So lebe ich mit meiner Panikstörung

Heute ist ein wichtiger Tag für mich, denn heute treffe ich Claudia.

Sie hat sich an uns gewandt, weil sie im Zuge der Kampagne ihre Geschichte mit uns und mit euch allen teilen will. Claudia hat eine Angsterkrankung. Schon bei unserem ersten Telefonat erzählt sie mir, wie wichtig es ihr ist zu zeigen, dass ein ganz normales Leben mit dieser Erkrankung möglich ist. Wir beschließen uns zu treffen.

An der Tür klingelt es, ich mache auf und mir gegenüber steht eine junge, fröhliche Frau, die nur so vor Energie und positiver Lebensfreude zu sprühen scheint.

Wir machen es uns im Besprechungszimmer gemütlich und beginnen zu reden: über ihr Leben als alleinerziehende Mutter mit Vollzeitjob in der Marketingbranche, den Moment, der ihr Leben auf den Kopf stellte und darüber wie sie es geschafft hat, ein neues Kapitel aufzuschlagen und eine ganz neue Geschichte zu schreiben – für sich.

Sie hat sie hierher geführt, an diesen Tisch, wo ich nun mit ihr sitze und sie diese Seiten ihres Lebens mit mir –und auch uns allen teilt.

„Ich tu mir immer noch schwer anzunehmen, dass ich ein Burnout hatte. Warum? Weil auch ich früher Leute belächelt habe, die das hatten und mir auch immer gedacht habe ‚Geh bitte, das passiert mir doch nicht‘. Doch ich wurde ich eines Besseren belehrt.

Es passierte während eines Meetings: „Ich habe plötzlich angefangen zu weinen und mich nicht mehr beruhigen können. Die Rettung musste kommen und man sagte mir gleich, dass das nach Burnout aussieht und ich besser daheim bleiben soll. Das wollte ich aber irgendwie nicht wahrhaben. Ich ging nach ein paar Tagen wieder ins Büro, nur um dann wieder zusammenzubrechen.“

Claudia blieb dann länger zuhause, doch der Weg zur ersten Behandlung war lang.

„Es war ein ständiger Kampf mit mir selbst, da ich versucht habe alleine alles in den Griff zu bekommen. Deshalb brauchte ich Zeit, um zuerst die Diagnose zu akzeptieren und dann auch in weiterer Folge eine Behandlung in Anspruch zu nehmen. Das ging also nicht von heute auf morgen, weil ich selbst Zeit brauchte, es einzusehen und mir dann die Hilfe zu holen, die ich brauchte.

Es war schwierig für mich zu akzeptieren, dass dieses Leben auf der Überholspur nicht mehr zu mir gehören würde; dass ich den coolen Managerposten nicht mehr auf der Visitenkarte habe werde und auch das Ansehen von der Umgebung nicht mehr so da sein würde.

Und finanziell macht es natürlich auch einen Unterschied, wenn du auf einmal weniger verdienst. Das kann schon Angst machen.“

Angst – genau darüber wollen wir heute sprechen. Über die Angsterkrankung, die Claudia seit ihrem Zusammenbruch begleitet.

Die Angsterkrankung kam sehr schnell nach dem Anfall im Büro. Bei dem Zusammenbruch damals bekam ich nicht genug Sauerstoff, mein Körper hat sich verkrampft und ich konnte nicht schlucken. Ein paar Tage danach, als ich schon daheim war, bekam ich dann Angst, dass ich wieder keine Luft bekommen könnte. Ich hab mich die ersten Tage in meiner Wohnung vergraben und es war schwer für mich, wieder nach draußen zu gehen, weil ich Angst hatte, dass wieder etwas passieren könnte. Ich hatte Herzrasen und teilweise sogar das Gefühl, dass ich beim Essen nicht schlucken kann. An Orten mit vielen Menschen, z.B. im Kino, im Zug oder im Stau auf der Autobahn, bekam ich Panik.“

Diese Angstzustände begleiten Claudia seither. Sie hat gelernt damit umzugehen, z.B. indem sie immer Wasser zum Trinken mit dabei hat. Sie geht sehr offen mit dieser Situation um. Eine große Unterstützung ist dabei ihr unmittelbares Umfeld: ihr Sohn, ihr Lebenspartner und ihr enger Freundeskreis. Die Erkrankung hat ihr Leben auf den Kopf gestellt, aber auch neue Wege geöffnet. Claudia arbeitet nun im Sozialbereich, hat ein gutes Familienleben und weiß wie sie mit ihrer Erkrankung umgehen muss. Sie muss öfters einmal auf „Pause” drücken und sich Zeit für sich nehmen.

Noch immer merkt sie, dass es nicht so leicht ist mit anderen über ihre Panikattacken zu sprechen.

„Man bemerkt dann schon eine Unsicherheit beim Gegenüber. Sie fragen sich dann oft ‚Oh Gott, kann man jetzt normal mit der reden oder flippt die jetzt gleich aus?‘: Unwissen und Unsicherheit spielen hier eine große Rolle. Genau deshalb ist es so wichtig, dass man darüber spricht, damit man eben sieht, dass es nicht so ist und Betroffene auch sehen, dass vieles möglich ist.“

Mir war klar, dass mich die Begegnung mit Claudia beeindrucken würde. Es ist mutig so offen mit der eigenen Erkrankung umzugehen und so wichtig. Claudias Geschichte ist nur eine von vielen, die zeigt, dass psychische Erkrankungen Teil unseres Lebens sind und jeden von uns treffen können. In einer Gesellschaft, in der es an der Tagesordnung ist, den perfekten Schein zu wahren und bloß keine Schwäche zu zeigen, ist es immer ein Zeichen der Stärke, sich eigene Schwächen einzugestehen. Danke Claudia, dass du diese Stärke hast – für dich und stellvertretend für alle Betroffenen!

Claudia hat eine Familie, FreundInnen, einen Job, fährt auf Urlaub, geht ins Kino: Sie führt ein Leben wie wir alle und hat eben auch eine Angsterkrankung. Claudia ist wie du und ich.