu sein und um Rat und Hilfe zu bitten.
Die wichtigsten Telefonnummern auf einen Blick:
Wenn’s Sorgen gibt — Reden
hilft. CORONA-SORGEN-HOTLINE WIEN:
01 4000 53000
Angst vor Ansteckung, die Sorge um Angehörige, Verlust des Jobs sowie Einsamkeit und viele andere Probleme können belasten. Die Corona-Sorgenhotline bietet Unterstützung und Beratung, wenn die Sorgen groß werden. Jetzt anrufen — wir sind täglich von 8 bis 20 Uhr für dich da.
Bei allgemeinen Fragen zu Übertragung, Symptomen, Vorbeugung:
Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) – Infoline Coronavirus: 0800
555 621
Bei Verdacht auf Infizierung mit dem Coronavirus oder auftretende
Symptome:
Österreichisches Gesundheitstelefon: 1450
Für Personen, die auf Hilfe angewiesen sind, aber keine Unterstützung
durch Angehörige oder NachbarInnen bekommen können:
Servicenummer
der Stadt Wien: 01 4000 4001
Team
Österreich: 0800 600 600
In psychischen Krisen- und Notfällen:
Die Notrufnummer der Psychosozialen Dienste in Wien: 01 31330
Öffnungszeiten und Erreichbarkeit der Einrichtungen des PSD-Wien.
Alle aktuellen Informationen zu den PSD-Wien Einrichtungen findet ihr auf der Startseite der Psychosozialen Dienste in Wien: https://www.psd-wien.at/
Tagesstruktur schaffen – 6 Tipps
Isolation und abrupte Veränderungen in der Tagesstruktur sind für viele eine große Belastung. Daher ist es derzeit wichtig, eine neue Routine für den Tag zu finden.
Versuche, um die selbe Zeit aufzustehen und deine Morgenroutine mit Zähneputzen usw. beizubehalten.
Informiere dich über das Tagesgeschehen gezielt auf offiziellen Kanälen & meide übermäßigen Konsum von Medien.
Mach dir Telefon- oder Chat-Dates aus.
Rede darüber, wie es dir mit der Situation geht — das hilft.
Mittagessen um 1, Tee um halb 3, Skypen um 5 – kleine Rituale helfen bei der Strukturierung deines Tages.
Nimm dir vor, wann du ins Bett gehen wirst und versuche, vor dem Schlafen zur Ruhe zu kommen.
Dr. Georg Psota, Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien, rät ebenfalls dazu, sich über den Tag Beschäftigungsmöglichkeiten zu suchen und einzuplanen.
“Vielen Menschen hilft es, wenn sie Ordnung machen. Das beschäftigt, lenkt ab und gibt ein gutes Gefühl. Ebenso hilft vielen Menschen, wenn Sie sich den jeweiligen Tag oder die nächsten Tage gut strukturieren: ‘Sich die Zeit über den Tag verteilt einteilen, dann mache ich dieses und dann mache ich jenes’.“