“Selbstmord, Schizophrenie, PTBS – und wie mir meine Kunst, Psychotherapie und Änderung des Umfeld zur Gesundung geholfen haben”

Ich wollte beinahe ein ganzes Jahrzehnt lang sterben. Die meisten Jahre davon bekam niemand mit – und als es dann bekannt wurde, wurde ich zum Großteil in Stich gelassen. Ich schreibe hier von meinem Weg aus diesem Teufelskreis raus und wie ich die Leute auch mit meiner Kunst dazu nochmals sensibilisieren will. Eins sei dir gewiss: Es war sehr schwer und das Fundament zur Verbesserung ist stets das liebevolle, ehrliche Umfeld.

Meine Beweggründe, sterben zu wollen

Ich hatte eine miese Kindheit. Schon im Kindergarten wurde ich gemobbt von anderen Kindern und in der Schule ging es mir leider nicht anders. Jeder Versuch, mich meinen Eltern, Erzieher oder Lehrer anzuvertrauen, ist misslungen. Mit jedem Versuch wurde mir klar, wie wenig ich ernst genommen wurde. Ich verstummte. Meine einzigen, stillen Hilfeschreie waren meine Geschichten, Gedichte und Zeichnungen. Ich versetzte mich in eine andere Welt, die zwar auch sehr gefährlich war – aber im Vergleich zur Realität war ich stark und edel. Nicht schwach und unscheinbar.

Zum Mobbing kam noch dazu, dass ich im Internat, indem ich damals in der Volk – und Hauptschule war, von mehreren Jungs missbraucht wurde. Ich wurde gezwungen, zu küssen, anfassen zu lassen und darüber hinaus so manipuliert, dass ich dachte, sie würden mich lieben. Tatsächlich aber ging es nur um Macht, wie ich durch Aufarbeitung dank Psychotherapie festgestellt habe. 

Seit der Volkschule hatte ich den Wunsch, diese Erde zu verlassen. Ich fühlte mich unfassbar einsam und viel zu anders. Überall ein Außenseiter zu sein, der noch dazu intelligent und begabt ist – das war furchtbar und vor allem wusste ich nie, weshalb ich eigentlich so unbeliebt war. Irgendwann kam der Zeitpunkt, an denen ich über verschiedene Selbstmordmethoden nachdachte. Einige Ideen waren schwer umsetzbar, andere waren mir zu riskant mit den Folgen, falls man überlebt. Und andere waren für mich moralisch einfach nicht vertretbar.

Letztendlich habe ich mich in meiner tiefsten Phase des Lebens mit verschiedenste Vergiftungsarten auseinander gesetzt. Mit siebzehn offenbarte ich meine Absichten und ich kam in die Station von der Kinderpsychiatrie. Dort erzählte ich dasselbe, wobei ich auch dazu sagte, dass ich mich gerne wegbeame in andere Welten. Ich bekam die Diagnose Psychose und fühlte mich absolut missverstanden. Ich dachte ja eher an Depression, aber das wurde dort mit keinem Wort so erwähnt.

Ein Jahr später: Paranoide Schizophrenie

Eine Diagnose, wo ich aus Erfahrung sagen kann, dass jeder Psychiater das ein bisschen anders definiert. Ein absoluter Laie sagt über Schizophrenie, dass diese Leute halluzinieren. Ich als erfahrene Person mit dieser zugewiesenen Diagnose sage, dass es eine Art von Kontrollverlust ist. Es ist der Verlust, zwischen Realität und Fantasie zu unterscheiden. Das kann sich klarerweise durchs Halluzinieren zeigen, aber auch durch’s Auswechseln von verschiedenen Persönlichkeiten. Als ich damals paranoide Schizophrenie als Diagnose meiner psychischen Erkrankung bekam, zuckte ich einfach nur die Schulter. Ich war immer noch der Meinung, dass ich eher an etwas anderes litt, denn ich konnte mich an alle Auswechslungen der Persönlichkeiten, an alle Switches zwischen Realität und Fantasie erinnern. 

In einigen Gesprächen mit einer Psychologin wurde mir immer wieder gesagt, ich solle den Bezug zur Realität aufbauen und meine Identität herausfinden . Ich lachte innerlich trocken. Ich war sehr sicher verwahrt und isoliert – wie sollte ich das machen?

Dann habe ich mir einen neuen Weg ausgedacht und angefangen, von Tierfotos realistisch nach zu zeichnen. Nach einiger Zeit kam ich dann in ein betreutes Wohnen nach Tulln – und kurze Zeit später wollte ich schon wieder sterben. Ich sprang aus dem Fenster, kurz vor Weihnachten. Im neuen Jahr darauf nahm ich etliche Medikamente zu mir, der letzte, aber auch der schlimmste Versuch. Beinahe wäre ich gestorben.

Ich wurde von Tulln entlassen und kam in ein neues betreute Wohnen. Ich wurde begrüßt und die Leute schienen freundlich zu sein. Jemand, der nur bei der Tagesstätte da war, gab sich immer wieder Mühe, Kontakt zu mir aufzubauen.

Wie konnte ich überhaupt jemandem vertrauen, nach all dem, wie ich gebrochen wurde?

Mein neues Umfeld: liebevoll, aufbauend und offen

Ich gab diesem verrückten Typen, der dauernd in meiner Nähe war, eine letzte Chance aufs Leben. Nun ja, es war die klügste Entscheidung, die ich machen konnte, denn dieser Typ ist nun mein Partner und einer der besten Menschen, die ich kenne. 

Dank meinem Freund lernte ich neue Perspektiven kennen. Ich ging mit ihm abends am Wochenende aus, etwas, was mir bis heute nicht so zusagt, aber für einen echten Bezug zur Realität war mir das zum Kennenlernen sehr hilfreich. Durch ihn lernte ich, neue Freundschaften zu schließen und ich hatte eine Perspektive für meine Zukunft. Man sah sogar bei meine Zeichnungen, wie die Farben immer kräftiger wurden – sie widerspiegelten meinen seelischen Zustand. Wenn es mir schlecht ging, sprach ich mit meinem Freund darüber – und erarbeiteten uns zusammen mit BetreuerInnen eine Lösung.

Schließlich kam ich dann in eine Art Lehre im Einzelhandel und zog nach einer halbjährigen Probezeit zu meinem Partner.

Irgendwann, schwanger in der ersten Klasse Berufsschule, konnte ich meine letzten Tabletten vollends absetzen. Ich hatte zwar dank Mobbing und Heimweh durchaus eine Krise und ich zeichnete das letzte Bild für etwa ein Jahr mit dem Titel “Depression”. Es zeigt eine Frau, die auf einer dunklen Mauer sitzt, ohne Gesicht, ohne Kleidung. Sie hat kein Gesicht, weil sie diese mit ihrer schwarzen Haarpracht versteckt und zudem nach unten zu schauen scheint. Sie ist schutzlos ihrer Situation ausgeliefert, während hinter ihrem Rücken alles so bunt und harmonisch ist. So ganz ohne Schutz fühlen sich viele psychisch erkrankte Menschen, doch die Meisten können es nicht nach außen tragen, weil Unverständnis darüber herrscht. Weil Krankheiten immer noch ein Tabu sind. Somit gibt es keine Sichtbarkeit und genau das war mir bei diesem Bild so wichtig. Wir alle wollen gehört und gesehen werden – deshalb kann ein genauer, zweiter Blick sehr hilfreich sein, um zu verstehen. Dann wird aus einer 

oberflächlichen Behauptung ein Hinterfragen des Gegebenen. Aus einem “Diese Person muss sich einfach nur mehr anstrengen!” wird ein “Warum bist du nicht in der Lage, deine Aufgaben zu erledigen?”

Ich blieb während meiner Krise stabil und nach der Geburt meines Kindes setzte ich mich mit der Kleinkind-Hirnreife auseinander.

Plötzlich verstand ich mithilfe verschiedener Lektüre und meiner Psychotherapeutin sämtliche Muster und seit Beginn 2019 zeichne ich immer wieder Bilder, die beinahe alle ein Ergebnis von Selbstreflektion sind. Mir wurde klar, dass ich eine posttraumatische Belastungsstörung hatte, die jedoch durch Psychotherapie und meiner Kunstschaffung sehr gut aufgearbeitet wurde und immer noch wird. Ich verfolge jetzt auch ein neues Ziel: Ich möchte eine Enttabuisierung von psychischen Krankheiten, aber auch gewisse gesellschaftliche Muster herbeiführen, mit meinen Bildern und mit meinen Beiträgen.

Dank meines immer noch liebevollen Umfelds bleibe ich auch stabil, weil ich weiß: ich bin nicht alleine, man nimmt mich ernst.

Und daraufhin folgt auch mein Appell an alle da draußen: Nehmt die Leute ernst. Auch, wenn diese scheinbar den größten Schwachsinn quasselt. Haltet kurz inne, nehmt die Person ernst, hört zu. Seid für diese Menschen da und sagt nicht einfach solche Sätze wie: “Der gehört eingewiesen.” “Die ist einfach nur faul.” “Übertreib nicht.” Das verletzt und man kann auch freundlich formulieren in “Ich möchte dir dabei helfen, dass es dir wieder besser geht.” “Warum kannst du nicht arbeiten gehen?” “Wieso ist das so schlimm für dich?” 

So wirst du als Außenstehender Teil eines neuen, liebevollen Umfelds und die Welt wird ein kleines Stück wärmer und empathischer. Gerne kannst du mich auch auf meiner Webseite besuchen, meine Mahnmale – so nenne ich auf liebevolle Weise meine Bilder – betrachten und dich gerne auch in meinen Newsletter anmelden, um zum Achtsamkeitshelden zu werden!

Vielen Dank für die Zusendung! Es erfordert viel Mut, darüber zu sprechen und wir sind froh, diese Erzählungen mit euch allen teilen zu können. Hast auch Du Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen und willst darüber reden? Möchtest du auch ein Statement oder einen Blogbeitrag beisteuern? Dann schicke uns deinen Text, dein Statement, dein Foto,… an darueberredenwir@psd-wien.at.