Meine Borderline-Persönlichkeitsstörung

In diesem Text erzählt Irene über ihre persönlichen Erfahrungen mit psychiatrischen Erkrankungen, ihren Einsatz gegen Stigmatisierung und ihre Borderline-Persönlichkeitsstörung.

Ich erinnere mich daran, im Alter von drei Jahren süchtig nach Selbstverletzungen geworden zu sein. Für dieses Verhalten erfand ich sogar einen eigenen Namen. Bald machte ich es nur noch heimlich. Das Wort für meine Selbstverletzung war ebenso geheim wie die Parallelwelt, die in meinem Kopf entstand. Niemand bemerkte, dass ich mich in diese Welt hinein flüchtete, da mich die reale Welt überforderte. Die Geheimhaltung und die Idealisierung meiner Parallelwelt, sowie das Funktionieren in der realen Welt setzten mich unter enormen Hochdruck und unter Hochspannung. Mein Leben war von Extremen geprägt. Nach meiner Matura riss es mich zwischen den verschiedensten Berufswünschen hin und her, vor und zurück, wie auf einer Achterbahnfahrt. Ich probierte vieles aus und strengte mich an. Mit Anfang zwanzig befand ich mich in meiner ersten Psychotherapie, probierte jedoch weiterhin eisern zu funktionieren und der Norm zu entsprechen. Im Alter von 24 Jahren schloss ich den Fachhochschul-Studiengang „Gesundheitsmanagement“ ab. Immer wieder bekam meine perfekte, reale Welt Risse, als ich mich zuhause mit scharfen Gegenständen heimlich selbst verletzte, um für den Druck und für die Anspannung ein Ventil zu suchen und um meinen Körper zu spüren. Versuchte weiter zu machen, scheiterte, Psychosomatik-Aufenthalt, stand wieder auf, suchte weiter, gab nicht auf, probierte, ich war misstrauisch und paranoid. Psychiatrie-Aufenthalte. Eine „Gestörtenkarriere“ laut einer Psychotherapeutin, die mich nach einer Probestunde ablehnte. Probierte wieder alles. Konnte nicht mehr. Medikamentenüberdosis.

Bis mir der Konsiliarpsychiater eines Wiener Spitals nach dieser Medikamentenintoxikation das Sozialpsychiatrische Ambulatorium des PSD-Wien empfahl, welches für meinen Bezirk zuständig ist. Ich erwartete nichts außer schon wieder, wie zig mal zuvor, meine Geschichte einem fremden Arzt erzählen zu müssen, um danach wieder weg geschickt zu werden. Doch die Psychiaterin des PSD-Wien fing mich im Jahr 2011 auf und ist heute noch immer für mich zuständig.

Seit mehreren Jahren stelle ich als Teilnehmerin in einer Tagesstruktur für Menschen mit psychischen Erkrankungen Schmuck her. Das entspricht meinem Belastbarkeitsniveau. In meiner Abteilung habe ich die Rolle der Teilnehmer-Vertreterin inne, was mir ebenso wie das Schmuck-Herstellen Spaß macht, da ich ein kreativer, neutraler, sensibler und lösungsorientierter Mensch bin. In meiner Freizeit spiele ich Querflöte und ich schreibe.

Natürlich gibt es im Rahmen meiner Borderline-Persönlichkeitsstörung immer wieder Krisen. Im Frühling 2022 durchlebte ich einen neuerlichen Tiefpunkt. Ich wurde ohne eigenes Verlangen aufgrund von Suizidgedanken auf der Akutstation einer psychiatrischen Abteilung untergebracht. Nach diesem Krankenhausaufenthalt schaffte ich es aufgrund fehlender Konzentrationsfähigkeit und mangelnder Belastbarkeit nicht mehr, in meine Tagesstruktur einzusteigen. Meine Psychiaterin verhalf mir dazu, vorübergehend an Ergotherapien, Musiktherapien und anderen Angeboten in einem Therapeutischen Tageszentrum des PSD-Wien teilzunnehmen. Durch diese Therapien, durch Gespräche mit ihr, Medikamentenumstellung, sowie durch die Hilfe meiner Psychologin und Psychotherapeutin gelang es mir, wieder stabiler zu werden und in die Tagesstruktur für Menschen mit psychischen Erkrankungen zurückzukehren. Alle halfen zusammen. Da waren dann wieder die geschulten Betreuer*innen und die anderen Teilnehmer*innen und ich konnte nach dieser Krise „weiter surfen“. Ich weiß nicht, woher meine Psychotherapeutin diese Metapher hat, aber sie sagt, mein Weg sei wie das Surfen auf einem Surfbrett. Mal gehen die Wellen rauf, mal runter, und wenn ich ins Wasser falle, gibt es Rettungsboote und Rettungsringe, die mich auffangen. Bis ich es wieder schaffe, auf das Surfbrett aufzusteigen und weiter zu surfen. Danke auch an meine liebe Familie!

Als „Gestörtenkarriere“ lasse ich mir meinen eigenen Weg nie wieder abstempeln!

Vielmehr setze ich mich für eine Entstigmatisierung von psychischen Krankheiten ein. Eine psychiatrische Erkrankung ist kein Grund, sich zu schämen. Und sie ist auch kein Grund für andere Menschen, einen Betroffenen zu stigmatisieren oder zu diskriminieren. Ich wünsche mir, mit diesem Text auf Verständnis und auf Toleranz zu stoßen. Und ich habe die Hoffnung, dass dieser Wunsch in Erfüllung geht.