„Wenn es Patient*innen im Zuge einer Behandlung erstmals gelingt, mich anzubrüllen und offen wütend auf mich zu sein, finde ich das großartig“
Theres Graf arbeitet derzeit als Assistenzärztin an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Medizinischen Universität Wien. Sie befindet sich im vierten Ausbildungsjahr. Der Weg bis zu dem Moment, an dem sie wusste, dass das „genau das ist, was ich immer machen wollte“, wie sie ihren heutigen Beruf bezeichnet, war allerdings kein geradliniger. Erst kurz vor Abschluss eines Betriebswirtschaftsstudiums „habe ich den Mut gefasst, mich für einen Bereich zu entscheiden, der mich so richtig begeistert“, erzählt sie und meldete sich für die die Aufnahmeprüfung in Medizin an. Das Studium der Kommunikationswissenschaft, das sie parallel zum Betriebswirtschaftsstudium begonnen hatte, setzte sie fort. Neben dem Medizinstudium arbeitet sie als PR- und Marketingassistentin, wodurch sie sich „das Jobben in der Gastronomie aus früheren Tagen ersparte.“
“Nach der ersten Famulatur, war ich sicher, dass ich dieses und nur dieses Fach machen wollen würde.“
Doch auch während des Medizinstudiums dauerte es Jahre, bis sie auf die Kinder- und Jugendpsychiatrie aufmerksam wurde und sich schlussendlich dafür entschied: „Ich wusste bis zu meinem vierten Studienjahr gar nicht, in welche Richtung ich nach Abschluss meines Medizinstudiums gehen wollen würde. Ich hatte Neurologie, Gynäkologie und Allgemeinmedizin in Erwägung gezogen, war aber eigentlich nicht einmal sicher, ob ich überhaupt Ärztin werden würde. Während meines vierten Studienjahres habe ich mir dann die fachärztlichen Ausbildungsordnungen angesehen, und bin dabei erstmals auf das Fach Kinder- und Jugendpsychiatrie aufmerksam geworden. Beim Durchlesen der Ausbildungsordnung habe ich gedacht: Das ist genau, was ich immer machen wollte; ich wusste bloß bislang nicht, dass es dazu eine Fachrichtung gibt. Nach der ersten Famulatur, war ich sicher, dass ich dieses und nur dieses Fach machen wollen würde.“
Hohe Individualität
Als Besonderheit in ihrem Beruf sieht sie, dass neben den Patient*innen auch das unmittelbare Umfeld, wie Familien und/oder Betreuungseinrichtungen, in den Arbeitsprozesseingebunden werden muss. Außerdem schätzt sie die hohe Individualität: „Da jede Psyche einzigartig ist, bleibt mein Beruf stets spannend“, sagt Graf.
Behandlungserfolge sind natürlich besonders schön. Dass diese manchmal anders aussehen als in anderen medizinischen Fachrichtungen macht sie an einem eindrücklichen Beispiel deutlich: „Wenn es beispielsweise einer Patientin mit Magersucht, die immer entsprechen möchte, im Zuge einer Behandlung erstmals gelingt, mich anzubrüllen und offen wütend auf mich zu sein, finde ich das großartig.“
“Man muss sich aber auch abgrenzen können und manchmal auch die Grenzen der Behandlungsmöglichkeiten akzeptieren lernen.”
Als wichtigste Charaktereigenschaften, die man als Kinder- und Jugendpsychiater*in mitbringen muss, sieht sie Hands-on Mentalität und psychische Stabilität sowie die Freude an der Entwicklung kreativer Lösungen. Man muss sich aber auch abgrenzen können und manchmal auch die Grenzen der Behandlungsmöglichkeiten akzeptieren lernen. Darüber hinaus benötigt man tragfähige berufliche und private Netzwerke, die in schwierigen Phasen Unterstützung bieten.
Mangelsituationen als größte Herausforderung
Als größte Herausforderung empfindet sie die Mangelsituation in vielen Bereichen. Einerseits die ökonomischen Schwierigkeiten die entstehen, wenn etwa mehrere Kinder einer Familie Unterstützung brauchen, oder wenn die finanziellen Ressourcen gering sind. Aber auch bei den Angeboten, wie etwa tagesklinische Therapiezyklen, bei denen der Bedarf „bei weitem“ nicht gedeckt ist.