Darüber zu reden, was damals passiert ist, fällt mir unglaublich
schwer, aber ich will das hier auch gar nicht so genau erzählen. Das ist nicht
das, was ich erzählen will. Ich will erzählen, dass man selbst mit so einem
Erlebnis und der daraus entstandenen posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)
weiterleben kann, dass man es schaffen kann diese Erlebnisse zu verarbeiten.
Warum spreche ich so selten darüber? Weil die meisten schockiert reagieren,
mitleidig schauen und mich behandeln, als würde ich daran zerbrechen. Ich glaube,
das kommt daher, dass viele sofort Bilder im Kopf haben und selbst nicht
wissen, wie sie mit dieser Situation umgehen sollen. Ja ich war das Opfer von
sexuellem Missbrauch, und ja das hat Spuren hinterlassen – aber diese Spuren
machen mich doch als Person nicht aus. Ich bin doch mehr. Wenn man mich kennt,
würde man nicht glauben, dass mir so etwas passiert ist und dass ich an PTBS
leide. Ich bin eine sehr aufgeweckte und lebensfrohe Frau. Ich bin selbständig
und leite einen kleinen Betrieb.
Man geht immer davon aus, dass einem selbst so etwas nie passieren wird Man hört davon, aber man denkt: „Das passiert mir doch nicht.“ Es war daher schwer, sich einzugestehen, dass es mir passiert ist und dass mich aber keine Schuld daran trifft. Dieser Übergriff hat mein Leben auf den Kopf gestellt und hat mich lange Zeit nicht losgelassen. Ich musste mich zwingen nicht immer daran zu denken und nicht wieder alles im Kopf durchzugehen. Flashbacks und plötzlich aufkommende Angst, nur weil mich irgendetwas an die Situation erinnerte, waren meine Begleiter. Nächtelang konnte ich nicht schlafen und wenn ich einmal einnickte, fuhr ich bald wieder schweißgebadet aus einem Albtraum hoch.
Mir war klar, dass ich Hilfe brauchte, aber es war schwer, sich wirklich aufzuraffen und eine Behandlung zu starten. Wären meine Mutter und mein Vater nicht gewesen, hätte ich es nicht geschafft. Sie waren für mich da, hörten mir geduldig zu, gaben mir Zeit und unterstützen mich bei der Behandlung. Die ersten Therapietermine machten sie für mich aus, sie brachten mich auch hin. Sie haben mir ihre Hilfe nie aufgedrängt, sondern mich immer gefragt – und wenn ich etwas nicht so schnell hinbekommen habe oder Rückschritte gemacht habe, haben sie Verständnis gezeigt. Und all das, obwohl es für sie beide auch sehr schwer war. Mein Vater hat selbst Hilfe in Anspruch genommen, weil er nicht wusste, wie er am besten mit dieser Situation umgehen soll und weil er sich hilflos gefühlt hat.
Es ist 4 Jahre, 2 Monate und 5 Tage her. Ja, ich weiß das ganz genau. Obwohl Jahre vergangen sind, passiert es noch heute, dass mich ein Geruch, ein Geräusch – irgendein Trigger – an dieses furchtbare Erlebnis erinnert. Oft kann ich nicht festmachen was es genau war, manchmal schon. Diese Flashbacks kommen seltener als früher und es braucht viel Kraft mit ihnen zu leben. Aber es ist möglich – wenn man sich Unterstützung holt.
Ich liebe mein Leben – es hat lange gebraucht bis ich das wieder sagen und fühlen konnte. Der Weg bis zu diesem Punkt war lang und ich habe mich manchmal auch verlaufen oder musste ein paar Schritte zurück gehen. Mir ist auch bewusst, dass dieser Weg nicht geschafft ist, aber ich weiß jetzt, dass es machbar ist.
Ich weiß auch, dass ich Glück hatte. Glück, dass ich noch lebe; dass meine Eltern mich so unterstützen und ich ein Umfeld habe, das mir Kraft gibt. Es gibt Menschen, die sind allein in dieser Situation oder werden auch alleingelassen. Daher ist es so wichtig, dass hier mehr Bewusstsein in der Gesellschaft geschaffen wird und auch der Zugang zu Behandlungen erleichtert wird. Wir müssen mehr aufeinander achten und erkennen, dass es Situationen gibt, die Menschen aus der Bahn werfen. Es kann wirklich jeden von uns treffen. Jeder von uns kann in eine Situation kommen in der er auf einmal nicht mehr so funktionieren kann, wie es das System von uns verlangt. Das muss gesehen und auch wahrgenommen werden. Es braucht mehr Verständnis und das Bewusstsein, dass psychische Erkrankungen genauso zu respektieren sind wie körperliche Erkrankungen.
Diese Geschichte wurde Erzählungen von mehreren Betroffenen nachempfunden. Menschen mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung durchleben die traumatisierende Situation oder einzelne Elemente davon immer wieder. Schlafstörungen und Isolation sind dabei keine Seltenheit. Mit der richtigen Behandlung kann Betroffenen jedoch geholfen werden.