Lisa Kainzbauer ist eine junge Fotografin aus Wien. Als sie fünf Jahre alt war, erkrankte ihre Mutter an Schizophrenie. Im ersten von zwei Blogbeiträgen erzählt sie uns von ihrer Kindheit und dem Alltag mit ihrer Mutter.
Als Kind wurde mir immer gesagt, dass ich mit anderen nicht über die Krankheit meiner Mutter sprechen darf. Bis ich 13 war, lebte ich zusammen mit meiner Urgroßmutter, Großmutter und Mutter in einer Wohnung. Meine Mutter tauchte immer wieder für ein bis zwei Wochen unter. Ich erinnere mich, dass ich manchmal weinend am Telefon saß und versuchte, sie zu erreichen…aber niemand hob ab. Ihr war das wohl alles manchmal zu viel: die Schizophrenie, das Übergewicht auf Grund der Medikamente, die Verantwortung, ein Kind zu haben und die Familie, die zu Hause tadelnd auf sie wartet. Heute verstehe ich, dass sie dem manchmal entfliehen wollte, aber weh tat es trotzdem.
Meine Urgroßmutter war die „Chefin“ zu Hause, ohne sie ging nichts. In vielerlei Hinsicht war sie mir eine herzliche und fürsorgliche Mutter. Wenn es ihr Alter zuließ, half sie mir wo es ihr möglich war, und wenn sie eine stützende Hand benötigte, half ich ihr. Ich stützte sie beim Gehen und war ihre Begleitung bei den regelmäßigen Terminen im Spital. Eigentlich sprachen wir nie so wirklich darüber, aber wir waren uns gegenseitig eine Stütze.
Was schulische Leistungen anging, war ich sehr früh selbstständig, machte alle Hausaufgaben schon in der Volksschule alleine und brachte gute Noten nach Hause. Eines Tages, ich war gerade 13, holte mich mein Onkel überraschenderweise von der Schule ab. Ich habe mich so gefreut! Wir setzten uns ins Auto und plötzlich sagte er zu mir: „Lisa, ich hol dich nicht einfach so ab. Die Urli ist gestorben.“ Ich habe die ganze Fahrt kein Wort herausgebracht, nicht einmal weinen konnte ich. Vor diesem Augenblick hatte ich seit Jahren Angst gehabt und jetzt war er da. Zu Hause angekommen wusste ich nicht wohin mit dieser Flut an Trauer, Verzweiflung und Angst. Wie sollte das alles gut gehen ohne meine Urgroßmutter?
Die nächsten Monate waren schrecklich. Die finanzielle Lage zu Hause war angespannt und ohne die Kontrolle meiner Urgroßmutter war oft zu wenig Geld da. Irgendwann hatte ich die Nase voll und übernahm die Einteilung der Finanzen, was zu vielen Diskussionen mit meiner Großmutter führte. Aus schlechtem Gewissen zahlte ich mit in die Familienkasse ein, wenn ich durch Mini-Jobs einmal 10 Euro verdiente.
Meine Mutter hatte in der Zwischenzeit ihre Medikamente abgesetzt. Am Anfang wusste ich nicht, was mit ihr los ist. Sie war mir plötzlich so fremd und sprach wirres Zeug. Einmal wachte ich von ihrem lauten Gelächter auf und beobachtete sie, wie sie ferngesteuert durch die Wohnung lief und lachend und ohne erkennbare Reihenfolge Zahlen aufsagte. Ich hatte Angst und rief meinen Onkel und die Rettung, doch meine Mutter wollte nicht ins Spital.
Im darauffolgenden Sommer nahm ich mir eine Auszeit und fuhr zu meinem Vater aufs Land. Nach meiner Heimkehr traf ich meine Mutter in der verwüsteten Wohnung an. Beim Öffnen der Tür kam mir ein modriger Gestank entgegen und die Wohnung war in einem katastrophalen Zustand. Meine Mutter hatte alles aus den Kästen geschmissen und sogar den Luster von der Decke gerissen. Ich war sauer, tadelte sie für ihre Taten und verlangte von ihr, das Chaos zu bereinigen.