Tränen zu Weihnachten… davor hab ich Angst.

Weihnachten war schon immer schwierig für uns. Oder besser gesagt: Die Zeit vor Weihnachten war schon immer schwer – zumindest seit Klara 4 Jahre alt war und ich nur mehr allein für sie da sein konnte.

Man ist einfach sehr unter Druck, weil das Geld knapp ist, weil der Vergleich mit anderen Familien einfach immer da ist und man Tag für Tag versucht, all das auszugleichen. Ganz nebenbei soll man dann auch noch einen Job machen, der zum Jahresende hin auch immer extrem stressig wird. Die Weihnachtszeit war deshalb immer ein Kraftakt, bis wir dann endlich zu zweit am 24. unter dem Baum sitzen konnten und ich endlich mal Zeit hatte, kurz Luft zu holen.

Ich hab früher immer versucht, in all dem Stress schöne Momente für mich zu finden. Wir sind einmal die Woche durch die Stadt spaziert, um einfach abzuschalten, die Weihnachtsbeleuchtung zu genießen und uns Geschichten zu den Motiven auszudenken. Das waren unsere Highlights – für Klara und für mich. 

Doch heuer … heuer ist einfach alles anders. Es ist noch stressiger, noch mehr Druck, noch weniger Zeit zum Luft holen. Die Geldsorgen sind größer und unsere Spaziergänge fehlen uns Tag für Tag. 

Klara ist im Herbst in die Schule gekommen – das allein war schon ein finanzieller Kraftakt – aber die psychische Belastung durch Covid-19 hat das alles noch einmal um vieles schwerer gemacht. Die Lehrkräfte geben sich wirklich größte Mühe, aber sie sind auch am Limit. Es ist für niemanden leicht, das weiß ich. Aber ich will, dass Menschen wissen, wie sehr wir hier struggeln, wie schwer es gerade ist. 

Das ist Klaras erstes Schuljahr – mit Lockdown, mit wenig bis keinem Kontakt zu ihren neuen KlassenkollegInnen und dann kommt jetzt auch noch eine Vorweihnachtszeit, die von Ungewissheit und Sorgen geprägt ist. Ich versuche stark zu sein und all die Angst um meinem Job, die Existenzängste wegen der Kurzarbeit vor ihr zu verstecken, aber ich weiß das gelingt nicht immer. Sie bekommt all das natürlich mit und das macht mich noch trauriger. Es gab in den letzten Wochen Zeiten, an denen ich fast jeden Tag weinend zu Bett gegangen bin, weil ich nicht mehr weiß was ich machen soll. Oft zittern meine Hände und mein Herz rast. 

Ich habe Angst, dass es so weitergeht oder vielleicht noch schlimmer wird. 
Ich habe Angst, dass meine Mutter krank wird. 
Ich habe Angst, dass Klaras Zukunft gefährdet ist. 
Und so kleinlich das klingen mag: Ich hab‘ Angst, dass es zu Weihnachten Tränen gibt. 

Eine Freundin hat geraten, dass ich mir Hilfe hole und sie mich dabei auch unterstützen kann. Ich bin gerade dabei Hilfsangebote zu recherchieren. Die Sorgenhotline der Stadt Wien hat mir auch schon zweimal sehr gut weitergeholfen, weil es einfach gut tat mal darüber zu sprechen – das Gefühl zu haben, dass ich nicht allein bin und dass jemand zuhört. Deswegen schreibe ich auch diesen Brief. Ich bleibe dran. 

An all diejenigen, die gerade in ähnlichen Situationen sind: Ihr seid nicht allein, es gibt Menschen, die genau gleich fühlen, bangen und kämpfen wie ihr. Und es gibt Menschen, die helfen können. Zögert nicht um Hilfe zu fragen: egal ob es nur ein Gespräch, ein Ratschlag, eine Unterstützung oder professionelle Hilfe ist – um Hilfe zu fragen, ist keine Schande. Bitte tut es. 

Toleranz und psychische Gesundheit… gehen Hand in Hand!

“Ich habe mich immer gefragt: Warum beschäftigt es andere so sehr, in welcher Identität ich mich wohl fühle? Und was rechtfertigt es, mir mit so viel Hass zu begegnen?”

Alex ist als Alexander zur Welt gekommen, hat aber schon früh gemerkt, dass sie sich in einem männlichen Körper nicht wohlfühlt. “Ich habe meine Schwester immer beneidet, dass sie lange Haare haben und Kleider tragen durfte.” 

Schon im Teenager-Alter war sich Alex sicher, ein Mädchen zu sein. Später haben auch ihre Eltern einer Hormon-Therapie zugestimmt. Auf diesem Weg wurde sie auch therapeutisch und medizinisch begleitet. Für ihre direkte Familie war Alex’ Entwicklung kein Problem. “Meine Mutter hat mir mal gesagt, dass es für sie gar keine Überraschung war und sie es immer schon irgendwie gewusst hat.” Doch im erweiterten Verwandtenkreis, in der Nachbarschaft und in der Schule hatte Alex mit teilweise schweren Anfeindungen zu kämpfen. 

“Es war ein täglicher Albtraum, in die Schule gehen zu müssen. Ich wurde schlimm gemobbt und ausgegrenzt. Meine Mutter hat mehrmals mit dem Klassenvorstand gesprochen. Die LehrerInnen haben dann zwar vermehrt darauf geachtet, aber es hat fast keinen Unterschied gemacht. Das war eine wirklich schwierige Zeit für mich.”

Nach einem Schulwechsel hat sich die Situation etwas gebessert, doch Alex konnte es nicht erwarten aus ihrer alten Umgebung auszubrechen und ist nach der Matura nach Wien gezogen. 

Während dem Studium hat Alex gemerkt, dass es ihr trotzdem nicht gut ging. “Ich habe mich wirklich wohl gefühlt in der WG und mit meinem Studium. Aber irgendwie konnte ich trotzdem keine wirkliche Motivation aufbringen. Ich war andauernd nervös oder traurig und hatte Konzentrationsschwierigkeiten. Dann kamen nachts die Panikattacken dazu. Meine Freunde haben mir dann geraten, mich ärztlich beraten zu lassen.”

Alex wurde mit Posttraumatischer Belastungsstörung diagnostiziert. Sie befindet sich in Gesprächstherapie und macht gute Fortschritte. 

Die Therapie hat ihr geholfen, mit ihrer Depression und ihren Konzentrationsproblemen besser umgehen zu können. “Meine Therapeutin hat mich dabei unterstützt, das Trauma als Teil meiner Geschichte anzuerkennen und mit Mut in meinen neuen Lebensabschnitt zu starten.”

“So viele Mitglieder der LGBTIQ+ Community werden Opfer von Anfeindungen und Ausgrenzung – durch ihr Umfeld oder manchmal sogar durch ihre Familie. Das kann man nicht so leicht wegstecken, so eine Erfahrung hinterlässt Spuren. Daher finde ich es wichtig, mit anderen darüber in den Dialog zu treten und so ein Stück weit zur Normalisierung und Akzeptanz beizutragen.”

Wollt ihr auch eure Geschichte mit uns teilen? Dann schreibt uns eine Nachricht an darueberredenwir@psd-wien.at 

Der erste Brief an die Gesellschaft hat uns erreicht

Liebe Community, 

dieses Jahr ist wahrscheinlich nicht so gelaufen, wie viele von uns sich das vorgestellt haben. Ganz sicher war 2020 nicht so, wie ich es erwartet habe. Über unseren Köpfen hängt seit dem Frühjahr eine graue Wolke namens „Covid-19“. Sie schränkt uns ein, macht uns Angst und zwingt uns zu Schritten, die ich noch vor einem Jahr gar nicht für möglich gehalten hätte. Viele von haben ganz eigene Wege gefunden, mit all dem umzugehen … in meinem Fall ist es ein früher Start in den Weihnachtszauber in meinen eigenen vier Wänden. Mit warmem Kerzenlicht, schmalzigen Liedern und süßen Düften. Das ist gerade jetzt mein Weg, diese Situation ein kleines bisschen besser zu machen.

Verfrühte Weihnachten sind aber nur oberflächliche Bandagen für die Unsicherheit, die viele von uns gerade in den letzten Tagen und Wochen spüren – und ganz sicherlich nicht jedermanns Geschmack 😉 Was es eigentlich braucht, um besser durch diese schwere Zeit zu kommen, ist schwieriger zu erreichen … oder vielleicht doch nicht? 

Die beste (oder auch die mindeste) Unterstützung, die wir sowohl uns selbst, als auch unserem Umfeld und der ganzen Gesellschaft ohne viel Aufwand bieten können, sind offene Ohren, Verständnis und gelebte Akzeptanz:

Denn es ist ja nichts Neues, dass wir Menschen gerade in ungewohnten Situationen zum Gruppendenken tendieren. Wir kategorisieren, teilen ein, stecken in Schubladen, weil wir uns so leichter tun, unser Umfeld einzuschätzen. Genau in solchen Situationen entsteht aber oft ein „Wir“ und „die Anderen“ – eine Denkweise, die zu negativen Einstellungen und Vorurteilen führt. Und genau daran möchten wir arbeiten. In unserer vernetzten, schnelllebigen Welt haben wir aber die Chance, einen Unterschied zu machen. Was ich mir deshalb Wünsche?

  • Offene und konstruktive Dialoge um angebliche Tabuthemen.
  • Ein Aufbrechen von Stereotypen und einschränkendem Gruppendenken.
  • Gelebte Akzeptanz in jeder Lebenswelt – ganz besonders auch für Communities wie LGBTIQ+, People of Color und andere.

Jede und jeder von uns ist ein Mensch mit einer eigenen Geschichte, eigenen Lastern, Problem, Wünschen, Träumen, guten und auch schlechten Tagen. Jede Nettigkeit, jede kleine Hilfestellung, jedes Zeichen der Zivilcourage und jedes offene Ohr ist in unserer Welt ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Und es gibt uns gerade in Zeiten wie diesen den Mut, unseren Alltag und unser Leben ein Stück weiter besser leben zu können 🙂

Ich glaube fest daran, dass wir das gemeinsam schaffen!

Tweet für Tweet in die richtige Richtung

Das Thema psychische Gesundheit bei Jugendlichen

Die letzten Monate waren für uns alle schwer. Egal ob in Familie, Beruf, (Aus)bildung oder Freizeit – überall gab es massive Unsicherheiten. Das Jahr 2020 haben wir bisher wahrscheinlich ganz anders verbracht als ursprünglich geplant. Diese besondere Situation hat aber auch dazu geführt, dass unsere psychische Gesundheit, der Umgang mit Angst und die Bewältigung von Stress zu einem immer größeren Thema wird. Und wir alle gehen anders damit um – so auch junge Menschen auf der ganzen Welt. 

Teenager sein während einer Krise

In Österreich hat der „normale“ Schulunterricht trotz anhaltender Corona-Krise wieder begonnen. Das Schuljahr ist von gesundheitlichen und organisatorischen Schwierigkeiten geprägt. Vielen Kindern und Jugendlichen fällt es da schwer, sich voll auf den Unterricht zu konzentrieren. Konzentrationsstörungen und Leistungsdruck machen sich breit. 

Auch Freizeitaktivitäten, die sonst helfen würden, den Kopf frei zu kriegen, sind nur eingeschränkt möglich. Und auch, wenn es banal klingen mag, unsere MaturantInnen hatten in diesem Jahr keine Matura-Reise, keinen Maturaball und keine fancy Abschlussfeier. Auch das kann etwas mit Menschen machen – nämlich dann, wenn solch große Ereignisse nicht so gefeiert werden können, wie das bisher immer war.

Vor allem in einem Alter, in dem es wesentlich zur Entwicklung beiträgt, wenn wir soziale Erfahrungen machen, FreudInnen treffen und Hobbies nachgehen, stellen Ausgangssperren, Vereinsschließungen und Versammlungsverbote ein großes Problem dar. 

Daher ist es leider nicht verwunderlich, dass gerade unter Jugendlichen die Zahl der psychischen Erkrankungen steigt. Aber im Unterschied zu Erwachsenen ist die eigene psychische Gesundheit für viele junge Menschen kein absolutes Tabu-Thema mehr. Und das ist gut so!

Soziale Medien als Sprachrohr

Junge Menschen nutzen als Digital Natives Soziale Medien viel aktiver als jede andere Generation und berichten auf diesen Plattformen offener und ehrlicher darüber, wie es ihnen in Alltagssituationen geht. 

Vorbildfunktion nehmen dabei ganz besonders InfluencerInnen ein. Sie sind selbst Jugendliche oder junge Erwachsene und teilen nicht nur die positiven Seiten ihres Lebens mit ihren Followern – Themen wie Familienprobleme, Depressionen oder Angststörungen werden auf ihren Kanälen immer offener angesprochen. 

Auf Twitter werden Hashtags wie #MentalHealth; #MentalHealthMonth und #LetsTalk benutzt, um sich mit Menschen auf der ganzen Welt über psychische Gesundheit und die eigenen Erfahrungen auszutauschen. Besonders Jugendliche können sich mit dieser niederschwelligen Art der Gesprächsführung gut identifizieren.

Auch auf Instagram sind Initiativen und Einzelpersonen aktiv, um das Tabu rund um psychische Erkrankungen zu brechen. Einige von ihnen sind auch Teil der #darüberredenwir Online-Community. Auch hier wird mit Bildern und mutigen Texten über den Alltag mit psychischen Erkrankungen gesprochen. Nicht zuletzt zeigen die Kommentare, wie wichtig es für viele ist, sich nicht alleine zu fühlen. 

Auf der relativ neuen Plattform Tik Tok hat sich in kurzer Zeit ein ganzes Subgenre zu psychischer Gesundheit gebildet. Jugendliche geben dort Einblicke, wie es ihnen zum Beispiel während einer depressiven Phase geht oder erzählen wie sie mit psychischen Problemen in der Familie oder im Freundeskreis umgehen. PsychotherapeutInnen, Mental Health TrainerInnen und andere ExpertInnen haben sich diesem Diskurs auf Tik Tok angeschlossen und geben in Form von kurzen, eingängigen und informellen Videos Ratschläge und Tipps im Umgang mit psychischen Problemen. 

Natürlich ersetzen all diese Kanäle und Plattformen keine professionelle Beratung und Behandlung, aber darüber zu reden ist immer der erste, ganz wichtige Schritt. 

Ein offener Diskurs trägt merklich dazu bei, psychische Erkrankungen als etwas „Normales“ anzusehen, das alle von uns betrifft. Psychische Erkrankungen werden so immer mehr aus der Tabu-Zone herausgeholt und es fällt uns viel leichter, weiter darüber zu sprechen und uns wenn nötig auch professionelle Hilfe zu holen!

Wie oarg ist es eigentlich, dass unsere Sprache immer noch psychische Erkrankungen stigmatisiert?

Wie wir Sprache benutzen, definiert uns selbst und unser Verhalten. Sprache spiegelt die Gesellschaft wieder, durch sie drücken wir soziale Vorstellungen aus und schaffen Normen. So wie sich unsere Gesellschaft verändert, verändert sich auch unser Sprachgebrauch und umgekehrt. Sprache kann inklusiv sein oder ausgrenzend wirken – sie schafft Möglichkeiten von Teilhabe und Sichtbarkeit, sie kann jedoch auch stigmatisieren und diskriminieren.

Das erleben wir auch bei Wörtern, die psychische Erkrankungen oder Erkrankte abwerten und so zu einem anhaltenden Stigma beitragen. Wörter wie… 

  • wahnsinnig
  • gestört
  • HysterikerIn
  • Psycho
  • Irrenanstalt
  • Klapsmühle oder Klapse
  • schwachsinnig
  • zurückgeblieben
  • abartig

sind tief in unserer Umgangssprache verwurzelt und ihre Herkunft wird uns oft erst auf den zweiten, hinterfragenden Blick klar.

Als Argument gegen eine sogenannte „politisch korrekte“ Sprache wird häufig angeführt, dass sie umständlich sei oder diskriminierende Begriffe ja gar nicht so gemeint sind. Aber wir müssen uns Gedanken darüber machen, welche Auswirkungen Sprache auf uns, auf unser Gegenüber und auf unsere Gesellschaft hat, weil Sprache nachhaltig verletzen kann. Wir haben ErfahrungsexpertInnen direkt gefragt, was diskriminierende Sprache für sie bedeutet: 

“Es tut weh, wenn Erkrankungen, an denen man selbst leidet, als Attribute verwendet werden, die etwas Negatives, nicht „Normales“ oder Übertriebenes ausdrücken sollen “, sagt Manuel H., der seit Jahren mit einer Persönlichkeitsstörung lebt. „Meine Familie und Freude wissen über meine psychische Erkrankung Bescheid. In alltäglichen Konversationen kommt es schon mal vor, dass sie in meinem Beisein Sätze verwenden wie ‚Die waren so abartig drauf…‘ oder ‚Sie hat sich aufgeführt wie eine Irre…‘, etc. Mir ist bewusst, dass sie diese Worte nicht böswillig verwenden oder mich und meine Erkrankung damit nicht denunzieren wollen – ich weiß, dass ich auf eine volle Unterstützung ihrerseits vertrauen kann. Trotzdem fällt es mir schwer, es zu ignorieren. Es fühlt sich an, als würden sie unterbewusst schlecht von mir denken.“

Sprache beeinflusst unser Verhalten und wie wir Sachverhalte einschätzen. Und zwar nicht nur in uns selbst, sondern auch in unseren GesprächspartnerInnen – besonders wenn wenig oder lückenhaftes Wissen über ein Thema vorhanden ist.

Denn unser Gehirn versucht Unbekanntes zu erforschen, indem es sämtliche aufgeschnappte Information zu einem stimmigen Bild zusammenzufügen versucht.

Je öfter wir also Phrasen hören, die psychische Erkrankungen in einem negativen Kontext darstellen oder abfällige Begriffe diesbezüglich verwenden, desto eher verhärtet sich die Stigmatisierung. Wenn sich auf diese Weise ein negatives Bild von psychischen Erkrankungen verfestigt hat, dann fällt es uns aber auch selbst schwerer, darüber zu reden, uns zu informieren oder uns Hilfe zu holen, wenn wir selbst oder Menschen in unserem Umfeld davon betroffen sind.

Deshalb ist es uns bei #darüberredenwir so wichtig, Informationen bereitzustellen und Dialoge über das facettenreiche Thema psychische Gesundheit anzustoßen. Wir können uns gegenseitig dabei unterstützen, die richtigen Worte zu finden und unsere Stimme proaktiv zu nutzen. 

Mit ein bisschen mehr Aufmerksamkeit in unserem täglichen Sprachgebrauch, können wir das Stigma psychischer Erkrankungen reduzieren und unsere Gesellschaft positiv verändern. 

Das große Los

Karin berichtet davon, welche Hürden Vorurteile für Menschen mit psychischen Erkrankungen darstellen. Sie erklärt, wie wichtig es ist, sich anderen anvertrauen zu können und akzeptiert zu werden.

Ich hatte das große Los gezogen! Nein, kein Brieflos!, – sondern das freudlos, hoffnungslos, kraftlos, beziehungslos, arbeitslos,…-gleich mehrere Lose sozusagen. Manie- und Psychoseerfahrungs-Lose. Diese Lose machten neben aller Verzweiflung, auch reich an Erfahrungen im Umgang, mit Ressourcen, mit Frühwarnzeichen,…dem Leben mit psychischer Krankheit, die mal mehr, mal weniger präsent ist. Aber eine (gesellschaftliche) Lebensrealität ist.

Um psychische Erkrankungen zu enttabuisieren, ist es wichtig, Menschen und deren Angehörige, ihre Abenteuer- und Heldenreisen durch psychische Erkrankungen neu und verändert zu (be-)werten, kennenzulernen und wertzuschätzen. Denn ihre Erfahrungen und Geschichten mit der meist „Unsichtbaren“ und doch viel Platz einnehmenden Krankheit, die sich durch alle gesellschaftlichen Schichten und Lebensbereiche zieht, sind nur allzu menschlich und brauchen gesellschaftliche Akzeptanz, Platz, Teilhabe und Inklusion.

Ich denke, es ist Hilfe und Bereicherung, vorverurteilte Menschen vor den Vorhang der Stigmatisierung zu holen und so damit beizutragen, Wissen zu vermitteln, um psychische Krankheit auch positiv und mit Hoffnung versehen, zu besetzen. Schließlich hat jeder 4. Mensch im Laufe seines Lebens Erfahrung mit einer psychischen Krise oder längeren psychischen Erkrankung. Im Laufe eines Jahres hat jeder fünfte Mensch in Österreich eine psychische Erkrankung wie Depression, Angststörung oder Psychose. Insgesamt sind 1,2 Millionen ÖsterreicherInnen von einer psychischen Erkrankung betroffen. (Kurier, 8.10.2019) Und genau diese Menschen haben Familie, Freunde und Arbeitskollegen, die genauso davon betroffen sind. Die Ressourcen und Fähigkeiten psychiatrieerfahrener Menschen sind für die Gesellschaft an sich eine Ressource und schaffen Zugang zu einer Erfahrungsdimension, um mit der Brüchigkeit des Lebens gut und sorgsam umzugehen und um autonomere, gesündere und menschlichere Genesungswege zu gehen.

Es ist also längst Zeit, unverhältnismäßig große Vorurteile gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen abzubauen. Und Krankheiten, ob psychischer oder physischer oder beides gleichzeitig, auch in finanzieller Hinsicht der Behandlungskosten, nicht mit zweierlei Maß zu messen.

Leider wurde mir erst sehr spät klar, dass Offenheit, Vertrauen zu Bezugspersonen und Austausch ein großer Schutz sind. Information und Austausch helfen gegen viele falsche Vorurteile (faul, gefährlich, gespalten usw…) von sich selbst und denen der anderen. Diese Vorurteile verstellen oft den Blick und verhindern durch Scham und Schuldgefühle echte, gesundheitsfördernde Kontakte. Wert und Würde, sowie die erschwerte Alltagsbewältigung dünnhäutiger und erkrankter Menschen muss nicht zusätzlich durch das Ringen um Akzeptanz belastet werden. Beziehung und Kontakt, sinnstiftende Aufgaben und sich einbringen im eigenen Maßstab, Selbstfürsorge und Wissen ist Schutz und Prävention vor heftigen Krisen.

Und  außerdem: „Es ist nicht das Ziel des Gesundungsprozesses, normal zu werden. Das Ziel ist, unsere menschliche Berufung anzunehmen, auf tiefere und vollere Weise Mensch‘ zu werden. Das Ziel ist nicht die Normalisierung. Das Ziel ist, der einmalige, Ehrfurcht einflößende, niemals kopierbare Mensch zu werden, der wir aufgerufen sind zu sein.“ (Patricia Deegan, 1995 – Recovery)

Schubladisierung, Verdrängung und Funktionieren müssen, war über lange Zeit eine meiner Bewältigungsstrategien. Glaubenssätze und Schubladendenken verletzten und verschlimmerten die Situation: z.B.: „Stell dich nicht so an, du bist ja nur faul.“, „Du musst doch nur…., dann schaffst du das“, „Dir kann es ja gar nicht schlecht gehen, wenn du es nur so machen würdest wie ich.“ „Dich wird deine Vergangenheit einholen.“ „Du bist ja selber schuld.“ „Du zerstörst unser Leben.“ Jeder ist seines Glückes Schmied… usw. und zeigt auch die Überforderung und Unwissen, wenn plötzlich jemand aus dem Rahmen fällt.

Zum Zeitpunkt meiner  ersten Krankheitssymptome vor 23 Jahren hatten wir alle noch keine anderen Möglichkeiten zur Bewältigung. Bei einem gebrochenen Fuß, einer Schulteroperation, usw. würde man nicht auf die Idee kommen Menschen zu verurteilen, selber schuld zu sein. Man erkundigt sich über die Therapie- und Behandlungsschritte, OP usw…und bekommt Trost, Zuwendung, Nachfragen, Erkundigen usw. Oder zu einem Menschen der im Rollstuhl sitzt, würde man nicht auf die Idee kommen, zu sagen, dass er sich nicht so dumm anstellen solle, und aus seinem Fortbewegungsmittel aussteigen muss und doch selber gehen soll.  Zu unterschiedlichen Zeiten von Krisen braucht es mehr oder weniger Krücken und Hilfe aber immer klares Wissen, Akzeptanz und Wertschätzung: „Die Menschen stärken und die Sachen klären!“ (Hartmut von Hentig)

Vielen Dank für die Zusendung! Es erfordert viel Mut, darüber zu sprechen und wir sind froh, diese Erzählungen mit euch allen teilen zu können. Hast auch Du Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen und willst darüber reden? Möchtest du auch ein Statement oder einen Blogbeitrag beisteuern? Dann schicke uns deinen Text, dein Statement, dein Foto,… an darueberredenwir@psd-wien.at.

Coronavirus: Sucht

Das Institut für Suchtprävention Wien hat neben E-Mental Health Angeboten und Online-Reduktionsprogrammen zu Alkohol und Cannabis auf www.mindbase.at spannende Factsheets zur Verfügung gestellt!

Alkohol und andere Suchtmittel

Einige trinken in dieser ungewöhnlichen und fordernden Zeit mehr oder öfter Alkohol als sonst. Wenn Alkohol oder andere Suchtmittel für Sie die einzigen Möglichkeiten darstellen, Stress, Ängste, Sorgen oder auch Langeweile und das Gefühl von Einsamkeit (vermeintlich) abzubauen, dann ist es für Ihre Psyche und Ihren Körper hilfreich, entlastend und gesundheitsfördernd, neue und andere Handlungsmöglichkeiten und Alternativen zu entwickeln.

UMGANG MIT ALKOHOL IN KRISENZEITEN

Krisenzeiten fordern uns heraus. Der Alltag hat sich für viele radikal geändert. Auch wenn wir die Informationen und Maßnahmen zur Eindämmung des Virus verstehen, kommen viele unterschiedliche und intensive Gefühle in uns hoch.

UMGANG MIT SUCHTMITTELN IN KRISENZEITEN – Info für Jugendliche

UMGANG MIT SUCHTMITTELN IN KRISENZEITEN – Info für Erwachsene

Smartphones, Spielekonsolen und PC

Eltern zu sein heißt, immer mehrere Verpflichtungen gleichzeitig
zu bewältigen. Gerade in Krisenzeiten haben viele Eltern den
Eindruck, noch mehr Erwartungen gerecht werden zu müssen:
Jenen der ArbeitgeberInnen, jenen der PartnerInnen, jenen der
Familie. Sie sollen einen guten Umgang mit den eigenen Ängsten
und Befürchtungen pflegen und gleichzeitig für ihre Kinder da
sein. Neben dem eigenen Umgang mit starken Gefühlen machen
sich viele Eltern auch Sorgen um den Umgang der Kinder mit
digitalen Medien.

INFORMATIONEN FÜR ELTERN UND ERZIEHUNGSBERECHTIGTE

Coronavirus: Homeoffice

Arbeit und Familie unter einen Hut zu bringen und das alles in den eigenen vier Wänden auf engem Raum ist alles andere als einfach. Hier sind ein paar Tipps, wie’s trotzdem klappen kann.

Zum Download

Achten wir auf uns

Psychische Gesundheit in Zeiten des Coronavirus

CORONAVIRUS – auch DARÜBER REDEN WIR

UPDATE Juni 2020

Wie können wir in Zeiten des Coronavirus weiterhin gesund bleiben?
Und zwar nicht nur körperlich, sondern auch psychisch.

Denn auch wenn die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus momentan gelockert werden, können trotzdem viele psychische und soziale Belastungen bleiben.

Gesund bleiben, körperlich und psychisch, geht deshalb weiterhin nur
gemeinsam, mit Ruhe und Gelassenheit — und wenn wir vorsichtig und achtsam bleiben.

Zieht weiterhin alle an einem Strang, vor allem zu Hause und auch in der Öffentlichkeit.

Euch allen vielen Dank für diese wichtige Unterstützung im „Kampf“ gegen das Coronavirus.


Alle wichtigen Informationen auf einen Blick – hier könnt ihr unsere Factsheets zum Coronavirus downloaden:


Für Euch und alle anderen — Achtet auf:

  1. Fakten statt Fake: Regelmäßig, aber nicht andauernd, offizielle Informationen einholen!
  2. Egal wo, egal wann: Respektvoll verhalten – sich selbst und anderen gegenüber!
  3. Ordnung machen: Die für Euch wirklich wichtigen Dinge ordnen, planen, und tun!
  4. Den Tag strukturieren: Routinen einhalten!
  5. Auszeiten nehmen: Pausen miteinander, aber auch voneinander, machen, v.a. wer auf engerem Raum miteinander lebt!
  6. Soziale Beziehungen pflegen: Das geht auch übers Telefon und soziale Medien!
  7. Für Kinder da sein: Ihre Sorgen besonders ernst nehmen und mit ihnen reden!
  8. Körperliche Gesundheit: Gesund ernähren, bewegen, schlafen & immer noch Hygieneregeln einhalten!
  9. Bewegung im Freien: IMMER NOCH einen Abstand von mindestens 1-2 Meter einhalten!
  10. Weiterleben: Die für Euch schönen Dinge finden und genießen!

Und wenn’s trotzdem nicht geht: Hilfe suchen! Je früher, desto besser! Denn es ist immer noch okay, auch mal nicht okay zu sein und mit den Veränderungen überfordert zu sein, es ist okay, unsicher zu sein und um Rat und Hilfe zu bitten.

Die wichtigsten Telefonnummern auf einen Blick:

Wenn’s Sorgen gibt — Reden hilft. CORONA-SORGEN-HOTLINE WIEN:

01 4000 53000

Angst vor Ansteckung, die Sorge um Angehörige, Verlust des Jobs sowie Einsamkeit und viele andere Probleme können belasten.
Die Corona-Sorgenhotline bietet Unterstützung und Beratung, wenn die Sorgen groß werden. Jetzt anrufen — wir sind täglich von 8 bis 20 Uhr für dich da.

Bei allgemeinen Fragen zu Übertragung, Symptomen, Vorbeugung:

Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) – Infoline Coronavirus: 0800 555 621

Bei Verdacht auf Infizierung mit dem Coronavirus oder auftretende Symptome:

Österreichisches Gesundheitstelefon: 1450

Für Personen, die auf Hilfe angewiesen sind, aber keine Unterstützung durch Angehörige oder NachbarInnen bekommen können:

  • Servicenummer der Stadt Wien: 01 4000 4001
  • Team Österreich: 0800 600 600

In psychischen Krisen- und Notfällen:

Die Notrufnummer der Psychosozialen Dienste in Wien: 01 31330

Öffnungszeiten und Erreichbarkeit der Einrichtungen des PSD-Wien.

Alle aktuellen Informationen zu den PSD-Wien Einrichtungen findet ihr auf der Startseite der Psychosozialen Dienste in Wien: https://www.psd-wien.at/


Tagesstruktur schaffen – 6 Tipps

Isolation und abrupte Veränderungen in der Tagesstruktur sind für viele eine große Belastung. Daher ist es derzeit wichtig, eine neue Routine für den Tag zu finden.

  1. Versuche, um die selbe Zeit aufzustehen und deine Morgenroutine mit Zähneputzen usw. beizubehalten.
  2. Informiere dich über das Tagesgeschehen gezielt auf offiziellen Kanälen & meide übermäßigen Konsum von Medien.
  3. Mach dir Telefon- oder Chat-Dates aus.
  4. Rede darüber, wie es dir mit der Situation geht — das hilft.
  5. Mittagessen um 1, Tee um halb 3, Skypen um 5 – kleine Rituale helfen bei der Strukturierung deines Tages.
  6. Nimm dir vor, wann du ins Bett gehen wirst und versuche, vor dem Schlafen zur Ruhe zu kommen.

Dr. Georg Psota, Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien, rät ebenfalls dazu, sich über den Tag Beschäftigungsmöglichkeiten zu suchen und einzuplanen.

“Vielen Menschen hilft es, wenn sie Ordnung machen. Das beschäftigt, lenkt ab und gibt ein gutes Gefühl. Ebenso hilft vielen Menschen, wenn Sie sich den jeweiligen Tag oder die nächsten Tage gut strukturieren: ‘Sich die Zeit über den Tag verteilt einteilen, dann mache ich dieses und dann mache ich jenes’.“

Den ganzen Artikel des Kurier nachlesen: shorturl.at/bdPZ9

Depression nach der Geburt

15 Prozent aller Frauen sind von der postpartalen Depression betroffen – doch darüber wird kaum gesprochen. Nicht nur das Unwissen und die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen, auch das konservative Rollenbild erschweren das offene Gespräch. Wir haben zum internationalen Frauentag Doktorin Claudia Reiner-Lawugger, leitende Oberärztin, zu diesem Thema interviewt. Was macht diese Art der Depression aus, wohin können sich die Frauen selbst, aber auch Angehörige wenden und wie erfolgreich ist die Behandlung.

Was ist eine Postpartale Depression?

Eine postpartale Depression ist eine die psychische Erkrankungen im ersten Jahr nach einer Entbindung, die meist zwei bis drei Monate nach der Geburt des Kindes einsetzt. Dabei gibt es Krankheitsbilder wie bei einer Depression oder Angsterkrankung.

Gibt es Ursachen für diese Art der Depression?

Um die Geburt herum verändert sich sehr viel. Es ist also an sich eine große psychische Leistung, die erbracht werden muss, um diese Veränderungen gut zu verarbeiten. Die Zeit während der Schwangerschaft ist ebenfalls von sehr viel Stress und Angst geprägt. Man ist nicht einfach nur schwanger und nach neun Monaten kommt das Kind zur Welt. Es gibt viele Tests und Untersuchungen, die teilweise zu beständiger Unsicherheit führen.

Manche Mütter setzen sich selbst enorm unter Druck.. Sogenannte Leistungsmütter haben das Gefühl, alles perfekt machen zu müssen, alles wissen zu müssen und alles selbst erledigen zu müssen. Das funktioniert selten. Der selbst auferlegte Druck und die 200 Baby-Ratgeber machen es für Frauen nicht einfacher.

Frauen, die z.B, in ihrer Jungend an psychischen Erkrankungen gelitten haben, sind einem größeren Risiko ausgesetzt. Aber auch zusätzliche Umstände können zu viel werden – etwa  der Tod einer nahestehenden Person oder auch schon ein Umzug.

Wie sieht diese postpartale Depression aus?

Eine postpartle Depression kann in zwei verschiedene Richtungen gehen. Eine Gruppe von Müttern zieht sich komplett zurück, verliert den Kontakt zur Außenwelt. Der Kontakt zum Kind funktioniert allerdings – also sowohl emotional, aber auch beim Stillen beispielsweise.

Die andere Gruppe von Müttern tut sich sehr schwer mit dem Kontakt zu dem Baby, empfindet das Kind als störend. Das ist allerdings keine bewusste Entscheidung. Es sind Emotionen, gegen die die Frauen nichts tun können. Das ist zur psychischen Erkrankung eine zusätzliche schwere Belastung für viele, dass sie die Bindung zum Kind nicht spüren.

Was sind die Symptome?

Die Symptome sind meistens Antriebslosigkeit, depressive Verstimmungen und Schlafstörungen. Das ist im ersten Moment für vielen nicht klar zu definieren, da man in den ersten Monaten nach der Geburt grundsätzlich nicht viel schläft. Aber wenn es dazu über Wochen hinweg kommt, dass man nicht mehr einschlafen kann, dass man nicht schlafen kann, obwohl es Kind und PartnerIn tun, dann wird irgendwann der Punkt der totalen Erschöpfung erreicht. Das erschwert natürlich die Situation zusätzlich.

Einen Satz hört man von vielen Betroffenen: „Ich hätte gerne mein altes Leben zurück“. Diese Mütter fühlen sich abgeschnitten von der Außenwelt, auch bedingt durch selbstauferlegte Verbote. Sie meinen, sie dürfen keinen Sport mehr machen, nicht mehr ausgehen, sich nicht mehr mit FreundInnen treffen. Und ziehen sich dann immer weiter zurück.

Was kann ich tun, wenn ich bei einer Bekannten oder Freundin bemerke, dass etwas nicht stimmen könnte?  

Ansprechen. Das wichtigste ist, darüber zu reden. Gerade in Wien haben wir sehr viele Möglichkeiten, das dann aufzufangen.

Wenn man bemerkt, dass sich eine Bekannte immer weiter zurück zieht, dann sollte man nachfragen. In Richtung: Du meldest dich nicht mehr, was ist denn los? Geht es dir wirklich gut? Es ist schön, dass es mit dem Baby funktioniert, aber wie geht es denn dir selbst?

Sollte dann im Gespräch herauskommen, dass eine psychische Erkrankung nicht unwahrscheinlich ist, dann gibt es verschiedene Möglichkeiten: Die Frau kann zu uns in die Spezialambulanz für peripartale Psychiatrie im Wilhelminenspital kommen. Sie kann in einem Eltern-Kind-Zentrum Unterstützung erfragen oder sich an ihre Hebamme wenden.

Wie sieht die Behandlung von Betroffenen aus?

Es beginnt mit einem Gespräch. In leichten Fällen können schon kleinere Maßnahmen eine Erleichterung für die Frauen sein –  zum Beispiel der Besuch einer Eltern-Kind-Gruppe, um die Isolation aufzubrechen und mit anderen Müttern in Kontakt zu treten.

Bei der Diagnostik schauen wir, welche Art der Behandlung in jenen Fällen nötig ist, die schwerwiegender sind. Wir klären also ab, ob es eine medikamentöse Behandlung oder eine Psychotherapie braucht oder eine Sozialpsychiatrische Behandlung notwendig ist. Es kann schließlich auch sein, dass mehrere Faktoren die Erkrankung bewirken oder eine Genesung erschweren. Wir wollen den Müttern die umfassende Hilfe anbieten, die sie brauchen.

Wie sind die Chancen, eine postpartale Depression wieder loszuwerden?

Sehr gut! Umso früher eine Behandlung beginnt, desto größer sind die Erfolgschancen.

 Kann sie nach der zweiten Geburt wieder auftauchen?

Es ist selten, aber ich kann das Risiko nicht ausschließen. Grundsätzlich rate ich hier Frauen, die schon eine postpartale Depression erlitten haben, bei der nächsten Schwangerschaft sich einfach zu melden. So können wir einen Plan aufstellen und präventiv Maßnahmen ergreifen und damit das Risiko sehr gering halten.

Laut internationalen Studien sind bis zu 15 Prozent aller Frauen davon betroffen – warum wird so selten darüber geredet?

Die Haltung gegenüber Müttern ist noch eine sehr konservative. Die Familie muss es sich selbst richten, die Frau muss es sich selbst richten. Früher in Mehr-Generationen-Haushalten war es einfacher, dass jemand einspringt. Das ist heute nicht mehr so. Familien wohnen alleine und oft bleiben die Frauen mit den Kindern den ganzen Tag alleine zu Hause. Es ist in unserer Gesellschaft schwierig, Bewusstsein dafür schaffen, dass Mütter eben nicht einfach nur funktionieren.

Die postpartale Depression ist an sich nicht eindeutig in den Klassifizierungssystemen ICD-10 oder DSM IV/V abgebildet.  Aber bei der postpartalen Depression sind die veränderten Lebensumstände ein entscheidender Faktor bzw. ein wichtiges Merkmal. Ohne Abbildung in den Klassifikationssystemen sprechen wir über eine Erkrankung, die es nicht zu geben scheint. 

Seit den 90ern arbeiten wir intensiv daran, dass die postpartale Depression ebenfalls klassifiziert wird. Dass es nach wie vor keine Eindeutigkeit gibt, zeigt meiner Meinung nach auch ein gewisses mangelndes Bewusstsein für diese spezielle Erkrankung, an der besonders Mütter leiden.

 Aber es wird besser. Immer mehr Personen des öffentlichen Lebens äußern sich zu dem Thema. In Wien haben wir ein starkes Netzwerk. Wir sensibilisieren seit Jahren und mittlerweile wissen viele GynäkologInnen und Hebammen Bescheid und wenden sich an uns.

Doktorin Claudia Reiner-Lawugger ist leitende Oberärztin der Spezialambulanz für peripartale Psychiatrie im Wilhelminenspital.