Mit viel Einfühlungsvermögen und einem präzisen Blick auf das Vergangene hat uns Lisa Kainzbauer gestern beschrieben, wie sie das Aufwachsen mit ihrer schizophrenen Mutter erlebt hat. Wie es in Lisas Leben weiterging, erfahrt ihr heute.
Heute sind dies schmerzhafte Erinnerungen für mich, und wie ich sie so niederschreibe, durchlebe ich alles noch einmal. Doch Zeiten ändern sich und so hat sich auch mein Leben geändert. Das Jugendamt wurde auf mich aufmerksam und ich willigte erleichtert ein, ins Jugendheim zu ziehen. Ich konnte meine Matura abschließen, ein Studium anfangen und schließlich meine eigene Wohnung beziehen. Mit 23 habe ich beschlossen, meine Erlebnisse mit einer Therapie aufzuarbeiten, doch es war nicht leicht, mir diese Hilfe zuzugestehen. Heute weiß ich, dass jede/r Hilfe verdient hat. Meine Mutter erlangte schließlich wieder ihre Krankheitseinsicht und ihr Zustand bessert sich stetig. Sie begann auch wieder ihre Medikamente ein- und professionelle Hilfe anzunehmen.
So wie es früher gewesen war, wurde es nie mehr. Meine Mutter, mit der ich früher auch lustige Zeiten hatte, reagiert heute kaum noch auf ein Wort von mir, weil sie so sehr in ihrem Kopf gefangen ist. Manchmal bessert sich ihr Zustand für ein paar Tage. Vor kurzem war ich bei ihr zu Besuch und wollte mich nach ihrem letzten Spitalsaufenthalt erkundigen. Ich glaube so gesprächig wie sie an diesem Tag war, habe ich sie seit über 10 Jahren nicht mehr erlebt. Doch obwohl es mich gefreut hat, habe ich gemerkt, dass mir diese neue Situation auch Angst macht. Nach dem Tod meiner Urgroßmutter habe ich mich kurz darauf nicht nur von dieser, sondern auch von meiner leiblichen Mutter verabschiedet, die ich, nachdem sie ihre Medikamente abgesetzt hatte, nicht wiedererkannte. Nach Jahren der Hoffnung habe ich nicht mehr damit gerechnet, sie je wieder in so einem Zustand zu sehen. Doch in den letzten ein bis zwei Jahren sehe ich meine Mutter (wie sie früher war) immer wieder durch den Nebel ihrer Erkrankung durchschimmern und es macht mir Angst. Angst, weil ich mich an die „kränkere“ Version meiner Mutter gewöhnt habe und Angst, weil ich vielleicht enttäuscht werden könnte, von meinen schönen Erinnerungen daran, wie es früher einmal war.
Ich möchte euch noch ein paar Gedanken mit auf den Weg geben. Schizophrenie wird medial häufig in ein sehr verzerrtes Licht gerückt. Meine Erfahrungen mit dieser Erkrankung waren alles andere als ein Zuckerschlecken, aber so wie Schizophrenie in Filmen dargestellt wird, hat es selten etwas mit der Realität zu tun.
Darum habt keine Angst vor den Menschen in der U- Bahn, die lautstark mit sich selbst reden. Wer weiß, vielleicht erzählen ihre Stimmen ihnen gerade eine lustige Geschichte? Habt auch keine Angst, in einem Gespräch eure Fragen zu stellen. Nur durch den Dialog können Vorurteile verschwinden.
Mir ist es ein Anliegen, mich gegen die Stigmatisierung von Menschen mit psychischer Erkrankung stark zu machen. Aus diesem Grund befasse ich mich in vielerlei Hinsicht mit dieser Thematik, wie zum Beispiel als Projektleiterin des Buchs „Verrückt – Wie fühlt sich Schizophrenie an“.
Menschen mit einer psychischen Erkrankung sind keine Monster, sie sind genauso Menschen und man sollte keine Angst vor ihnen haben. Ich habe tiefsten Respekt vor meiner Mutter und weiß nicht, wie sie es schafft, ihr Leben zu meistern. Manchmal stelle ich mir vor, wie schrecklich es sein muss, täglich von Stimmen gequält zu werden, die einen beschimpfen oder dazu auffordern, sich umzubringen. Anstatt ihr den größten Respekt für ihren Mut und ihr Durchhaltevermögen auszusprechen, wurde sie aber immer nur getadelt, da sie nicht der gesellschaftlichen „Norm“ entsprach, aber was ist schon normal?