Interview mit Lisa Kainzbauer

Ver-rückte Welt. Wie sich Schizophrenie anfühlt.

Von Lisa Kainzbauer und Brigitte Maresch  

Mit ihrem Buch, das im März 2021 erschienen ist, wollen die Autorinnen aufklären, das Stigma rund um psychische Erkrankungen, insbesondere Schizophrenie, aufbrechen. Die 208 Seiten enthalten bewegende Erzählungen von Erfahrungsexpert:innen, Angehörigen und Betreuenden. Zudem finden sich darin beeindruckende Fotografien und inszenierte Darstellungen, die die Symptomatik der Schizophrenie veranschaulichen und einen an der Erlebniswelt der Erkrankung teilhaben lassen.

Zum Buch: https://www.facultas.at/item/46375992  

Wieso ist es euch so wichtig, über psychische Gesundheit zu sprechen?

Lisa Kainzbauer: Die Stigmatisierung rund um diesen Themenkomplex ist leider nach wie vor groß. Immer wieder höre ich, wie es als Beschimpfung gemeint ist, wenn jemand als „schizophren“, „verrückt“ oder „wahnsinnig“ bezeichnet wird. Aber auch strukturelle Stigmatisierung ist ein großes Problem. Wer eine psychische Erkrankung hat, redet oft nicht darüber, schon gar nicht im Job. Hinzu kommt, dass Menschen mit psychischer Erkrankung häufig armutsgefährdet sind, sie sind tendenziell öfter im Krankenstand und das verträgt sich nicht mit einer Gesellschaft, in der es die oberste Prämisse ist zu „funktionieren“. Da hat das Thema „psychische Gesundheit“ wenig Platz.  

Wieso ausgerechnet Schizophrenie?

Lisa Kainzbauer: Meine Mutter hat Schizophrenie und ich habe eigentlich nie so wirklich verstanden, wie das für sie ist und was sie in ihrem Alltag wahrnimmt. Als ich klein war, waren ihre Psychosen noch nicht so ausgeprägt und haben nach außen eher wie depressive Phasen gewirkt. Als ich ca. 15 Jahre alt war, hörte meine Mutter aber auf, ihre Medikamente zu nehmen, was auch einen erheblichen Einfluss auf die Schwere ihres Krankheitsverlaufs und auch auf mein Leben mit ihr hatte. Ich erkannte sie plötzlich nicht wieder und konnte absolut nicht nachvollziehen, was da in ihr vorging. Im Zuge unserer Diplomarbeit für „die Graphische“ versuchten Brigitte Maresch und ich dann Antworten zu finden. Wir versuchten ein möglichst perspektivenreiches Bild zu erlangen, führten Interviews, lasen wissenschaftliche Literatur und bekamen immer mehr mögliche Antworten. Diese Einblicke waren dann auch die Basis für die Fotos und Illustrationen, die sich im Buch finden.  

Wer sind die Menschen, die in eurem Buch ihre Geschichten erzählen?

Die Menschen in unserem Buch haben alle selbst in irgendeiner Form Erfahrungen mit Schizophrenie. Entweder sind sie selbst durch eine Diagnose betroffen, sind Angehörige oder Betreuende. Sie alle haben sehr unterschiedliche Standpunkte und Erfahrungen, die sich nur teilweise miteinander decken und gut zeigen, wie unterschiedliche jede Geschichte, jede Perspektive und jede Erfahrung mit einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis ist.  

Wie verbindest du Fotografie mit dem Thema?

Fotografie ist mein Medium um mich als Künstlerin auszudrücken. Das ist für diese Thematik gar nicht so einfach, denn es fallen akustische Elemente weg, die für die Erkrankung doch häufig Relevanz besitzen. Das hat mich oft herausgefordert, andere Wege zu finden um den Zuseher:innen dennoch die Möglichkeit zu geben, in eine unbekannte Welt einzutauchen. Das Ziel der Fotografien im Buch ist es, Eindrücke zu verstärken oder zusätzliche Impressionen zu erzeugen, die vielleicht durch die bloßen Worte ausbleiben würden.  

Was hofft ihr, mit der dem Buch zu bewirken?

Wir wollen eine neue Perspektive zur Diskussion beitragen. Es gibt viel wissenschaftliche Literatur, in der Professionist:innen schildern, wodurch sich Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis auszeichnen. Diese Schilderungen sind durchaus wichtig. Ich habe aber immer Einblicke vermisst, die mich auch auf emotionaler Ebene verstehen lassen, was da in meiner Mutter vorgeht und mich auch ein wenig darauf vorbereiten, was es abseits der theoretischen Seite zu wissen gibt. Es wäre schön, wenn auch außenstehende Personen durch das Buch einen besseren Einblick in diesen Themenkomplex erlangen. Außerdem wäre es wunderbar, wenn Menschen, die mit dieser Erkrankung konfrontiert sind, mehr respektiert werden. Das Leben mit Schizophrenie kann sowohl für die Betroffenen als auch die Angehörigen eine unglaubliche Herausforderung sein. Nicht darüber reden zu dürfen aus Angst, diskriminiert zu werden, ist nicht in Ordnung.  

“Ich habe aber immer Einblicke vermisst, die mich auch auf emotionaler Ebene verstehen lassen, was da in meiner Mutter vorgeht und mich auch ein wenig darauf vorbereiten, was es abseits der theoretischen Seite zu wissen gibt.”

Was ärgert dich denn besonders, wenn es ums Thema psychische Erkrankung geht?

Lisa Kainzbauer: Am meisten ärgert es mich, wie viel Kraft es generell aber auch mich persönlich kostet, Menschen aufzuklären. Es ärgert mich, wenn jemand auf der Straße an mir vorbeiläuft und widersprüchliches Verhalten eines Menschen fälschlicherweise als „schizophren“ bezeichnet. Es regt mich auf, wenn ich Filme sehe, in denen das Krankheitsbild überdramatisiert und völlig verzerrt dargestellt wird. Das schürt Angst und das aus den Köpfen der Menschen wieder heraus zu bekommen ist ein Kraftakt. Menschen, die sich ohnedies für die Thematik interessieren, sind leichter zu erreichen, aber jene, die sich nicht aktiv über Themen wie „psychische Gesundheit“ informieren, erreicht man nur schwer und so kann der Stigmatisierung leider nur schwer entgegengewirkt werden.  

Was wünscht du dir von der Gesellschaft?

Lisa Kainzbauer: Meine Wünsche richten sich vor allem an die Politik: Ich möchte, dass Menschen mit psychischer Erkrankung in einem gesicherten Rahmen Beschäftigungen nachgehen können und nicht an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Ich wünsche mir, dass es großflächige staatlich geförderte Aufklärungskampagnen gibt. Ich will, dass Psychotherapie ausnahmslos von der Krankenkasse gezahlt wird. Wenn all das passiert, denke ich, dass viel leichter eine positive öffentliche Diskussion stattfinden kann. So kann die Gesellschaft auch die Chance bekommen, aus diesen Maßnahmen zu lernen. Solange wir uns aber im selben Rad bewegen, ist es schwierig neue Wege zu gehen.