Karin berichtet davon, welche Hürden Vorurteile für Menschen mit psychischen Erkrankungen darstellen. Sie erklärt, wie wichtig es ist, sich anderen anvertrauen zu können und akzeptiert zu werden.
Ich hatte das große Los gezogen! Nein, kein Brieflos!, – sondern das freudlos, hoffnungslos, kraftlos, beziehungslos, arbeitslos,…-gleich mehrere Lose sozusagen. Manie- und Psychoseerfahrungs-Lose. Diese Lose machten neben aller Verzweiflung, auch reich an Erfahrungen im Umgang, mit Ressourcen, mit Frühwarnzeichen,…dem Leben mit psychischer Krankheit, die mal mehr, mal weniger präsent ist. Aber eine (gesellschaftliche) Lebensrealität ist.
Um psychische Erkrankungen zu enttabuisieren, ist es wichtig, Menschen und deren Angehörige, ihre Abenteuer- und Heldenreisen durch psychische Erkrankungen neu und verändert zu (be-)werten, kennenzulernen und wertzuschätzen. Denn ihre Erfahrungen und Geschichten mit der meist „Unsichtbaren“ und doch viel Platz einnehmenden Krankheit, die sich durch alle gesellschaftlichen Schichten und Lebensbereiche zieht, sind nur allzu menschlich und brauchen gesellschaftliche Akzeptanz, Platz, Teilhabe und Inklusion.
Ich denke, es ist Hilfe und Bereicherung, vorverurteilte Menschen vor den Vorhang der Stigmatisierung zu holen und so damit beizutragen, Wissen zu vermitteln, um psychische Krankheit auch positiv und mit Hoffnung versehen, zu besetzen. Schließlich hat jeder 4. Mensch im Laufe seines Lebens Erfahrung mit einer psychischen Krise oder längeren psychischen Erkrankung. Im Laufe eines Jahres hat jeder fünfte Mensch in Österreich eine psychische Erkrankung wie Depression, Angststörung oder Psychose. Insgesamt sind 1,2 Millionen ÖsterreicherInnen von einer psychischen Erkrankung betroffen. (Kurier, 8.10.2019) Und genau diese Menschen haben Familie, Freunde und Arbeitskollegen, die genauso davon betroffen sind. Die Ressourcen und Fähigkeiten psychiatrieerfahrener Menschen sind für die Gesellschaft an sich eine Ressource und schaffen Zugang zu einer Erfahrungsdimension, um mit der Brüchigkeit des Lebens gut und sorgsam umzugehen und um autonomere, gesündere und menschlichere Genesungswege zu gehen.
Es ist also längst Zeit, unverhältnismäßig große Vorurteile gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen abzubauen. Und Krankheiten, ob psychischer oder physischer oder beides gleichzeitig, auch in finanzieller Hinsicht der Behandlungskosten, nicht mit zweierlei Maß zu messen.
Leider wurde mir erst sehr spät klar, dass Offenheit, Vertrauen zu Bezugspersonen und Austausch ein großer Schutz sind. Information und Austausch helfen gegen viele falsche Vorurteile (faul, gefährlich, gespalten usw…) von sich selbst und denen der anderen. Diese Vorurteile verstellen oft den Blick und verhindern durch Scham und Schuldgefühle echte, gesundheitsfördernde Kontakte. Wert und Würde, sowie die erschwerte Alltagsbewältigung dünnhäutiger und erkrankter Menschen muss nicht zusätzlich durch das Ringen um Akzeptanz belastet werden. Beziehung und Kontakt, sinnstiftende Aufgaben und sich einbringen im eigenen Maßstab, Selbstfürsorge und Wissen ist Schutz und Prävention vor heftigen Krisen.
Und außerdem: „Es ist nicht das Ziel des Gesundungsprozesses, normal zu werden. Das Ziel ist, unsere menschliche Berufung anzunehmen, auf tiefere und vollere Weise Mensch‘ zu werden. Das Ziel ist nicht die Normalisierung. Das Ziel ist, der einmalige, Ehrfurcht einflößende, niemals kopierbare Mensch zu werden, der wir aufgerufen sind zu sein.“ (Patricia Deegan, 1995 – Recovery)
Schubladisierung, Verdrängung und Funktionieren müssen, war über lange Zeit eine meiner Bewältigungsstrategien. Glaubenssätze und Schubladendenken verletzten und verschlimmerten die Situation: z.B.: „Stell dich nicht so an, du bist ja nur faul.“, „Du musst doch nur…., dann schaffst du das“, „Dir kann es ja gar nicht schlecht gehen, wenn du es nur so machen würdest wie ich.“ „Dich wird deine Vergangenheit einholen.“ „Du bist ja selber schuld.“ „Du zerstörst unser Leben.“ Jeder ist seines Glückes Schmied… usw. und zeigt auch die Überforderung und Unwissen, wenn plötzlich jemand aus dem Rahmen fällt.
Zum Zeitpunkt meiner ersten Krankheitssymptome vor 23 Jahren hatten wir alle noch keine anderen Möglichkeiten zur Bewältigung. Bei einem gebrochenen Fuß, einer Schulteroperation, usw. würde man nicht auf die Idee kommen Menschen zu verurteilen, selber schuld zu sein. Man erkundigt sich über die Therapie- und Behandlungsschritte, OP usw…und bekommt Trost, Zuwendung, Nachfragen, Erkundigen usw. Oder zu einem Menschen der im Rollstuhl sitzt, würde man nicht auf die Idee kommen, zu sagen, dass er sich nicht so dumm anstellen solle, und aus seinem Fortbewegungsmittel aussteigen muss und doch selber gehen soll. Zu unterschiedlichen Zeiten von Krisen braucht es mehr oder weniger Krücken und Hilfe aber immer klares Wissen, Akzeptanz und Wertschätzung: „Die Menschen stärken und die Sachen klären!“ (Hartmut von Hentig)
Vielen Dank für die Zusendung! Es erfordert viel Mut, darüber zu sprechen und wir sind froh, diese Erzählungen mit euch allen teilen zu können. Hast auch Du Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen und willst darüber reden? Möchtest du auch ein Statement oder einen Blogbeitrag beisteuern? Dann schicke uns deinen Text, dein Statement, dein Foto,… an darueberredenwir@psd-wien.at.